Mehr als Worte
Nicht nur in den Daily Soaps, auch in veritablen Filmen begegnet man immer wieder Schauspielern, welche die gestalterischen Möglichkeiten von Stimmen in keiner Weise nutzen. Sie sprechen undifferenziert und facettenarm. Ob es an der Mode, "cool" zu sein, an veränderten Sprechgewohnheiten oder mangelnder Schauspielausbildung liegt, mag dahingestellt sein. Und dann wieder begegnet man in Filmen, Hörspielen oder im Theater Stimmen, die unser Blut gefrieren lassen, oder uns in ihren Bann ziehen, uns schwärmen und alles um uns vergessen lassen. Menschen verlieben sich am Telefon in Stimmen fremder Menschen, lassen sich einschüchtern von machtbesessenen Cholerikern.
Wer sich mit darstellender Kunst, mit Schauspiel mit Regie beschäftigt, darf die Stimme als gestalterisches, ja magisches Element nicht außer acht lassen.
Das Instrument
Lunge, Kehlkopf und Lippen, das sind die Werkzeuge, die unsere Stimme erklingen lassen. Strömende Luft lässt Membranen schwingen, deren Klang durch Kehlkopf, Rachen, Nasenraum und Lippen geformt wird. Letztlich handelt es sich bei unserer Stimme um ein Instrument, mit dem unzählige verschiedene Töne und Klangfarben erzeugt werden können. Die Steuerung wiederum wird durch unser Gehirn bestimmt, womit all unsere Erfahrung, unsere Persönlichkeit und unsere Emotionen mit ins Spiel kommen. Auch die Besonderheiten, das sogenannte Lautrepertoire, welches wir in der Zeit unserer Sprachentwicklung von den Eltern gehört haben, spielt eine große Rolle. Schließlich lernen wir ja nur durch das Zuhören selber sprechen und zwar so, wie wir es in der Kindheit gehört haben.
Im Gegensatz zu den geschriebenen Zeilen im Drehbuch ist die Stimme in der Lage, jenseits der gesprochenen Inhalte, Intonation und Emotion zu übermitteln. Wie der Begriff keineswegs zufällig schon sagt, kann die Stimme nicht nur Worte, sondern "Stimmungen" vermitteln. Sie reflektiert unseren Atem, unsere Seele, kann andere Menschen in ihren Bann ziehen oder abstoßen, Vertrauen erzeugen oder Zweifel.
Es gibt reine, klare, aber auch gebrochene, raue Stimmen. Manche sind warm, anziehend, erotisch, andere metallisch und hart. Über die reine Veranlagung hinaus, können Krankheiten wie Erkältung oder Heiserkeit den Klang beeinflussen.
Sprechtechniken
Zum Ausbildungsprogramm jeder Schauspielschule gehört Sprechtechnik. Dabei werden grundlegende Abläufe und Fähigkeiten vermittelt, die das, was wir unbewusst tagtäglich tun, steuerbar macht. Stimmen lassen sich in gewissem Umfang gestalten und trainieren ohne, dass die Individualität des Menschen verloren geht.
Sprechen bedeutet Ausatmen
Die Stimmbänder oder auch Stimmlippen genannt, erzeugen eine Vibration, ein Geräusch, welches erst durch Rachen und Nasenraum eine individuelle Klangfarbe, ein eigenes Timbre bekommt. Die Intensität unseres Atems, die Größe der Mundöffnung, die Haltung der Zunge und des Kiefers erzeugen die einzelnen Buchstaben, die Worte. Die Länge der Stimmbänder bestimmt die Tonhöhe der Stimme. Bei Männern sind diese im Allgemeinen etwa 25 Millimeter, bei Frauen ca. 18 Millimeter lang.
Eine verantwortungsbewusste Sprecherziehung sollte stets bemüht sein, die Individualität einer Stimme zu bewahren und zu unterstützen. Eine technisch perfekte Stimme, neutral und ohne viel Charakter mag vielleicht für Nachrichtenvermittlung oder Lautsprecherdurchsagen geeignet sein, im Film aber ist sie genauso uninteressant wie die eingangs erwähnten coolen Daily-Soap-Darsteller.
Bei der Sprecherziehung, insbesondere für die Theaterbühne, spielt auch die klare und deutliche Aussprache eine wichtige Rolle. Dabei werden unter fachlicher Anleitung nicht wirklich sinnige Sätze mit besonderen Sprachmustern geübt und wiederholt. "Zwei zahme Zebras zürnen der zynischen Giraffe"; "Runde Reifen rollen rasend den rutschigen Abhang herunter."
Bewertungen
In unserem Kulturkreis wird die Tonhöhe einer Person auch herangezogen zu ihrer Bewertung. Hohen, schrillen Stimmen unterstellt man eher Unsicherheit, Kindlichkeit, während tiefere Stimmen als vertrauenswürdig und erfahren gelten. Die Atemtechniken für Schauspieler zielen deshalb auch darauf ab, die Stimmen tiefer und kräftiger werden zu lassen. Insbesondere für männliche Off-Stimmen (Kommentare, Voice Over etc.) gilt heute die sonore männliche Stimme als ideal. Dünnere Stimmen, wie etwa die des genialen Christian Brückner (Synchronstimme etwa von Roberto de Niro) sind nach wie vor die Ausnahme.
Das war nicht immer so. In den frühen Tonfilmen zielte das weibliche Schönheitsideal auf möglichst hohe Stimmen. In vielen Kulturkreisen, etwa in Asien, gilt es für Frauen auch heute noch als schön, eine hohe Stimme zu haben.
Stimmen, die teilweise leicht flüsternd, fistelnd klingen, erwecken Nähe, Vertrautheit. Doch nur bis zu einem gewissen Grade. Überwiegt das Flüstern, interpretiert man auch leicht Falschheit, Weichlichkeit hinein. Der Informant, der Verräter in Spionagefilmen wird gerne mit einer solchen Stimme ausgestattet.
Stimmungen
Nicht nur die rein physikalischen Faktoren, sondern auch unsere innere Befindlichkeit bestimmen den Klang der Stimme. Ob sie monoton und kraftlos, oder hell und heiter klingt, bestimmen auch unsere Gefühle, unsere aktuelle Kraft. Nervosität und Anspannung schlagen sich auf unsere Stimme ebenso aus wie emotionale Nähe, Unsicherheit, Schüchternheit. Wahrheit lässt unsere Stimme fester klingen, als die Lüge, Zufriedenheit lässt sie ruhiger, Unzufriedenheit nervöser klingen.
Eine vibrierende Stimme (Tremolo) bringt man mit Nervosität, Anspannung oder sogar Angst und Panik in Verbindung.
Nicht die Inhalte, sondern die Art dessen, was Filmfiguren sagen, ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Szenen. Und auch die Sympathieverteilung der Zuschauer auf die Figuren erfolgt, genau wie im wirklichen Leben, sehr intuitiv und unbewusst, neben dem Aussehen, durch die Stimmen. Und auch das Interesse für das, was die Figuren sagen, hängt von der Stimme und Betonung ab. Selbst öde, langweilige Dialoge können durch eine wohlklingende Stimme aufgewertet, ja reizvoll werden.
Romantische oder gar erotische Stimmen sind häufig weniger kraftvoll sondern eher dahingehaucht. Die Spracherzeugung ist dabei mit viel Atemluft verbunden.