Die 51. Solothurner Filmtage
21. - 28. Januar 2016
Überschaubar liegt das Barockstädtchen Solothurn an den Ufern der Aare. Seine jährlich stattfindenden Filmtage genießen international ein hohes Ansehen. In diesem Jahr übertraf der Zuschauerstrom aus dem In- und Ausland alle Erwartungen mit über 65.000 TeilnehmerInnen.
Die alljährliche Leistungsschau umfasst Dokumentar-, Spiel-, Experimental-, Kurz- und Animationsfilme sowie Musikclips. Das Rahmenprogramm bietet dem Publikum einen direkten Dialog mit den Filmschaffenden. Und nicht zuletzt wählt das Solothurner Publikum anlässlich der Filmtage die Nominierten für den Schweizer Filmpreis.
187 Filme wurden geboten, ein für acht Tage sehenswertes Repertoire unter der Leitung der Direktorin Seraina Rohrer. 18 Beiträge davon feiern an den 51. Filmtagen ihre Weltpremiere. Einer von ihnen ist der Eröffnungsfilm «Die Schwalbe» von Mano Khalil. Die Hauptfigur Mira aus der Schweiz sucht ihren totgeglaubten Vater und macht dafür vor nichts Halt, auch nicht vor einer kurzentschlossenen Reise in den krisengeschüttelten Irak. Das Drama ist als einziger Spielfilm neben Dokumentationen für den prestigeträchtigen «Prix de Soleure» nominiert.
1. Prix de Soleure
Der Jurypreis wurde in diesem Jahr bestimmt von dem Regisseur Calin Peter Netzer, der Diplomatin Heidi Tagliavini und der Schauspielerin Julia Jentsch.
«Das Leben drehen – Wie mein Vater versuchte, das Glück festzuhalten» erhielt den ersten Platz.
Den mit 60.000 Franken dotierten Hauptpreis gewann die Basler Regisseurin Eva Vitija für ihrem Abschlussfilm an der Züricher Hochschule der Künste. Die Dokumentation ist eine filmische Umsetzung über das Filmen der eigenen Familiengeschichte.
Joschy Scheidegger hinterließ seiner Tochter einen Erinnerungsberg aus archiviertem Bild und Ton. Die private Welt vor die Linse zu bekommen, war eine Obsession des ehemalige Schauspielers und Fernsehregisseurs, die innerhalb der Familie kaum Privatsphäre achtete. Archiviert wurden nicht nur besondere Anlässe. Hinter Kuriosem, Normalem und Banalem entdeckt die Autorin eine Subebene des Verschwiegenen. In ihrem Film kommen Zeitzeugen zu Wort, die vertuschte Lebenslügen und tief wurzelnden Schmerz vor der Regisseurin aufdecken.
Die Jury entschied sich für "Das Leben drehen" als den ersten Platz von neun Nominationen. Die künstlerische Erinnerungsarbeit, so die Begründung der drei Juroren, zeugt von dem Mut der Regisseurin, ihr eigenes Leben und die Geschichte ihrer Familie aufzuarbeiten.
Getragen wird der Hauptpreis vom Fonds «Prix de Soleure» sowie dem Kanton und der Stadt Solothurn. Die Preissumme von 60.000 Franken geht je zur Hälfte an Regie und Produktion. Der Wettbewerb "Prix de Soleure" ist thematisch ausgerichtet. Zur Wertung kommen ein ausgeprägter Humanismus und eine eindrucksvolle filmische Umsetzung. Seit acht Jahren nominiert die Auswahlkommission der Solothurner Filmtage für diese Sparte jährlich fünf bis zehn Dokumentar- und Spielfilme.
Der Debütfilm «Das Leben drehen – Wie mein Vater versuchte, das Glück festzuhalten» startet am 5. Mai 2016 im Kino.
Prix du Public
Das Publikum der Solothurner Filmtage erkor in diesem Jahr "Lina" zu seinem Favoriten. Der mit 20.000 Franken dotierte Preis ging an den Regisseur Michael Schaerer.
1969 kommt die 17-Jährige Protagonisten Lina nach einem Zwangsaufenthalt in einem Umerziehungslager und wegen Fluchtversuch aus dieser Anstalt in ein Gefängnis endlich wieder nach Hause. Der Grund für die damals in der Schweiz übliche Zwangsmaßnahme der Fürsorge war ihre Schwangerschaft. Ein zu der Zeit angebliches Zeugnis liederlichen Lebenswandels. «Administrativ versorgt» wie damals der Fachausdruck lautete, kam ihr Kind während der Gefangenschaft zur Welt und wurde sofort zur Adoption freigegeben. Nach Jahrzehnten steht der von Lina schwer vermisste Sohn mit eigener Tochter vor der Tür.
Das düstere Kapitel schweizerischen Unrechts hat seine Gültigkeit bis in die Neuzeit nicht eingebüßt. Ab 1942 konnten selbst unschuldige Jugendliche und Erwachsene ohne Anhörung oder Gerichtsurteil von der Verwaltungsbehörde weggesperrt werden, wenn sie nicht in das konventionelle Verhaltensschema passten. Rekursmöglichkeiten wurden den mehr als 50.000 Opfern verweigert. Erst 1981 verbot die Europäische Menschenrechtskonvention dieses inhumane Verfahren.
Seit 2007 bieten die Festival-Hauptsponsoren Schweizerische Post und Swiss Life in jedem Jahr rund zehn Filme im Abendprogramm zur Abstimmung an. Der Publikumspreis geht mit "Lina" an ein ergreifendes wie schonungsloses Drama, das in Solothurn seine Uraufführung erlebte. Das Publikum erkannte im neuen Film von Michael Schaerer die generationsübergreifende Wirkung von Traumata und Trauerverarbeitung.als eine ihm zugewandte und antwortete mit gebührendem Applaus.
Die Erstausstrahlung erfolgte am 21.02.2016 auf SFR1.
Schweizer Fernsehpreis 2016
Für ihre Rolle der Lina gewinnt Rabea Egg als Beste weibliche Hauptdarstellerin den Schweizer Fernsehpreis 2016. Die 17-Jährige besucht zur Zeit noch das Gymnasium. Sie ist die herausragende Neuentdeckung an den Solothurner Filmtagen, wo der Spielfilm seine Uraufführung feierte.
Die diesjährige Jury setzt sich aus dem Schauspieler Jonathan Loosli, der Producerin Aline Schmid und Seraina Rohrer zusammen. Die von Swissperform gestifteten Fernsehfilmpreise werden seit 2001 verliehen, seit 2010 im Rahmen der Solothurner Filmtage.
Upcoming - Förderpreise und Entwicklungsbeiträge
"Upcoming", das ist seit 2012 der begehrte Wettbewerbspool für junge Filmschaffende. Das Solothurner Filmfest bietet dem talentierten Nachwuchs gleich in drei Kategorien öffentliche Aufmerksamkeit und einträgliche Gewinnchancen. Der Vorteil liegt auch bei den FestivalbesucherInnen, denn "Upcoming" präsentiert aktuelle Tendenzen junger Kreativer. Unterstützung erhält das Projekt durch das Engagement "Kulturprozent" des Schweizer Unternehmen Migros.
Die Solothurner Filmtage rücken junge Talente mit den drei Programmen «Upcoming Lab», «Upcoming Talents» und «Best Swiss Video Clip» ins Rampenlicht. Während die Wettbewerbe «Upcoming Talents» und «Best Swiss Video Clip» herausragende, kurze Filme von Studierenden und Musikvideos präsentieren und auszeichnen, baut das «Upcoming Lab» Brücken, die jungen Filmschaffenden den Einstieg ins Berufsleben erleichtern sollen.
«Upcoming Talents»
Der Nachwuchspreis von 15.000 Franken geht in diesem Jahr an Juliette Klinke und Thomas Xhignesse für den Film "Nelson", gesponsert von SUISSIMAGE / SSA (Schweizerische Genossenschaft für Urheberrechte an audiovisuellen Werken/Schweizerische Urheberrechtsgesellschaft für dramatische und audiovisuelle Werke).
Die Jury aus Kameramann und Regisseur Ramòn Giger, Regisseur Zoltán Horáth und Dokumentarfilmer Kaspar Kasics überzeugten der unerwartete Blickwinkel auf sexuelle Initiation jugendlicher Männer. Existenzielle Erfahrungen von Neugier bis zum Bedürfnis nach Geborgenheit authentisch darzustellen, das gelingt dem Regie-Duo durch humorvolle wie einfühlsame Herangehensweise. Die beiden Filmemacher studieren zur Zeit am belgischen Institut des Arts de Diffusion in Louvain-la-Neuve. Ihr Beitrag ist einer von 16 kurzen Spiel-, Dokumentar- und Animationfilmen.
«Upcoming Lab» Projektentwicklungs-, Netzwerk-, und Feedbackplattform
Frisch im Wettbewerbsangebot, nicht im Festivalheft 2016 nachzulesen und schon ein Erfolg: Die Fördergemeinschaft SUISSIMAGE und SSA stiftet erstmals 10.000 Franken für zwei Entwicklungsbeiträge. Prämiert wurden die Französin Khadija Ben-Fradj für das Projekt «Petit frère» und die Schweizer Zahra Vargas und Andreas Fontana für "Nothingwood".
Das «Upcoming Lab» bietet einen breiten Spielraum an Filmlängen und Genrevielfalt. Zur Auswahl kommen Projektideen von AbsolventInnen internationaler Filmhochschulen deren Studienabschlüsse MA oder BA maximal zwei Jahre zurückliegen. Bis zu acht ausgewählten Beiträgen aus allen Sprachregionen werden in One-to-One Meetings von sechs ExpertInnen der Schweizer Filmbranche aufgearbeitet. Auf die Ausschreibung für die diesjährigen Solothurner Festtage bewarben sich rund 60 junge Filmschaffende.
«Best Swiss Video Clip»
m4music, die Solothurner Filmtage, die Fondation SUISA und JOIZ bieten zum fünften Mal die Chance auf den besten Schweizer Videoclip des Jahres. Je 5.000 Franken erhalten die Gewinner für den Jury- und den Publikumspreis.
Für den «Best Swiss Video Clip» 2016 sind «Décor» von Ursula Meier, «Funeral March» von Fabian Chiquet, «Hashtag» von Haris Dubica, «Jung verdammt» von Joder von Rotz und «Through my Street» von Piet Baumgartner nominiert.
Die Auswahlkommission des Programms «Best Swiss Video Clip» selektionierte aus 238 Einreichungen eine Shortlist aus 17 Musikvideos. Die Preisverleihung erfolgt am Samstag, 16. April 2016, an der Awardshow von m4music in Zürich.
Panorama
"Das «Panorama» ist das Herzstück des Festivals. Es zeigt aktuelle Schweizer Produktionen aller Genres und Längen: Spiel-, Dokumentar-, Experimental-, Kurz- und Animationsfilme. "Dabei wird der Schweizer Film primär über die Herkunft der Regisseurin oder des Regisseurs definiert." Hinter der knapp gefassten Auslegung seitens der Festivalveranstalter entblättert sich ein Kaleidoskop cineastischer Bilderflut.
Trickfilm-Wettbewerb
Die Publikumspreise der SUISSIMAGE / SSA für die drei besten Trickfilme werden vergeben an Yulia Aronova für «One, Two, Tree» mit einem Preisgeld von 5.000 Franken, Simon Schnellmann für «Das Leben ist hart» erhät 3.000 Franken und «Ivan's Need» von Veronica L. Montaño, Manuela Leuenberger und Lukas Suter wird mit 2.000 Franken dotiert. Die Preisverleihung des Trickfilmwettbewerbs erfolgt zusammen mit dem Upcoming Award im Kino im Uferbau.
Prix d'honneur - Preis der Filmpublizistik
Antoine Jaccoud erhält anlässlich der Solothurner Filmtage den Ehrenpreis als Schweizer Persönlichkeit, die sich in besonderer Weise um die Schweizer Filmkultur verdient gemacht hat. Die Auswahlkommission des Festivals überreicht erstmals einem Drehbuchautor den mit 10.000 Franken dotierten Preis.
Der erfolgreiche Autor, Schriftsteller und Regisseur wurde 1957 in Lausanne geboren. Als Journalist arbeitete er beim Wochenmagazin «L'Hebdo». Er studierte dramatisches Schreiben beim polnischen Regisseur Krzysztof Kieslowski und beim tschechischen, in die USA immigrierten, Regisseur Frank Daniel. Heute gehört Antoine Jaccoud zu den namhaftesten Autoren für frankofone Spiel- oder Dokumentarfilme. Zudem arbeitet er als Bühnenautor und ist Mitglied des Kollektivs «Bern ist überall», einer Gruppe zeitgenössischer Slam-Poeten.
Zahlreiche seiner Werke wurden preisgekrönt, darunter den von Denis Rabaglia verfilmten Stoff "Azzurro" als bester Schweizer Film von 2000 und "Home" von Ursula Meier ausgezeichnet mit über 20 Preisen und Ehrungen. Einer davon ist der Quartz als höchster Schweizer Filmpreis. Antoine Jaccoud nahm 2011 den Literaturpreis der Stadt Bern entgegen, sowie 2013 den Gottfried-Keller-Preis.
Der Prix d'honneur der Solothurner Filmtage wird seit 2003 von den Gemeinden im Wasseramt gestiftet. Die Wahl erfolgt auf Vorschlag der Auswahlkommission der Solothurner Filmtage.
Schweizer Filmpreis QUARTZ
Die Solothurner Filmtage präsentieren die Nominierten. Zwischen 1998 und 2008 war die Stadt an der Aare zudem Austragungsort für die Preisverleihung des Schweizer Filmpreis QUARTZ. Die feierliche Ehrung übernahm 2012 an Luzern, seitdem abwechselnd Genf und Zürich. Die Verantwortung liegt bei dem Bundesamt für Kultur in Zusammenarbeit mit der Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR).
Für die höchste Auszeichnung im Schweizer Filmschaffen wurden insgesamt 70 Filme in 12 Kategorien angemeldet. Erstmals konnten Filme in der neuen Kategorie „Abschlussfilme“ eingereicht werden. Ausgeschüttet werden Preisgeldern von je bis zu 25.000 Franken am 18. März 2016 in Zürich.
Rund 260 Mitglieder der Schweizer Filmakademie, vertreten durch den Filmregisseur Christian Frei, bestimmen in einer anonymen Wahl ihre Favoriten. Die Resultate dienen der Nominationskommission als Empfehlung.
Fünf Nominierungen gingen an das sensibel gezeichneten Drama «Köpek» von Esen Isik, für die beste Hauptdarstellerin Beren Tuna, an Esen Isik für das Drehbuch, für die Musikleistung an Marcel Vaid und Gabriel Sandru für die Kameraarbeit.
Als Favorit für den besten Spielfilm gilt auch die Sterbekomödie «La vanité» von Lionel Baier. Neben der Nominierung für den Film gingen weitere drei Auszeichnungen an Lionel Baier / Julien Bouissoux für das Drehbuch, an den Schauspieler Patrick Lapp und an den Film-Debütant Ivan Georgiev für die beste Nebenrolle.
Nur jeweils zwei Nominationen bekamen die filmischen Neufassungen «Heidi» von Alain Gsponser in den Nebenkategorien Beste Filmmusik von Niki Reiser und Beste Montage von Editor, - und Publikumspreisträger für das Drama «Lina», Regisseur Michael Schaerer.
«Schellen-Ursli», die filmische Neufassung des rätoromanischen Originalbuch "Uorsin", von Regisseur Xavier Koller wurde ausgewählt für die Kameraleistung von Felix von Muralt und für den besten Nebendarsteller Leonardo Nigro.
Als bester Spielfilm des vergangenen Jahres nominiert sind das schweizkritische Kollektivwerk mit Michael Krummenacher, Jan Gassmann, Lisa Blatter, Gregor Frei, Benny Jaberg, Carmen Jaquier, Jonas Meier, Tobias Nölle, Lionel Rupp und Mike Scheiwiller «Heimatland», die Coming-of-Age Story «Amateur Teens» von Niklaus Hilber und das Loser-Drama «Nichts passiert» von Micha Lewinski.
Der weibliche Darstellerpreis geht gleich mit zwei Nominationen an die 19-jährige Annina Walt für ihr herausragendes Spiel in den Filmfavoriten «Amateur Teens» und «Nichts passiert».
Für den männlichen Darstellerpreis ist neben Patrick Lapp in «La vanité» und Wolfram Berger in «Rider Jack» ebenfalls Bruno Ganz als Alpöhi «Heidi» vertreten.
Raoul Kevenhörster war für das Movie-College dabei.