Hätte jemand Kay und Arnold Soames bei ihrer Heirat gesagt wie ihre Ehe nach dreißig Jahren aussehen würde, hätten sie wahrscheinlich gelacht: Routinemäßige Morgenabläufe, abends alleine vorm Fernseher einschlafen, getrennte Betten und vier Jahre lang kein Sex mehr.
Wiedersehen mit Brideshead
Regie: Julian Jarrold
Kinostart: 20. November
Tragik, Schicksal, in ihren Konventionen gefangene Menschen, und dies alles in edlen Bildern eingefangen – dies ist „Wiedersehen mit Brideshead". Dabei ist der Film weder wirklich schlecht noch wirklich gut. Noch eine Weile, nachdem man aus dem Kino gekommen ist, summt man vielleicht die melancholische, zur Geschichte gut passende Musik, und ein paar Stunden später hat man den Film bereits vergessen. Auch an die aufwendig photographierten Bilder vermag man sich nicht mehr zu erinnern, es bleibt letzten Endes überhaupt wenig übrig von der in großem Bogen und mit einem hohen Anspruch verfilmten Geschichte. Gleich zu Beginn des Films wird dieser Anspruch überdeutlich: Ein Mann, in Militäruniform, tritt in das Bild und philosophiert über sich selbst, sein Wesen und seine Gefühle und das, was übrigblieb: Schuld.
Eine Rückblende: 1922 kommt ein junger Mann, Charles Ryder, aus London in das exzentrisch-vornehme Oxford, um dort Geschichte zu studieren. Er selbst stammt aus einer Art Mittelschichtsfamilie, die weder richtig wohlhabend noch arm ist. Charles' eigentliche Liebe gilt der Malerei.
In Oxford macht er die Bekanntschaft mit dem jungen Adligen Sebastian Flyte, der sich in Charles verliebt. Letzterer jedoch hält Sebastian zwar hin, weist ihn aber nicht zurück. Das, was ihn weit mehr als die Beziehung zu Flyte zu interessieren scheint, ist dessen Familie, deren schlossartiger Landsitz Brideshead, überhaupt, der ganz andere Lebensstandart und, nicht zuletzt, Sebastians Schwester Julia. Obwohl sich die beiden Geschwister als „Heiden" bezeichnen und sich über den krankhaften Katholizismus ihrer Mutter, Lady Marchmain, lustig machen, offenbart sich bald mehr und mehr, wie sehr sie unter dem Einfluß ihrer Mutter stehen und wie sehr sie unter diesem Einfluß leiden.
Während einer Reise nach Venedig, auf der Sebastian und Julia in Charles' Begleitung ihren Vater besuchen, kommt es schließlich zu einer ersten Annäherung zwischen Charles und Julia. Es ist die Zeit des Karnevals und inmitten der vielen Menschen, der Verkleidungen und der ausgelassenen, provozierenden, beinahe dämonischen Stimmung, geschieht etwas, was die Beziehung zwischen den drei jungen Leuten vollkommen verändert. Diese Szenen sind beeindruckend gefilmt: Charles sieht Julia, die von einigen maskierten Menschen fortgerissen wird, er folgt ihr, sieht sie auf einer entfernten, mit Menschen verstopften Brücke und plötzlich befinden sich beide in irgendwelchen Gewölben und Gängen nahe des Wassers in vollkommener Einsamkeit. Vom Karneval ist weder etwas zu sehen noch zu hören und hier, in dieser stillen, verwunschenen Atmosphäre, kommt es zwischen den beiden zu einem Kuß. Und als sie bald darauf bemerken, dass sie doch nicht ganz alleine waren, sondern dass Sebastian sie beobachtet hat, laufen sie wieder tragisch, aber sehr schön durch die Einsamkeit der Lagunenstadt: dunkle, vom Schicksal verfolgte Gestalten vor Hauswänden, die tanzend das Wasser der Kanäle reflektieren.
Dieses Ereignis in Venedig bedeutet eine Zäsur. Das Verhältnis zwischen Sebastian und Charles kühlt sich ab. Es ist Sebastians Mutter, die Charles zurück nach Brideshead holt. Sie macht sich Sorgen um ihren Sohn, der mehr und mehr dem Alkohol verfällt und hofft, das Charles einen guten Einfluß auf ihn auswirkt. Gleichzeitig spielt sie jedoch ein böses Spiel, indem sie Charles offenbart, dass sie niemals ihre Einwilligung zu einer Hochzeit zwischen Charles und Julia geben würde, solange er nicht zum Katholizismus konvertieren würde. Dies aber lehnt Charles ab, worauf es schließlich zur Verlobung zwischen Julia und einem Mann kommt, der weniger zögerlich und weniger prinzipientreu ist als Charles. Die Bande zwischen den drei verlieren sich. Sebastian geht nach Marokko und Charles wird Maler und mit seinen Bildern sehr bekannt.
Erst einige Jahre später sieht er Julia an Bord eines Ozeanriesen wieder. Ihre Liebe flammt erneut auf, doch nur für kurze Zeit, denn am Ende des Filmes muß Charles einsehen, dass sich Julia niemals von jenen Ketten befreien wird, mit der ihre mittlerweile verstorbene Mutter sie einst fesselte. Nicht ihr unterschiedlicher Stand, sondern die Religion steht zwischen den beiden Leuten und verhindert ein gemeinsames Zusammenleben. Doch am Ende soll Charles trotzdem noch ein einziges Mal nach Brideshead zurückkehren ...
Angesichts der Schwere der Geschichte, der vielen unglücklichen Lieben, der letztendlichen Vergeblichkeit der Sehnsüchte der drei jungen Menschen, ist es erstaunlich, wie wenig das alles am Ende berührt. Einerseits liegt dies womöglich an der schicksalhaften, konsequent ins Tragische abstürzenden, jeder sympathischen Naivität entbehrenden Geschichte selbst, andererseits an einer gewissen Leblosigkeit der Inszenierung. Man merkt dem Film seinen Willen, die Menschen und die Schauplätze so perfekt wie möglich auszuleuchten und zu arrangieren, sehr wohl an. Allerdings fehlt dieser „Perfektion" Originalität, ein Hauch Unverwechselbarkeit, ein wenig Frische. Und trotz der traurigen Geschichte eine Art von Leichtigkeit, die das Große, das Unausweichliche vielleicht nicht ganz so ernst nimmt und es gerade dadurch zu tragen vermag.
Im augenscheinlichen Bemühen, dem Zuschauer die Tragik der Geschichte von der ersten Einstellung an zu verdeutlichen, liegt etwas, das am Ende keine Freiheit mehr lässt, eben diese Tragik am Ende vielleicht selbst zu entdecken. Sowohl der Film als auch die Zuschauer bewegen sich die ganze Zeit um eine Art Podest: ein Podest, welches der Film selbst erschaffen hat, das er jedoch zu keiner Zeit in der Lage ist, zu ersteigen, und auf dass die Zuschauer die Geschichte somit auch nicht begleiten können.
Gesehen von Paul Mittelsdorf
Wild Tigers I have known
Daten |
Wild Tigers I have known USA 2006 REGIE: Regie: Cam Archer DARSTELLER: Malcolm Stumpf, Patrick White, Max Paradise, Fairuza Balk |
Links zum Film |
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Regie: Cam Archer
Kinostart: 12. Juni 2008
„Wild Tigers I have known" erzählt die Geschichte von Logan, der sich sexuell zu Jungen hingezogen fühlt. Logan ist 13 Jahre alt und ihm passieren immer wieder Mißgeschicke. Er trifft einen älteren Jungen, Rodeo, mit dem er Freundschaft schließt. Inwieweit diese Treffen Realität sind oder nur eingebildet, wird nicht eindeutig ersichtlich. Diese Handlung ist verwoben mit jener von den Berglöwen, die irgendwo in den Wäldern wohnen und einen Jungen in der Schule getötet haben. Logan fühlt sich von diesen wilden Tieren angezogen, von ihrer Freiheit und ihrer Unberechenbarkeit. Dies sind Dinge, die ihm auch an Rodeo gefallen und die in ihrer Radikalität, in ihrer Fähigkeit, zu verletzten und am Ende vielleicht sogar zu zerstören, den Jungen aus seinem Alltag ausbrechen lassen.
Eine schlüssig erzählte Geschichte erzählt der Film nicht. Viel mehr bietet er Einblicke in das Leben des 13-jährigen. Er deutet das sowohl problematische als auch liebevolle Verhältnis zu seiner noch jungen Mutter an, beschreibt Logans poetische und in sich gekehrte Ader, auch sein Desinteresse an der Freundschaft zu einem anderen, ebenso einsamen Jungen. Manche der Szenen des Films sind sehr humorvoll, auf eine leise, sehr beiläufige Art, die in ihrer Schlichtheit jedoch fast schon kühl und distanziert erscheint.
Diese Distanz trifft auf den ganzen Film zu. Seine Protagonisten sind alle gelangweilt. Gelangweilt vom Leben, nimmt man als Zuschauer an, denn Anhaltspunkte für die Lustlosigkeit der meisten Protagonisten findet man keine. Diese Langeweile zelebriert der Film in unglaublich langen Einstellungen. Immer wieder werden verschiedene Details ausführlich gefilmt: Schritte, Stromleitungen, herumliegende Luftballons. Man erblickt Logan mit blutender Nase: 12 Sekunden. Danach sieht man ihn im Partyraum stehen: 40 Sekunden. Dann eine ewig lange Blende, woraufhin die nächste lange Szene folgt: Logan vor einem Spiegel, der Wasserhahn, Logans Gesicht: 34 Sekunden. So vergeht der Film und schleicht in den meisten seiner Teile von einer Ewigkeit zur nächsten.
Beide Welten, die eingebildete als auch die tatsächliche, unterliegen einer sehr eigenwilligen Farbgebung. Blau-, Gelb- und Rottöne stechen oft hervor und verfremden das Bild. Die Szenen mit Rodeo sind in grellen, überzeichneten Farben gefilmt, sie spielen im Sommer oder Herbst und spiegeln eine verwunschene, bedrohliche Idylle wieder. Zum Teil sind diese Bilder sehr schön und in einigen Momenten außergewöhnlich, verlieren aber durch die Verfremdung der Farben an Authentizität und Wucht.
„Wild Tigers I have known" ist ein insgesamt kühler und leidenschaftsloser Film. Die Geduld, mit der er sich seinen Bildern widmet, unterliegt weder ein psychologischer Hintergrund noch eine Originalität, die die Länge der einzelnen Einstellungen rechtfertigen könnte. Warum die Menschen so sind, wie sie gezeigt werden, spielt keine Rolle. Und auch die Art, in der sie dem Zuschauer erscheinen, ist sehr einseitig. Sie wirkt immer wieder gleich, vergeblich sucht man nach Schattierungen der Persönlichkeit der verschiedenen Charaktere. Einzig Logans Mutter bricht aus diesem Schema aus. Ihre Art zu spielen, wirkt angenehm ungezwungen, sie ist überhaupt der einzige Charakter des Films, dem es gelingt, den Zuschauer hin und wieder zu überraschen.
Das Zusammenspiel von jener beiläufigen Erzählweise, die der Film pflegt, den Verwirrnissen des Erwachsenwerdens, der in die Normalität einbrechenden Berglöwen und der Hingezogenheit Logans zu diesen, besitzt großes erzählerisches Potential. Regisseur Cam Archer hat mit seinem Erstlingswerk sicherlich einen ungewöhnlichen Film geschaffen, aber auch einen übertrieben sperrigen Film, der einzig und allein von seiner befremdlichen, von ewig langen Einstellungen und grellen Farben dominierten Ästhetik dominiert wird, die die originellen Aspekte des Films vollkommen erdrückt. „Wild Tigers I have known" ist ein schöner Titel, die Sehnsucht aber, die in ihm liegt, bleibt dem gleichnamigen Lied am Ende vorbehalten. In den 80 Minuten vor diesem wird man, was Erwartungen dieser Art betrifft, leider größtenteils enttäuscht.
Gesehen von Paul Mittelsdorf