Blicke und Richtungen
Ein Zauberwort, welches regelmäßig zu intensiven Diskussionen am Drehort führen kann. Jeder behauptet von sich, genau zu wissen, worum es sich dabei handelt, wie man ihn erkennt und vor allem, wie man ihn vermeidet. Und doch... So gut wie jedem Kameramann, jeder Kamerafrau, Regisseur*In, Regieassistent*In ist es schon einmal passiert, dass man sich mit den Achsen geirrt hat...
Eine Szene wird meistens in verschiedene, einzelne Einstellungen aufgelöst. Eine einfache Auflösung wäre die, zunächst den Raum und die Situation mit einer Totalen zu beginnen. Danach kann man mit einer „Zweier“, in der beide Figuren in einer Halbnahen zu sehen sind, fortfahren. Um die Situation des Dialogs noch zu verdichten, wird man zuletzt Nahaufnahmen von ihr und ihm machen. In der einfachsten Form würde dies vom Stativ aus geschehen. Man dreht dann meistens nacheinander den Dialog oder die Blicke der beiden Personen nacheinander. Erst eine Nahaufnahme mit sämtlichen Dialogen oder Blicken von ihr und danach von ihm. Da man ja dann beim Zusammenschnitt immer nur eine der beiden Personen sieht, die dann in eine bestimmte Richtung außerhalb der Bildausschnitts, nämlich zur anderen Person schaut, ist es wichtig, dass die Blickrichtung da möglichst genau stimmt. Das bedeutet, der Winkel in dem die Kamera die Personen in der Nahen aufnimmt, sollte möglichst ähnlich sein, damit die Blickrichtungen stimmen.
Und,- jetzt kommen wir zu der Problematik des Achsensprungs,- die Kamera sollte sich für diese Nahaufnahmen stets auf der gleichen Seite einer gedachten Achse befinden. Was bedeutet das genau? Der Spielraum, in dem der Kameramann / die Kamerafrau die Positionen problemlos verändern kann, ohne einen Achsensprung zu verursachen, ist im Prinzip vor einer gedachten waagerechten Linie (Abb. Gestrichelt Gelb), mit der man in der Totalen bzw. Halbtotalen die beiden Darsteller miteinander verbinden würde. Diese gedachte Linie zwischen den Hauptfiguren in der Szene sollte von der Kamera nicht überschritten werden.
Das ist unsere Achse, die wir innerhalb unserer Szene nicht überspringen dürfen. Solange die Kamera vor dieser Linie, also in der Abbildung dem grünen Bereich des Kreises, bleibt, gibt es auch keinen Achsensprung. Wenn die Nahaufnahmen, die später ja aufeinanderfolgend aneinander geschnitten werden, von der richtigen Seite der Achse aus aufgenommen werden, schauen sich die Darsteller im späteren Film auch tatsächlich an, blicken sie in die richtigen Richtungen.
Das Prinzip, die 180 Grad Regel, wurde bereits in der Frühzeit des Films entwickelt und ist dem Theater,- dem Vorläufer des Kinos entliehen. Dort gibt es eine klare Trennlinie ziwschen dem Zuschauerraum und der Bühne. Die Kante der Bühne ist quasi die Trennlinie, die Achse. So wie die Zuschauer die Schauspieler nur von dem Zuschauerraum aus sehen können, so muss dann auch die Kamera auf dieser einen Seite bleiben. Das stellt sicher, dass die Körperhaltung, Blicke etc. der Schauspieler zueinander stimmen. Natürlich könnte die Kamera im Gegensatz zu den Theaterzuschern auch auf die andere Seite, also auf die Bühne hinter die Schauspieler springen, doch auch dort gilt dann die Regel, dass die Kamera auf dieser Seite der Achse bleiben muss und nicht beliebig hin,- und herspringen darf.
Natürlich wird das heute nicht mehr so streng gesehen, wie in den ersten 100 Jahren Filmgeschichte. Man kann die Zuschauer natürlich auch mit irritierenden Schnittfolgen konfrontieren, ähnlich wie dereinst der Nouvelle Vague Regisseur Jean-Luc Godard die Zuschauer bei "Außer Atem" mit Jumpcuts provozierte. Wer allerdings möchte, dass der Filmschnitt als solcher von den Zuschauern nicht bemerkt wird, sollte auch im 21ten Jahrhundert darauf achten, nicht über die Achse zu springen.
Richtig
Sobald jedoch die Kamera für eine der Nahaufnahmen etwa über die Achse springen würde, schauen sich im späteren Schnitt die Schauspieler nicht mehr an. Beinahe wirkt es, als ob einer von beiden sogar bewusst wegschaut. Ein Fehler, der die ganze Szene ruinieren kann!
Falsch
Also: Was immer Ihr auch dreht, wo immer Ihr auch seid: Zieht eine imaginäre Linie zwischen den beiden Filmfiguren. Bei Personen im Gespräch verläuft unsere Achse zwischen diesen verbindend. Bleibt mit der Kamera immer vor dieser Linie. Dann klappt´s auch mit den Achsen. Natürlich gibt es auch Szenen mit mehr als zwei Personen, doch auch da kann man Richtungen berücksichtigen. Gleiches gilt natürlich auch, wenn sich Filmfiguren durch das Bild bewegen,- etwa wenn sie gehen oder queren. Auch hier muss die Kamera auf einer Seite der Bewegungsachse bleiben, damit die Bewegungsrichtung auch beim Umschneiden auf eine andere Einstellungsgröße gleich bleibt. Wenn das Kind aber mal in den Brunnen gefallen ist und man einen Achsensprung mit in den Schneideraum gebracht hat, sollte man auch nicht verzweifeln. Entscheidend sind die Emotion, das starke überzeugende Spiel der Schauspieler*Innen,- wenn das stimmt, verzeihen die Zuschauer auch mal einen Achsensprung.
Wenn man aus irgendwelchen Gründen doch mit der Kamera über die Achse springen muss, dann sollte man beim Umschnitt eine Einstellungsgröße zeigen, in der beide Personen im Bild sind. Dann erkennen die Zuschauer sofort, wo die Positionen zueinander stehen. Oder aber man bewegt sich mit laufender Kamera, etwa per Handkamera, Schienenfahrt, mit der Steadicam, einem Gimbal etc. über die Achse, dann ist für die Zuschauer die Neuorientierung ebenfalls möglich.