Es ist ein Tabu und wird ungerne angesprochen, doch die Konsequenzen sind gravierend für die Filmkultur. Viele Dramaturgen sind in den letzten Jahren so etwas wie die Unternehmensberater der Drehbuch-schreibenden Zunft geworden. Sie schauen, ohne wirklich in den Milieus, den Figuren oder der Stoffrecherche zu stecken, von außen auf das Produkt und wenden die immer gleichen, vornehmlich von den amerikanischen Drehbuchpäpsten aufgestellten Regeln ziemlich fantasiefrei auf jedwedes Drehbuch an.
Ganz so wie die Controller und Analysten in Wirtschaftsunternehmen es tun, ohne die Seele, den Kern des Unternehmens, welches sie im Zweifel vollständig zerlegen, zu begreifen und die inneren Wahrheiten und Zusammenhänge einer gewachsenen Struktur je auch nur ansatzweise zu erkennen. All dies tun sie, ohne sich je irgendeines Fehlers bewusst zu werden, weil sie schließlich eine der gängigen Business-Theorien mustergültig angewendet haben.
Es gibt sie noch, die kritischen, die kreativen, die neugierigen Dramaturgen, doch sie sind in der Minderzahl. Man darf die Augen nicht verschließen vor der Realität: Viele Dramaturgen, Drehbuchberater oder "Script-Doktoren" haben es einfach nie geschafft, als Drehbuchautoren zu reüssieren, wie auch viele der Firmenberater nie ein eigenes Unternehmen haben auf die Beine stellen können. Und doch haben Sie, wenn sie denn einmal auf ein bestimmtes Projekt angesetzt werden, eine unglaubliche Macht. Im Filmbereich hat diese in den letzten paar Jahrzehnte dazu geführt, dass in immer mehr Filmen letztendlich immer das Gleiche in immer ähnlicherer Abfolge geschieht. Lediglich die äußere Anmutung und Verpackung wird, wenn überhaupt, noch variiert.
Mit inzwischen erschreckender Regelmäßigkeit werden die, zum großen Teil auf Aristoteles basierenden, Theorien erweitert durch individuelle Beobachtungen der jeweiligen amerikanischen Drehbuch-Ratgeber, an internationalen Spielfilmproduktionen und TV-Movies abgearbeitet. Die Bücher von Linda Seeger, Eugene Vale, Syd Field oder Blake Snyder haben ihren Autoren weitaus höhere Auflagen beschert, als sie es mit einem echten Roman oder Drehbuch je hätten erzielen können.
Heldengesetze
Es ist mitunter schon ein Gesetz, dass der Zuschauer die heldenhafte Hauptfigur lieben können muss. Weil Filme wenig Erzählzeit haben, darf diese Liebe nicht etwa durch das Begreifen der vorgestellten Figur und ihrer Eigenheiten geschehen, sondern durch höchst vereinfachende Momente sichergestellt werden. Man lässt also den Helden, die Heldin gleich zu Beginn etwas Gutes tun. Drehbuchpapst Snyder etwa hat das konkret benannt, Helden sollen gleich zu Beginn des Filmes "eine Katze retten", ganz so wie es Sigourney Weaver 1979 in Alien tat. Natürlich dürfen die Helden in den ersten Filmminuten ersatzweise auch andere Tiere oder Menschen retten.
Malen nach Zahlen
Sind die Filmhelden erst regelgerecht eingeführt, werden auf ihrer ebenso durchgeplanten "Heldenreise" minutiös genau die Gegenspieler eingeführt, an verschiedenen Wendepunkten immer wieder ins Spiel gebracht und irgendwo im letzten Drittel zu ihren übelsten Angriffen in Stellung gebracht. Je nach Beraterbuch schwanken die vorgeschriebenen Seitenzahlen minimal, schließlich wollen auch Drehbuchpäpste nicht beim Abschreiben erwischt werden. Natürlich müssen unsere Filmhelden einen ganz tiefen Tiefpunkt erleben, aus dem sie sich erst gegen Ende des Filmes überraschend heraus retten können.
Konformismus lähmt die Kreativität
Dadurch sind so viele Filme vorhersehbar, so ähnlich geworden. Die Ursachen liegen sicher in verschiedenen Aspekten begründet. Einmal herrscht gerade bei den dreistelligen Millionenbeträgen, die in den USA in Großprojekte gesteckt werden, eine unglaubliche Angst, auch nur das geringste Risiko des Scheiterns zuzulassen. Weshalb man gängige Erfolgsmuster immer und immer wieder kopiert. Andererseits ist Drehbuchschreiben eine mühsame, nicht selten schmerzhafte Angelegenheit. Manche Autoren arbeiten oft jahrelang an ihren Büchern, nicht zuletzt auch um nach den langwierigen Prozessen des immerwährenden Überarbeitens, die innere Wahrheit des Stoffes herauszufinden. Da ist es mehr als nachvollziehbar, dass man sich gerne an Strohhalme klammert.
Leider aber tun diese in Form von dramaturgischen Beratern, den Drehbüchern nicht immer gut. Im Gegenteil, man hat häufiger das Gefühl, dass Bücher ihre Individualität, Ihre Liebe, Wut, Sehnsucht, Verrücktheit, was auch immer es war, dass die Autor-inn-en an diesen Stoff gefesselt hat, durch die dramaturgische Beratung, weitgehend verloren haben.
Das Problematische an diesen Rezepturen ist, dass sie häufig völlig blindwütig über Stoffe gestülpt werden, die das Potential hätten, wahrhaftig, überraschend, frisch, ja manchmal sogar innovativ zu sein. Seltsamerweise waren es in der Filmgeschichte eher die anderen, die besonderen Dramaturgien, die das Publikum weltweit begeistert haben. Hätte die Kompositionslehre in der Musik ähnlich eng an alten Strukturmodellen festgehalten, wäre unsere Musikkultur um einiges ärmer. Nichts gegen Struktur und Regeln, doch nicht selten, verlangt ein individueller Stoff auch nach einer zutiefst individuellen Struktur.
Fortschrittliche Drehbuchberatung sollte deshalb dazu beitragen, der Versimplifizierung der Bücher entgegen zu wirken, deren Kern zu erkennen und zu bewahren und das, was das wahre Leben so unverwechselbar macht, die Überraschung, das Unvorhersehbare, auch wieder in unsere Filme hinüber zu retten. Wir brauchen mehr mutige, mehr schräg denkende Dramaturginnen und Dramaturgen, wenn unsere Filme wieder frisch und aufregend werden sollen.