Die größte Videoplattform der Welt versucht ihr größtes Problem durch simple Wikipedia-Links zu lösen. So praktisch YouTube auch ist, kaum hat man ein Video gesucht und gefunden, wird man mit Vorschlägen für andere Videos bombardiert, die oft genug absoluter Müll oder gar Menschenverachtend oder Fehlinformierend sind. Fake Videos und verstörende Inhalte, mit denen Kinder und Jugendliche von YouTubes Algorithmen konfrontiert werden, gehören ebenfalls zu dieser Problematik.
Algorithmen sollen es richten
Bei einer Seite von diesem Umfang mit täglich neuen Uploads im sechstelligen Bereich ist es schlichtweg nicht möglich oder zu teuer, alle Filme individuell auf ihren Gehalt hin zu überprüfen. Die viel gepriesenen Algorithmen jedenfalls können dies kaum leisten, zu einfach lassen sie sich umgehen. YouTube hat die Algorithmen immer wieder nachjustiert, doch genauso schnell wurden diese von jenen Leuten, die Propaganda, Fehlinformation und Hass in Form von Videos verbreiten wollen, wieder ausgetrickst.
Statt in größerem Umgfang als bisher, individuell zu beurteilen, was auf die Plattform darf und was nicht (durch sogenannte Moderatoren), verliess man sich bisher weitgehend darauf, dass User "unangemessene" Inhalte selbst erkennen und YouTube darüber informieren.
Die vergangenen Jahre haben deutlich gezeigt, dass dieses Werkzeug nur in geringem Maße funktioniert wenn Tausende Videos, die verstören und lügen jede Woche neu hinzugefügt werden. Oft gelangen gerade umstrittene Inhalte zu großen Klickraten, wie unlängst Videos in denen Überlebende eines Schulmassakers die sich gegen das absurde Waffenrecht in den USA aussprachen, als bezahlte Schauspieler denunziert werden.
Vielleicht doch ein Fernsehsender?
YouTube möchte sich aus der Verantwortung für die Inhalte heraus halten, zu aufwändig wäre es, hier wie von einem Fernsehsender eine Kontrolle zu erwarten. Man kann darüber vortrefflich streiten, ob eine Plattform, die Videos speichert, sortiert und auf Wunsch wiedergibt, nicht ähnliche Aufgaben hat, wie ein Verleger oder Fernsehsender. Diese unterliegen nämlich ganz anderen Pflichten, werden in Deutschland beispielsweise durch den Pressrat, Rundfunkräte, Landesmedienanstalten etc. (in anderen Ländern durch vergleichbare Instanzen) überwacht und bei Verstößen gegen allgemein verbindliche Regeln, gerügt.
YouTube hat das Problem inzwischen erkannt, will aber aus verständlichen Gründen die Verantwortung nur bedingt übernehmen. Nun wurde von YouTube auf der SXSW (eine jährliche Konferenz und Ausstellung zu Medien in Austin, Texas) verkündet, dass auf YouTube künftig bei manchen Videos Links auf Wikipedia erscheinen würden, wo der entsprechende Inhalt neutral und objektiv erläutert würde.
Wikipedia als Feigenblatt
Wie amerikanische Medien berichten, hat YouTube Wikipedia über diese Vorgehensweise gar nicht informiert, geschweige denn gefragt, ob dies gewünscht ist und wie man so etwas optimieren könne. Schließlich sind die Wikipedia Seiten nicht ursächlich dafür ausgelegt, Manipulationen und Lügen zu irgendwelchen Themen zu widerlegen. Viele Propaganda-Lügen sind so geschickt aufgebaut, dass man sie durch sachliche Aufzählungen einer Web-Enzyklopädie nicht einfach aushebeln könnte.
Die großen amerikanischen Internetkonzerne sind sich einig in der Auslegung, mit den auf ihre Plattformen hochgeladenen Bildern, Texten und Videos zwar Geld zu verdienen, aber keinerlei moralische Verantwortung übernehmen zu wollen. Die Unterscheidung jedenfalls, dass Fernsehsender durch regelmäßige Programmplanung und Ausstrahlung als solche definiert sind und Streaming-Plattformen durch den Abruf des jeweiligen Videos etwas gänzlich Anderes sind und keine vergleichbaren Auflagen einzuhalten haben, wird von Medienexperten immer mehr in Frage gestellt.
Es sieht also einmal mehr so aus, als wenn die digitale Revolution viel schneller voranschreitet, als Menschen sinnvolle Regelwerke für deren Gebrauch erstellen können. Bis auf Weiteres werden wir mit dem gesunden Menschenverstand und vielleicht auch hilfreichen Apps arbeiten müssen. Mehrere Apps für alle gängigen Browser erlauben es nämlich inzwischen, die Empfehlungen und automatischen Abspielprozeduren auf YouTube einfach auszublenden bzw. abzuschalten.