Filme arbeiten nicht nur mit Bildsprache, sondern häufig auch mit Zeichen und Bedeutungen. Die Filmsemiotik hilft, diese zu entschlüsseln. Filmsemiotik ist nicht gleichbedeutend mit Filmwissenschaft, sie ist vereinfacht ausgedrückt, die Suche nach einer „Sprache“ des Films. Sie gehört damit zur Filmtheorie.
Diese ist gar nicht so einfach, denn so puristisch filmspezifisch ist das Kino dann eben doch nicht. Film hat einerseits eigene filmsprachliche Muster, andererseits nutzt er aber auch intensiv andere Zeichensysteme wie die Sprache, Gesten, Mimik, Künste, Literatur-, Theater- Fotografie,- oder bildende Kunst aber auch Psychologie, Soziologie, Ästhetik oder Philosophie.
Das haben schon in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts bereits Tynjanow und Eisenstein erkannt, als sie die Wirkungsweise von Filmen mit dem Zeichen- und Verständigungssystem von geschriebener oder gesprochener Sprache verglichen. Überhaupt haben viele Prinzipien der Literaturtheorie bzw. Literaturwissenschaft auch in der Filmtheorie mehr oder weniger Anwendung gefunden. Beispiele sind die „Filmphilologie“ (Kanzog 1997) oder Hermeneutik (Lohmeier 1996), die „dramaturgische Analyse“ (Wulff 1998), oder auch die „Intermedialität“ (Müller 1996).
Auch die Fragestellungen bei Literatur und Filmerzählung ähneln sich, "Was", "Zu welchem Zweck" und "Wie" wird etwas erzählt?
Andere Wissenschaften highjacked
Man kann deshalb nicht so einfach eine eigene Filmsemiotik behaupten, denn sie beinhaltet ganz viele Elemente, die aus den anderen Künsten oder Medien stammen. Schwierig wird es, die Dinge voneinander zu trennen. Ist der wütende Mann im Film, der die Faust schwingt, schon filmisch zu deuten oder ist seine Geste einfach eine allgemeine Bedeutung, die nur filmisch festgehalten ist?
Und auf welche Weise wird diese erhobene Faust und der Mann im Film abgebildet? Je nach Einstellungsgröße betonen und intensivieren wir oder wir geben der Geste mehr Beiläufigkeit. Die Grafik und die Malerei haben genau diese Gewichtungen mit anderen Mitteln viele Jahrhunderte vor dem Film bereits durchdekliniert.
So wie Regisseur-inn-e-n bei der Herstellung eines Filmes Elemente aus vielen Künsten (Literatur=Drehbuch, Theater=Dramaturgie, Schauspiel, Malerei=Ausstattung, Farbgestaltung, Kostüm, Filmmusik etc.) miteinander kombinieren um daraus einen filmischen Erzählfluss zu erschaffen, so muss man den Film auch als Zusammenspiel vieler Elemente im zeitlichen Ablauf von Anfang bis Ende betrachten.
Um es noch etwas komplizierter zu machen, darf man nicht außer Acht lassen, dass Film ja ein Erzählen in der Zeit ist, das heißt dass wir es mit einer großen Zahl an einzelnen sich verändernden und wechselnden Bildern zu tun haben. Dies kann man nicht so einfach anhalten und analysieren. Der Zuschauer sieht sie schließlich auch nicht einzeln sondern im Fluss. Also sollte man auch die Zeichenhaftigkeit von Filmen als kontinuierlichen Ablauf begreifen.
Sicherlich finden die Einstellungsgrößen beim Drehen und die damit verbundene Gewichtung von Elementen und Personen, besondere Aufmerksamkeit. Eine besondere Rolle bei der Filmsemiotik spielt die Montage. Also das getrennte Drehen und spätere Zusammensetzen von Einstellungen, welche im fertigen Film den Eindruck eines normalzeitigen Ablaufs vermitteln. Die Neuzusammenstellung von Einstellungen ist natürlich Filmsprache.
Und selbstverständlich tut die Filmmusik ihr Übriges dazu, dem Film zusätzliche Signale und Zeichen zu verleihen. Musik kann unterschiedliche Erzählebenen ankündigen oder signalisieren, wie etwa die Rückblende, den Traum, die emotionale Beteiligung. Sie kann etwas Besonderes ankündigen und die Aufmerksamkeit des Zuschauers fokussieren, sie kann etwas trennen, indem man mit einem anderen musikalischen Motiv in eine geänderte Situation, Örtlichkeit etc. gelangt, sie kann etwas zelebrieren. Zudem kann sie durch die Eröffnungsmusik unsere Erwartungen lenken oder auch die Loslösung von der Filmgeschichte am Ende bewirken.
Nach der Erfindung des Films dauerte es gar nicht lange, bis man sich mit einer Theorie der Filmsprache beschäftigte. Und doch sind es nur ein paar wenige Namen aus diesen frühen Jahren der Filmgeschichte, die man auch heute noch in der Filmwissenschaft kennt.
Frühe filmtheoretische Publikationen
Brecht, Bertolt, „Über Film“ 1922-1933
Balázs, Béla, "Schriften zum Film" 1924
Piotrovskij, A., "Zur Theorie der Filmgattungen“ 1927
Rudolf Arnheim, "Film als Kunst" 1932
Bazin, André, "Qu’est-ce que le cinéma?" 1958
Kracauer, Siegfried, "Theorie des Films" 1960