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Über seine Regiearbeit und den Film ANTONIN'S STORIES

Gabriel Le Bomin

Gabriel Le Bomin

Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Film gekommen und welche Aussage wollten Sie machen?

 

Ich bin auf das Thema zum Film während einer Dokumentation gekommen, die ich in einem Museum gemacht habe. Da bin ich auf Archivfilmmaterial gestoßen aus dieser Zeit um 1918, 1919, 1920. Sie zeigten psychisch Verwundete aus dem ersten Weltkrieg in einem Zustand der Verwirrung und Panik. Diese Bilder haben mich tief berührt und haben mir geholfen, tiefer in die Recherchearbeit auf wissenschaftlicher und historischer Ebene dieses Themas zu gehen. Wenn man diese Männer in dem Zustand sieht, in dem sie sich befinden, fragt man sich, was sie erlebt haben müssen, um in diesen Zustand des Ungleichgewichts zu kommen. An diesem Punkt habe ich begonnen, ein Drehbuch über dieses Thema zu entwickeln. Ziel war es ein Film zu machen, der das Verhältnis, das die Individuen mit dieser extremen Gewalt haben können, zu behandeln. Dieser speziellen Gewalt des Kriegs, die eine legale Gewalt ist. Eine Gewalt, die der Staat von jedem Mitbürger verlangt auszuüben oder zu ertragen. Das stürzt jeden dieser Soldaten in einen persönlichen intimen Konflikt mit sich selber. Historischerweise hat man sich im Zeitraum 1914 bis 1918 zum ersten Mal für solche psychischen Probleme begonnen zu interessieren. Und es sind Probleme, die man heute wiederfindet. Alle Armeen auf dieser Welt werden konfrontiert mit solchen Problemen heutzutage. Wenn die Soldaten einen Krieg beendet haben, in welchem Zustand kehren und finden sie zurück in Zeiten des Friedens? Das ist im Großen und Ganzen die Intention des Films. Das Thema war mehr als historisch mit einem wissenschaftlichen Hintergrund. Man möchte eine große Zahl von Menschen anzusprechen, die neugierig und offen dafür ist. Es ist ein nicht sonderlich populäres Thema. Darüber sind wir uns einig. Es liegt in der Form, die es einem Publikum ermöglicht, Zugang zu dem Film zu finden. Es ist die Form und die Art, wie man einen Film erzählt und wie man spielt, wie man die Mise en Scène anlegt, wie man die Geschichte konstruiert. Das ist es, was die Geschichte zugänglich macht.

 

Was die Recherchearbeit betrifft, wie haben Sie Zugang zu den Charakteren gefunden? Gibt es Fallbeispiele oder basiert die Geschichte auf wahren Personen?

 

Die Geschichte ist nicht inspiriert durch Fallstudien im Besonderen, sondern durch die Summe der Erfahrungen und Ereignisse, die ich letztendlich gemacht habe. Zum einen durch die Recherche in diesem Feld und die Bücher, die zum Thema geschrieben worden sind und die ich gelesen habe. Zum anderen durch zahlreiche Begegnungen mit Ärzten, die ich getroffen habe und die sich mit diesem Thema befassen und auseinandersetzen. Sie haben eine historische Kenntnis aber auch ein medizinisches Wissen über dieses Thema. Sie beschäftigen sich heute mit Soldaten, die aus Kriegsaktivitäten zurückkehren. Also war es eine Arbeit auf historischer Basis durch Bücher und mehr zeitgenössisch durch die Ärzte.

 

Wie haben sie es erreicht, eine Geschichte zu erzählen, die so fragmentiert angelegt aber sich dramaturgisch schlüssig und sinnvoll am Ende zusammenfügt?

 

Es war sehr schwierig diese Geschichte zu erzählen, weil ich wollte, dass die Form einen Sinn und Verbindung auf tieferer Ebene hat. Man erzählt die Geschichte eines Mannes aus fragmentierten Bruchstücken, die sich wie ein Puzzle zusammensetzen und ein Ganzes formen. Also die Geschichte konnte nicht linear erzählt werden, sondern durch Momente der Vergangenheit und der Gegenwart, durch verschiedene Ereignisse, sich zusammenfügen und Bezug zueinander nehmen. Es ist wahr, dass der erste Schnitt katastrophal war. Wenn man die erste Version sieht, sagt man sich, der Film macht überhaupt keinen Sinn. Man kann den verschiedenen Zeitetappen schwer folgen. Wir haben sehr akribisch und gewissenhaft am Schnitt gearbeitet. Und abschließend am Ton und an der Musik. Um zu versuchen dem Film eine Form mit großer Visualität, mit klarem Zugang für den Zuschauer, zu verschaffen. Und ich habe den Eindruck, dass der Film funktioniert.

 

Vom Schnitt her folgt die erste Version dem Drehbuch oder gab es Änderungen?

 

Doch die erste Version folgt dem Drehbuch. Die erste Version war brutal. Das hat dem Cutter große Arbeit abverlangt, den Film, die Erzählung flüssiger zu machen. Von der einen Epoche zur anderen zu wechseln und ein Erzählfluss zu ermöglichen, dem der Zuschauer folgen kann.

Als Drehbuchautor, wie bereiten Sie Ihre Geschichten vor, wie gehen Sie an die Arbeit des Schreibens heran?

 

Zuallererst konzentriere ich mich auf meine Figuren und Charaktere, wer sie sind, ihr Metier, ihre Funktion in der Geschichte, und was sie machen. Weil sie das einführt, ob als Mediziner, als Lehrer etc. Man definiert ihre Aktivitäten in der Geschichte, dass ermöglicht einer Figur seine Charakterisierung, seine Sprache zu geben. Im Fall von Antonin war es ein Lehrer vor dem Krieg, und während des Kriegs hat der sich um Tauben zur Nachrichtenübermittlung gekümmert. Das hat der Figur bereits einen Körper mit Inhalt gegeben. Dann hat der Film sich erzählt durch verschiedene Begegnungen, fünf Episoden insgesamt, wo die Hauptfigur Personen während des Krieges begegnet. Es ist eine Art Roadmovie während des Krieges. Ich erzähle also anhand von fünf verschiedenen Begegnungen den Film, die in Bezug aufeinander erzählt werden. Es ist wie, man arbeitet am Detail, und die Vision, die man hat, fügt sich erst später zusammen und bildet sich heraus.

 

An wie vielen Versionen haben sie gearbeitet und wie lange war der Prozess?

An etwa ein Dutzend Versionen. Das ist die normale Arbeitsweise. Wir haben an dem Projekt mit Recherchearbeit inklusive etwa anderthalb bis zwei Jahre gearbeitet. Und dann gab es die Phase der Findung von Finanzierungspartnern und die Phase der Fabrikation des Films. Im Ganzen etwa drei Jahre.

 

In Ihrer Arbeit als Regisseur haben sie ein festes visuelles und ästhetisches Konzept im Kopf oder entwickelt es sich beim Dreh?

 

Im Fall von Antonin's Stories habe ich sehr viel am Archivmaterial gearbeitet. Als Regisseur von Dokumentarfilmen hatte ich den Film visuell schon sehr klar im Kopf. Dann habe ich an einem anderen Film gearbeitet. Die Sachen sind nach und nach gekommen und haben sich entwickelt. Es gab eine sehr intensive Vorbereitungsarbeit. Ich hatte die Sequenzen klar im Kopf.

Wie haben sie die Schauspieler gefunden?

 

Es ging nicht über eine Agentur. Ich kannte die Schauspieler nicht, habe ihnen das Drehbuch und meinen letzten Kurzfilm zugeschickt. Ich habe ihnen erklärt, um welches Projekt es sich handelt und unter welchen Bedingungen es gedreht wird. Und sie haben positiv geantwortet.

 

Gab es produktionstechnisch Herausforderungen oder Probleme während des Drehs?

 

Es gab Probleme finanzieller Natur. Es ist ein Film, der mit geringen Mitteln hergestellt wurde. Für einen historischen Film dieser Epoche mit diesen Kostümen kann man ganz leicht darin verfallen einen Film zu machen, der diesen Erwartungen und Anforderungen nicht entspricht. Es gab Probleme mit der Dekoration und Komparserie. Wir haben nachgedacht darüber, wie man die Probleme löst und wie man die Mise en Scène dementsprechend gestaltet. Damit sie interessant für den Film ist und sich an die Möglichkeiten der Produktion anpassen sollte. Wir haben versucht in Absprache mit dem Kameramann durch Tricks diese Probleme zu umgehen.

 

Wie haben Sie es geschafft, den Film mit den wenigen Mitteln, die Ihnen zur Verfügung standen, so authentisch aussehen zu lassen?

 

Der Film hat in der Fabrikation etwa anderthalb Millionen Euro gekostet, was in sich selbst viel Geld ist. Für einen historischen Film ist es nicht viel Geld. Normalerweise ist so ein Budget in doppelter Höhe anzusetzen. Es ist wenig Geld, aber genug für das Filmmaterial, die Kostüme etc. Wir haben mit dem Kameramann und dem Kostümbildner viel in der Vorbereitung vor den Dreharbeiten zusammengearbeitet. Die meisten Kosten entstehen während der Dreharbeiten und nicht in der Vorbereitungsphase, in der wir uns die Szenen angeschaut haben und viel abgewägt haben. Dann sind wir auf den Set gegangen und haben die Kameraeinstellungen und Kamerawinkel vorbereitet. Die ganze Vorbereitung vereinfachte uns die Arbeit und hat uns Zeit und Geld bei den letztendlichen Dreharbeiten erspart. Daher gab es wenig Improvisation.

 

Welche Partner haben sich an der Finanzierung beteiligt?

 

Der Film ist durch das französische System "Avance sur Recette" finanziert worden, d. h. ein System mit öffentlichen Geldern finanziert und koordiniert durch das CNC. Sie haben uns auch für die Drehbuchentwicklung unterstützt. Rückzahlbar im Falle der Rückflüsse. Dann hatten wir eine Hilfe durch die Fondation GAN pour le Cinéma also für Erstlingsfilme, um die Kreation des französischen Kinos zu unterstützen, einen nationalen Förderer mit Regionaleffekt, wo wir gedreht haben, und die Eigenmittel des Produzenten und Verleihers.

 

Sie hatten keine Unterstützung vom Fernsehen. In Deutschland geht nichts ohne das Fernsehgeld. Wie war es möglich dieses Projekt zu stemmen?

 

Das ist richtig. Genauso ist es auch in Frankreich. Wenn ihr Projekt nicht teilweise von einem Fernsehsender finanziert wird, es ist unheimlich schwer ein Projekt zu finanzieren. Die Fernsehleute wollten nicht, weil sie das Thema zu schwer empfanden und mich auch nicht gut genug kannten. Ich hatte Kurzfilme gedreht, was aber nicht ausgereicht hat, sie zu überzeugen. Es gab kein Casting mit namhaften, renommierten Schauspielern. Und es war für die Produzentin ihr erster Film. Also hatten wir Elemente, wo sie nur nein zu sagen konnten. Einmal dann, wo sie den Film gesehen hatten, haben sie ihn gekauft. Allen voran Canal Plus, die den Film nach Sichtung kauften, weil er ihnen gefiel. Aber diese Hilfe vom Fernsehen zu Beginn hat dem Film natürlich gefehlt, und wir haben uns gesagt: "Was machen wir? Die Entscheidungsträger wollen nicht mitmachen, wir haben nur diese Mittel, aber wir glauben an den Film. Wir können es schaffen mit der Energie und Kreativität des Teams und ihn doch irgendwie außerhalb des Systems machen. Also haben wir es gemacht." Es ist nicht sehr komfortabel auf diesem alternativen Weg. Aber es war machbar in diesem Rahmen, das Projekt durchzuführen. Auf Produktions- wie auch auf filmischer Ebene. In der Erzählweise mit Flashbacks und der fragmentierten Zusammensetzung der Geschichte wie im Casting. Keine Schauspieler sind uns aufgesetzt worden, es war eine große kreative Freiheit. Am Ende waren wir sehr frei in unserem Schaffen.

 

Der Film ist eine absolute Low-Budget Produktion. Haben Sie angefangen zu drehen ohne die Finanzierung geschlossen zu haben?

 

Nein, wir wussten, wir haben dieses Geld und nicht mehr. Also haben wir zielgerichtet an alle Elemente gedacht, die nötig waren, um den Film zu machen. Der Produktionsleiter hat mir gesagt: "Wenn Du deinen Film machen willst, kannst du nicht mehr als vier Wiederholungen pro Einstellung machen. Nicht mehr!" Das kann man natürlich nicht so einhalten. Also muss man einen Kompromiss finden und bei der nächsten Einstellung weniger machen, wenn man vorher zuviel verbraucht hat. Ich fand diese Art zu arbeiten stimulierend, und die Schauspieler zu motivieren ihre Bestleistung nach wenigen Takes abzuliefern. Ich habe diese Arbeit sehr genossen. Einerseits begrenzt zu sein und zur selben Zeit aber kreative Lösungen finden zu müssen, um dasselbe Ergebnis zu bekommen. Die Leute wurden bezahlt, aber weniger als 50% des tariflich geregelten Verdienstes, mit ihrer Einstimmung natürlich. Man kann auch Filme machen aus Leidenschaft und nicht des Geldes wegen. Für das Interesse am Thema. Man spürt das in den Leuten, die da sind und miteifern. Auch die Schauspieler, sie sind mit ihren Gagen rückgestellt worden, d.h. im Falles eines Gewinns bekommen sie eine Beteiligung. Man fühlt, sie sind da, weil sie Lust dazuhaben. Das war eine Gesinnung, die unheimlich viel Energie erzeugt hat.

 

Herr Le Bomin, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Interview geführt von Roderik Helms

 

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