Unter der Oberfläche
Die meisten TV Movies, die Reihen und Serien, welche Fernsehsender in Auftrag geben, haben Probleme und die sind hausgemacht. Niemand redet darüber, doch die Qualität leidet massiv darunter.
Auftragsproduktionen haben gegenüber freien Produktionen den großen Vorteil, dass die Finanzierung bereits gesichert ist, denn sie wird meist zu 100% von Fernsehsendern übernommen. Die Budgets für Einzelfilme einer Reihe liegen im Durchschnitt so zwischen 1,6 und 2,2 Millionen Euro, mit Ausnahmen nach oben und unten. Tatsächlich haben sich die Arbeitsbedingungen über die Jahre immer weiter verschlechtert. Will man die Ursachen genauer untersuchen, stößt man auf eine Kette, die ganz oben bei den Sendern beginnt. Die Sender haben seit Jahrzehnten die Budgets nicht erhöht, sondern im Gegenteil sogar teilweise zusammengestrichen.
Die beauftragten Produktionsfirmen wiederrum müssen versuchen, mit diesen eigentlich nicht an der tatsächlichen Kostensituation (alles hat sich verteuert) orientierten Budgets weiterhin gute Produkte abzuliefern. Hotelzimmer, Löhne, Gagen, Energie, Materialbeschaffung und Reisen sind seit Corona massiv teurer geworden. Diverse Anforderungen wie Corona-Beauftragte, Green Filmshooting, überall höhere Kosten haben teilweise zu Überschreitungen geführt. So manche Auftragsproduktionsfirma hat pro Reihe von 58 oder 85 Minuten Länge zwischen 40 und 100.000 Euro überzogen. Das erzeugt natürlich finanziellen Druck. Einerseits muss man um Verluste auszugleichen, möglichst bald und möglichst schnell neue Reihenfolgen herstellen und andererseits muss man dann bei diesen so viel Geld einsparen, dass die Bilanzen wieder stimmen.
Die Finanzierungssicherheit hat allerdings den nicht ganz unwichtigen Nachteil, dass nicht wie bei Fördergremien Auswahlkommissionen die Drehbücher kritisch prüfen und Geld erst bewilligen, wenn die Bücher tatsächlich drehfertig sind, sondern es wird einfach gedreht, ganz gleich wie furchtbar die Drehbücher sind. Das wissen auch die Redaktionen und Produktionsfirmen und nehmen sehr gerne den Input der Regisseure mit, ohne diese aber als Co-Autor*Innen bezahlen oder erwähnen zu wollen. Doch selbst dafür fehlt inzwischen oft die Zeit.
Wettschreiben gegen die Zeit
Was bedeutet das? Nun es bedeutet, dass das, was die beste und wirksamste Möglichkeit, Einsparungen vorzunehmen, wäre, nämlich Zeit und gute Vorbereitung, einfach fehlt. Kurz nach dem Zuschlag durch die Sender werden die Drehbuchautor*Innen, welche bereits die Exposés entwickelt hatten beauftragt, auf dieser Basis drei oder gerne auch sechs oder neun Drehbücher zu schreiben. Der Abstand von dieser Auftragserteilung der Drehbücher bis zum ersten Drehtag der ersten Reihenfolge beträgt dann häufig gerade mal ein halbes Jahr. Das liegt oft auch daran, dass die Fernsehsender erstmal die Ausstrahlung und Einschaltquoten der einen Staffel abwarten, bevor sie die nächste in Auftrag geben. Das heißt, wenn eine Reihe im März gesendet wird, kommt der Auftrag für die nächste dann vielleicht im April. Sendefertig hergestellt muss die nächste Staffel dann im März nächsten Jahres sein, also nach nur 11 Monaten.
Würden wir hier über ein Drehbuch und einen Dreh reden, wäre das auch gar kein Problem. Aber wir sprechen von bis zu neun Drehbüchern, wovon das erste also in vier maximal fünf Monaten vorliegen muss, um wenigstens sechs, schlimmstenfalls vier Wochen Vorlauf für Motivsuche, Ausstattung, Kostümbild etc. zur Verfügung zu haben. Gedreht werden die Folgen dann, um Resourcen zu sparen, hintereinander, das heißt, zwischen den einzelnen Folgen liegen dann vielleicht nur zwei, drei freie Tage. Bei durchschnittlicher Drehdauer von 10 bis 12 Drehtagen für 58 Minuten-Folgen heißt das, dass das zweite Drehbuch nach fünf Monaten und 12 Tagen, das dritte nach fünf Monaten und 26 Tagen vorliegen muss u.s.w.
Im schlimmsten Fall schreibt nur ein-e Autor*In, natürlich auch um möglichst viel daran zu verdienen, im besten Fall sind es zwei Autor*Innen, die sich dann die sechs oder neun Drehbücher teilen. Doch auch zu zweit ist die Herstellung so vieler Drehbücher in so kurzer Zeit kaum zu schaffen. Jedenfalls nicht in hoher Qualität. Die Folge sind permanent nach hinten verschobene Deadlines. Wie soll denn ein Dreh sinnvoll vorbereitet werden, wenn man das Drehbuch vielleicht erst zwei Wochen vor Drehbeginn bekommt? Wie sollen da Drehorte gefunden, Kostüme besorgt, Komparsen organisiert, Nebenrollen besetzt werden? Und das Problem wird noch größer und das Dilemma noch absurder, wenn man also begonnen hat zu drehen und mitten im Dreh kommt dann das Drehbuch für die nächste Reihenfolge. Wer soll da Motive suchen, abnehmen etc.? Regie, Kamera, Ausstattung sind alle am Drehen und haben keine Zeit. Wenn dann überhaupt eine Motivsuche stattfindet, gibt es eigentlich keine Auswahl sondern man fährt eigentlich nur die Häuser, Straßen, Örtlichkeiten ab, die bereits von Fotos ausgewählt wurden.
Redakteure als Egoshooter
Als wäre der Zeitdruck nicht schon groß genug, gibt es dann noch Redakteur*Innen, welche ein eigentlich von der Produktion und Regie für gut befundenes Drehbuch noch mal auseinandernehmen und zahlreiche gravierende Veränderungen einfordern. Damit fliegen manche Szenen und Motive, die man bereits gescoutet und vorbereitet hat, heraus, neue werden stattdessen ins Buch hineingeschrieben. Die bereits laufenden Drehvorbereitungen werden wieder eingefroren, man muss auf die neue Buchfassung und das "Go" der Redaktion warten.
Unausgegorene fehlerhafte Drehbücher
Was dann, oft kurz vor Drehbeginn angeliefert wird, ist im besten Fall mittelmäßig, oft sogar fehlerhaft und schlecht. Und gar nicht selten wird an den den Drehbüchern noch bis kurz vor Drehbeginn herumgedocktert, eine eigentlich unmögliche Situation. Denn wie soll ein Dreh sinnvoll geplant werden, wenn parallel dauernd an Szenen gekürzt, gestrichen wird oder sogar neue Szenen und Motive hinzugefügt werden. Papierne Dialoge, die kein Mensch so sprechen würde, Logikfehler in der Handlung, Handlungsbögen, die zu Anfang begonnen und unterwegs einfach vergessen wurden. Wie sich das für die Schauspieler*Innen anfühlt, kann man nur erahnen.
All diese Umstände, die Notwendigkeit einzusparen, die teilweise miserablen, zu spät eintreffenden Drehbücher, die daraus resultierenden schlechten Drehplanungen müssen stets die Leute ausbaden, die am Ende der Kette stehen, die dann trotz allem starke Produkte drehen sollen. Die Regie, Kamera, das übrige Team und natürlich die Schauspieler*Innen. Das schlägt auf die Stimmung, schlägt auf die Qualität, oft genug sind die daraus resultierenden Fehler so unfassbar und absurd, dass man es gar nicht glauben möchte.
Sparzwänge, die letztlich Geld kosten
Für diese Auftragsproduktionen werden natürlich regelmäßig Regisseur*Innen gesucht, viele Aufträge laufen dabei über Agenturen. Auffällig ist häufig, wie oft Teampositionen von Folge zu Folge wechseln. Wenn jede Folge von einer anderen Regie, einer anderen Kamera etc. umgesetzt wird, dann kann man davon ausgehen, dass dort viel verbrannte Erde hinterlassen wurde und diese Leute keine Lust mehr darauf hatten, so etwas noch ein weiteres Mal zu erleben. Sie werden auf Grund der Sparzwänge mit absurden Situationen konfrontiert: Nebenrollen werden nach Verfügbarkeit besetzt,- der Drehplan richtet sich also nicht danach, wann die Schauspieler*Innen Zeit haben, sondern es wird derjenige besetzt, der an den geplanten Drehtagen Zeit hat.
Regisseur*Innen und Hauptdarsteller*Innen können sich vor den Dreharbeiten nicht für Leseproben / Kennenlernen / Proben treffen, wenn sie an verschiedenen Orten wohnen. Für die Reisekosten, oftmals simple Bahntickets, fehlt das Geld. Irritierend auch, wenn wichtige Teammitglieder wie Ausstattung oder Regieassistenz bei Motivbesichtigungen nicht dabei sein können, weil man nicht so viele Arbeitstage bezahlen möchte. Wenn aber diese wichtigen Vorbereitungsschritte fehlen, können auch eher Fehler bei Drehen passieren, die dann deutlich mehr Geld kosten.
Wenn die Regisseur*Innen die Drehbücher erst so spät bekommen, können sie diese nicht auf mögliche Probleme oder Kostenfallen hin untersuchen und ggf. Verbesserungsvorschläge machen. Drehbuchautor*Innen interessieren sich selten dafür, wie teuer, aufwendig und schwer die Umsetzung ihrer Ideen werden könnte. Da schreibt man mal eben aufwändigste Stunts bei denen diverse Fahrzeuge koordiniuert und ganze Landstraßenabschnitte gesperrt werden müssen, in das Drehbuch, welche dann die ohnehin knappen Budgets total überfordern und auch von den kostbaren Drehtagen viel zu viel Zeit beanspruchen.
Location-Scouts werden gar nicht erst eingestellt, man überlässt die Motivsuche gerne den Positionen Kamera und Regie, weil die pauschal bezahlt werden. Die Austatter*Innen können nicht nach preisgünstigeren oder attraktiveren Motiven suchen, weil schlicht die notwendige Vorlaufzeit fehlt, sie müssen das erste, was halbwegs funktioniert, nehmen. Gute Vorbereitung kann so viel Geld sparen, doch der Zeitdruck macht diesen Kostenvorteil zumeist zunichte. Die Folge,- die Produktionskosten steigen unnötigerweise und man muss an anderer Stelle, beispielsweise bei den Drehtagen noch mehr sparen.
Häufig wird das Projekt zu anderen Bedingungen vereinbart, aus den in der Planung errechneten, zugesagten 14 Drehtagen werden dann 12, aus den 23 werden 20, Natürlich kann man das nicht schaffen und so landet das Team zwangsläufig in Überstunden, die wieder mehr Geld kosten und auch die Energiebilanz des Teams verschlechtern.
TV Wonderworld
Es ist erstaunlich, dass den Produktionsfirmen nicht mehr Projekte um die Ohren fliegen. Vielleicht liegt es daran, dass dann doch noch genug Menschen am Set sich selbst ausbeuten, Nachts noch wenigstens halbwegs sprechbare Dialoge schreiben, an ihren freien Tagen alternative Motive suchen etc. um trotzdem noch etwas Brauchbares drehen zu können. Die Produktionsfirmen, welche viele der Probleme und Zusatzkosten, wie etwa Überstunden, durch ihre Planung selbst verursacht haben, lasten diese selbstverständlich nie sich selbst, sondern vorzugsweise der Regie oder der Kamera an. Das Interessante an diesen Auftragsproduktionen ist,- wenn das Ergebnis eher mittelmäßig oder schlecht ist, dann wird es von der Produktionsfirma und der Redaktion so dargestellt, dass es an der Regie oder der Kamera gelegen habe. Wird das Ergebnis aber gut bis sehr gut, dann feiern sich stets die Produktionsfirma und die Redaktion für ihre Weitsicht und ihre gute Projektleitung. Würden die auftraggebenden Sender größere Zeiträume für die Herstellung und an die Inflationsraten angepasste Budgets ermöglichen, könnte es mit der Qualität bei den Reihen und Serien auch wieder aufwärts gehen.