Ein,- Aus und Durchblicke
Schon der Meister der Romantik, Caspar David Friedrich hat mit seinem Gemälde "Frau am Fenster“ (1822) die Sehnsucht und Melancholie, welche der Blick nach Draußen haben kann, nahezu archetypisch festgehalten. Fenster gehören zu unserem Leben dazu, kein Wunder, dass sie in Filmen als Informations,- Bedeutungs,- und Emotionsträger häufig zur Filmerzählung beitragen.
Fenster bedeuten zunächst einmal eine Abgrenzung zwischen dem Draußen und dem Drinnen. Sie schützen uns vor äußeren Einflüssen wie Wetter, Lärm oder Gefahren und erlauben es uns aber zugleich, das was Außen ist, zu sehen. Das Verhältnis unserer Filmfiguren zu dem, was auf der anderen Seite von Fenstern ist, erzählt natürlich sehr viel über sie, ganz gleich ob sie drinnen sind und hinausschauen oder draußen sind und irgendwo hinein schauen. Befindet sich die Kamera im Innern von Räumen, so ist das Fenster so etwas wie ein Bild im Bild. Bis zum 17. Jahrhundert waren Fenster übrigens nicht unbedingt aus Glas und transparent. Lange waren sie nicht durchsichtig, dünner Marmor oder Reispapier ließen Helligkeit in die Räume, erlaubten aber nicht den Ausblick. Sind Fensterscheiben zerstört, erzählen sie ihre eigenen Geschichten. Sie erzählen von Verlassenheit, Vergänglichkeit,ziehen fast automatisch weitere Zerstörung und Vandalismus mit sich. Verwüstung und Verfall ganzer Stadtbezirke beginnen oft mit eingeschlagenen Fensterscheiben.
Fenster können etwas zeigen, offenlegen, offenbaren, sie können aber auch etwas verbergen. Sie können durchlässig, getönt oder gar verspiegelt sein, man denke nur an die legendären Verhörräume in den zahllosen Kommissariaten, bei denen durch einen halbdurchlässigen Spiegel von Außen die Situation mitverfolgt wird, oder die Gegenüberstellungen von Verdächtigen und Opfern oder Zeugen. Die Fenster von Geschäften, Schaufenster oder auch die Fenster von Cafés und Restaurants erlauben spannende Beobachtungen und Interaktionen. Diverse französische Filme der Nouvelle Vague und auch danach haben Szenen, die in Cafés spielen und bei denen das Außen wie selbstverständlich mitspielt. In den engen Gassen italienischer Orte und Städte unterhält man sich in den neorealistischen Filmen auch gerne von Fenster zu Fenster, ohne die eigene Wohnung verlassen zu müssen.
Fenster im Hintergrund erweitern die räumliche Tiefe eines Filmbildes. Im Vordergrund sind sie wie Bilderrahmen, die den Ausschnitt dessen, was die Zuschauer oder unsere Protagonisten sehen sollen, begrenzen. Natürlich hat das Kino, die Leinwand oder auch der Flatscreen viel Ähnlichkeit mit Fenstern, denn sie alle ermöglichen den Blick nach Draußen, auf etwas anderes als den Ort an dem man sich gerade befindet. Schon frühe Filmtheoretiker wie Arnheim, Balázs, Eisenstein, Bazin, Grierson, Kracauer oder Vertov haben sich dieses Bildes bedient um den Film zu charakterisieren. Man sprach beim Film und später auch beim Fernsehen gerne vom "Fenster zur Welt".
Symbolik
In manchen Filmen die in hochmodernen Räumen spielen, werden die Menschen zu Gefangenen der Architektur, die Fenster setzen ihnen Grenzen, die sie kaum überwinden können. In geschäftlichen Zusammenhängen werden immer wieder "Zeitfenster" reserviert, in Science-Fiction Filmen gibt es Fenster die als Schleusen zwischen Galaxien oder Zeitebenen dienen. In Filmen, in denen die Protagonisten verfolgt und bedroht werden, zeigt die Kamera häufig Schwenks oder Shots auf verschlossene oder vergitterte Fenster,- die potentiellen Fluchtmöglichkeiten.
Übergänge in andere Ebenen oder auch Schlusspunkte lassen sich hervorragend durch Fenster erzählen. Man denke etwa an "In The Cut" (Regie: Jane Camipion, USA 2003), in dem die Hauptfigur Frannie im Halbschlaf durch das Fenster die fallenden Blüten im Garten für Schneeflocken hält und dies zu einem Tagtraum überleitet, an die Schlussszene von "Zeiten des Aufruhrs" (Regie: Sam Mendes, USA, GB 2008) in welchem die Hauptfigur April nach einem Schwangerschaftsabbruch in das Wohnzimmer wankt und vor einem großen Fenster stehen bleibt oder an "The Others" (Regie: Alejandro Amenábar, USA 2001) wo Nicole Kidman immer die Fenster verdunkeln lässt, wenn ihre Kinder auftauchen.
Manchmal sind es auch die Fenster, welche den voyerischen Einblick in die Leben anderer Menschen gewähren und / oder zugleich die ungebetenen Beobachter*Innen verbergen. So etwa in "Die Verlobung des Monsieur Hire" (Regie: Patrice Leconte, F 1989) in welchem der Schneider Monsieur Hire von seiner Werkstatt aus im gegenüberliegenden Haus Alice, eine junge Verkäuferin beobachtet, die später zu seinem Verderben wird. Oder etwa in Hitchcocks Klassiker "Das Fenster zum Hof" (Regie: Alfred Hitchcock USA 1954) in welchem der Fotojournalist Mister Jefferies, der wegen eines gebrochenen Beines seine Wohnung nicht verlassen kann, beobachtet, wie ein Nachbar im Haus gegenüber, seine Frau ermordet.
Im germanischen Sprachschatz benannte man diese Öffnung aus Räumen nach Draußen als Wind-Auge, daraus ist irgendwann mal "Window" geworden. Spannend an dem Ausdruck ist, dass man im Grunde genommen von etwas spricht, was den Blick auf enorme Naturgewalten, auf Wind und auf Sturm zulässt, ohne dass man dabei Schaden nimmt. Weshalb wohl bezeichnet man das Auge des Menschen als Fenster zur Seele? Die symbolischen Bedeutungen von Fenstern sind sehr vielfältig, häufig werden Trennstellen zwischen verschiedenen Bereichen oder Ebenen dadurch markiert. Also Innen und Außen, Realität und Vision, oder Wirklichkeit und virtuelle Welten. Aus diesen Grundkonstellationen lassen sich zahlreiche Gegensätze und Übergänge definieren.
Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft
Innenwelt und Außenwelt
Greifbares und Unerreichbares
Realität und Sehnsucht
Sichbares und Verborgenes
Sichtbarkeit und Versteck
Sicherheit und Bedrohung
Sicherheit und Gefahr
Selbst und Sehnsucht
Aktueller Standort und Fernweh
Die inneren Veränderungen des Zustands einer Filmfigur lassen sich vorzüglich darüber erzählen, wie diese sich zu Fenstern verhält. Schaut sie hinaus oder nicht, verschließt sie diese mit Vorhängen, Rolläden etc. oder versteckt sie sich hinter dem Vorhang und beobachtet etwas Draußen? Und natürlich können Fenster auch helfen im Verlauf eines Filmes Veränderungen innerhalb der Hauptfigur zu erzählen. Vielleicht befindet sich die Protagonistin eines Filmes zu Anfang häufiger in Fluren und Gängen neben Fenstern, die die Außenwelt widerspiegeln, das symbolisiert ihre breiten Kontakte zur Aussenwelt. Später im dramaturgischen Verlauf sieht man die eher in Räumen und Gängen ohne dass die Fenster im Bild sind. Sie ist mehr bei sich, schottet sich von der Außenwelt ab.
Filme
Schon früheste Stummfilme nutzten Fenster für ihre Geschichten. Räuber betraten Wohnungen durch Fenster oder flüchteten aus diesen. Bereits in Murnaus „Der letzte Mann“ hat die entfesselte Kamera (Karl Freund) eine Fahrt geboten, bei der man subjektiv durch den Rahmen eines Fensters schwebte.
"Schatten Am Fenster" (Regie: Charles Lederer, USA 1942)
"Die Frau im Fenster" (Regie: Fritz Lang, USA 1944)
"Das Unheimliche Fenster" (Regie: Ted Tetzlaff, USA 1949)
"Das Fenster zum Hof" (Regie: Alfred Hitchcock USA 1954)
"Kelek" (Regie: Werner Nekes, D 1968)
"Die Fantome Des Hutmachers" (Regie: Claude Chabrol, F 1982)
"Die Verlobung des Monsieur Hire" (Regie: Patrice Leconte, F 1989)
"Das Geheime Fenster" (Regie: David Koepp, USA 2004)
"Vier Fenster" (Regie: Christian Moris Müller, Vier Fenster, D 2006)
"Montag kommen die Fenster" (Regie: Uhlrich Köhler, D 2006)
"Mr Brooks- Das Böse in Dir" (Regie: Bruce A. Evans, USA 2007)
"Der Schrei Der Eule" (Regie: Jamie Thraves, F 2009)
"Let me In" (Regie: Matt Reeves, GB 2010)
"Fenster Zum Sommer" (Regie: Hendrik Handloegten, D 2011)
"Blitzblank" (Regie: Ingo Rasper, D 2012)
"Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" (Regie: Felix Herngren, Schweden 2013)
"Lebe Schon Lange Hier" (Regie: Sobo Swobodnik, D 2014)
"Offene Türen, offene Fenster" (Regie: Milagros Mumenthaler, Arg 2014)
"The Boy Next Door" (Regie: Rob Cohen, USA 2015)
"The Woman in the Window" (Regie: Joe Wright, USA 2021)
"The Voyeurs" (Regie: Michael Mohan, USA 2021)
"Und Dann Steht Einer Auf Und Öffnet Das Fenster" (Regie: Till Endemann, D 2021 / 22)
"Through my Window" (Regie: Marçal Forès, Spanien 2022)