Bewegte Gemüter
Die Fantasien von Programmanbietern und Telefongesellschaften sahen noch vor wenigen Jahren mobile Endgeräte wie Tablets und Handys als neue Fernseher. Inzwischen ist man etwas realistischer geworden.
Der Internet-Hype zur Jahrtausendwende mit all seinen Abstürzen und verbrannten Ersparnissen zahlloser Investoren oder die grandiose Kapitalvernichtung bei der Versteigerung von UMTS-Lizenzen scheinen beinahe vergessen und die Medienbranche versucht sich an einem neuen Hype- dem mobilen Fernsehen oder wie man es fachkundig nennt: "Mobile TV".
Analysten sehen in den nächsten 10 bis 15 Jahren einen explosionsartigen Anstieg der Nutzer auf etwa 100 Millionen Zuschauer. Bereits die Fußball WM 2006 sollte, nach Willen diverser Telefongesellschaften der Startpunkt für das breite Handy-Fernsehen werden. Sie wurde es nicht.
Dass die Handy-Fernseher dabei die Tore in der Regel kaum auf den Displays erkennen und auch nur mit etwa 6 Sekunden Verzögerung gegenüber den "normalen" Fernsehzuschauern sehen konnten, blieb in den Pressemeldungen der Hersteller unerwähnt, ebenso die verschwindend geringe Zahl der Testseher. Doch das sollte sich ändern.
Anbieter wie Vodafone liefern inzwischen via UMTS 32 Programme auf die portablen Geräte. Dabei sind alle Großstädte in Deutschland technisch zum Empfang ausgerüstet.
Pro7/Sat 1 betreibt bereits den ersten eigenen Mobile-TV Sender mit 24 Stunden Programm am Tag. Bestimmte Telenovelas sind dort sogar schon einen halben Tag früher zu sehen, als im regulären TV Programm, dies soll besonders Teenager dazu verlocken, ihren Handys diesen Informationsvorsprung zu entlocken.
Industrie
Interessanterweise prallen hier verschiedene Industriezweige aufeinander oder versuchen, miteinander Geschäftsmodelle zu entwickeln- die Fernsehindustrie und die Telefongesellschaften.
So gibt es zahllose Firmen die mit Hard- und Software an dem neuen Hype partizipieren wollen, überall wimmelt es auf den einschlägigen Fachmessen von Prototypen, offenen Platinen und Animationen mit denen die noch gar nicht vorhandenen Geräte visualisiert werden. Die Geräte selbst sind entweder Stand-Alone Lösungen, also kleine TV-Geräte welche das Fernsehsignal auf unterschiedlichen Wegen, je nach Modell empfangen können oder aber Handys bei denen ebenfalls unterschiedliche Standards den Empfang des Bildes auf dem Display sichern sollen.
Da diese neue Technik nicht nur bei den Geräteherstellern sondern auch bei den Programmanbietern wilde Gewinn-Fantasien auslöst, entwickelt sich ein interessantes Spannungsfeld. Denn wenn die Zuschauer für die Inhalte, die Übertragung und die Geräte dafür zahlen sollen, was beabsichtigt ist, wird sich zeigen, wo die individuellen Schmerzschwellen liegen werden. Internetzugänge per Handy haben schon viele Kunden in die private Insolvenz getrieben und leicht nachvollziehbare Zurückhaltung bei den Kunden ausgelöst. Andererseits lassen zunehmend Internet-Flatrates (die natürlich ganz so Flat nicht sind und jeweils Volumengrenzen kennen) deutlich mehr zu als noch vor wenigen Jahren.
Praktische Aspekte
Selbstverständlich lassen sich die winzigen mobilen Displays in Zeiten von immer größeren TV-Flatscreens für die Wohnzimmer trotz HD Auflösungen oder sogar 4 K nur schwer unter dem Aspekt Bildqualität oder Erlebnis vermarkten. Die Argumente der Marketingabteilungen zielen deshalb eher auf den "nichts versäumen"- Aspekt und auf die Nutzung von weniger sinnvoller Lebenszeit, wie etwa Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Den Telefonanbietern sind kostengünstige, sogenannte Overlay-Systeme, die unter HSDPA, DMB oder DVB-H arbeiten, nicht sehr willkommen, schließlich kann man den bis auf die öffentlich-rechtlichen Fernsehgebühren kostenfreien Fernsehempfang schwer auf einer Telefonrechnung unterbringen. Diese Systeme nutzen die Handys oder Handhelds quasi als Ausgabegerät und lagern dem normalen Handydisplay ein Fernsehbild über, ohne die Funknetze des Handys für den Empfang zu verwenden.
Die Hardwareseite bedingt auch auf Senderseite neue Geräte. So gibt es inzwischen von den einschlägigen Broadcast-Anbietern Geräte, welche aus dem vorhandenen Programm der Sender spezielle Ausschnittsvergrößerungen erstellen, die im Pan&Scan Verfahren dynamisch an den bildwichtigsten Inhalten dranbleiben und diese fürs Handy bereitstellen. Aus der Totalen im Fußballspiel wird so der einzelne Spieler mit Ball herausgehoben.
Schnittstelle Mensch
Bei all den Diskussionen um unterschiedlich Übertragungswege,- Kosten und Verteilungen der Gewinne wird die wichtigste Schnittstelle, der Mensch gerne außer acht gelassen. Was Mediziner und Wahrnehmungspsychologen seit Dekaden wissen- dass das menschliche Auge bei entfernten Objekten viel entspannter, beim Betrachten naher Objekte viel beanspruchter ist - die Strategen der Konzerne lassen dies gänzlich außer acht. Und die Tablets? Natürlich hier und da, etwa auf der Zugfahrt kann es die Zeit ganz schön vertreiben, Fernsehprogramme anzuschauen. Aber mal ganz ehrlich,- wie viele Kilometer ICE Strecke haben denn sicheren Internet Empfang? Und wie schnell sind Volumengrenzen von 1, 2 oder 3 GB im Monat erreicht?
Seit Jahrzehnten gibt es für wenig Geld Mini-LCD-Fernseher, die sich nie durchsetzen konnten. Zu klein das Bild, zu anstrengend, längere Programme anzuschauen.
Man darf also gespannt sein, ob die hochtrabenden Prognosen für Mobile-TV sich wirklich erfüllen werden.