Störfaktor Ton
Regisseure sind, was den Ton angeht, oft hin- und hergerissen zwischen unterschiedlichen Graden der Wertschätzung dieses wichtigen Gestaltungselements. In den Drehvorbereitungen hat man sehr viel mit den visuellen Bereichen zu tun. Die Ausstattung, die Kostüme, die Drehorte, die Auflösung, die Schauspieler und Komparsen, Tausende von Entscheidungen in Hinblick auf sichtbare Elemente müssen getroffen werden. Da bleibt für Überlegungen hinsichtlich des Tons wenig Raum und meistens sieht man das Tonteam ohnehin erst kurz vor Drehbeginn.
Und dann stürzt man sich hinein in die Dreharbeiten, schaut sich abends Muster an, sieht vielleicht auch die ersten angelegten Szenen mit Ton am Schnittplatz und konzentriert sich auf die sichtbaren Dinge. Oft genug werden Muster auch nur an einem Notebook gesichtet, über die Qualität der Tonwiedergabe muss man bei so einer "Abhöre" wohl nicht lange nachdenken. Das Tonteam verhält sich beim Dreh eher zurückhaltend, tritt bestenfalls in Erscheinung, wenn mal das Mikrofon im Bild war oder wegen eines Hubschraubers oder Krankenwagens länger gewartet werden muss, bevor man weiterdrehen kann. Oft genug wird nicht einmal ausreichend auf die Notwendigkeiten des Tones Rücksicht genommen. Wartezeiten für Atmos oder Nurtöne werden als quälend empfunden, der im Bild gar nicht sichtbare harte (also laute) Boden wird nicht mit Molton gedämpft. Engagierte Tonleute brauchen schon viel Kraft und Selbstbewusstsein, akustische Interessen am Drehset durchzusetzen.
Böses Erwachen
Doch dann, wenn der Film abgedreht ist, und aus dem großen Filmteam ein ganz kleines Schnittteam geworden ist, sieht und hört man plötzlich die Ergebnisse. Man spürt zum ersten Mal genau die Stärken und Schwächen des Materials, die Brüche, die fehlenden Übergänge, die übertriebenen und die zu schwachen Emotionen. Und dann, wenn alle Möglichkeiten des Bildschnitts ausgereizt sind, wird gegen Ende der Produktionsphase plötzlich klar, dass eine Vielzahl von Aufgaben nur noch von der Tonbearbeitung gelöst werden können.
Inhalte, die nicht richtig erzählt wurden, können akustisch ergänzt werden. Fehlt etwa die für die Szene wichtige Bildinformation, dass eine Filmfigur den Raum verlassen hat, so kann man diese durch Schritte, die sich entfernen und eine Tür, die geschlossen wird, nachholen. Ist eine bestimmte Örtlichkeit visuell nicht glaubhaft genug, kann man durch die Tonebene die fehlende Glaubwürdigkeit hinzufügen.
Auch dramaturgisch kann man die Intensität, das Tempo, den Ausdruck eines Bildes auf unterschiedlichste Weise durch die Tonebene verändern. Ein identisches Bild kann durch die Vertonung belanglos, spannend, beängstigend, ja, sogar absolut psychedelisch wirken. Plötzlich tut sich ein ganzes Universum an Erzählmöglichkeiten auf und glücklicherweise können gute Tonarchive (s. Shop) helfen, die späte Erkenntnis akustisch umzusetzen.
Ton einplanen
Doch noch reicher könnte das Tonmaterial sein, wenn man bereits bei den Dreharbeiten und sogar schon beim Drehbuch daran gedacht hätte, welche akustische Perspektive, wessen Innenwelt an welchem Punkt der Geschichte akustisch vermittelt werden soll. Möglichst frühzeitig sollten erste Geräuschideen und grundsätzliche akustische Richtungen besprochen werden. Damit soll nicht behauptet werden, dass man jede beliebige, uninspirierte Aufnahme durch das bloße Hinzufügen von kreativen Tonelementen sofort zu einem Meisterwerk machen kann. Selbstverständlich müssen auch die Bilder im Sinne der Filmgeschichte inspiriert und hochwertig sein. Und natürlich müssen genügend Momente vorhanden sein, in denen der Kinobesucher eine Chance hat, etwas anderes als permanenten Dialog (die alte Krankheit) zu hören.
Akustisch denken
Beim Bildschnitt ist ebenfalls darauf zu achten, dass nicht, wie so gerne praktiziert, von einer temporeichen Handlung zur nächsten gesprungen und jedes (scheinbar) leere Bild rausgeschnitten wird. Manchmal ist der Vor- oder Nachlauf eines Dialogs oder ein ruhiges Bild für die Tondramaturgie unendlich wertvoll.
Auch die Ausstattung, die Requisite und die Kamera, welche die entsprechenden Details auch einfängt, können indirekt beim Sounddesign helfen. Denn natürlich kann man nicht völlig im luftleeren Raum Geräusche einfach so fallen lassen. Eine Erklärung ihres Ursprungs macht Geräusche stärker. Ob es der im Wind klappernde Fensterladen, die draußen vorbeiratternde S-Bahn, der altersschwache Ventilator oder der tropfende Wasserhahn ist, solche optischen Vorgaben eröffnen weitere Chancen für die Vertonung. Umgekehrt werden die gefilmten Räumlichkeiten erst durch die Vielfältigkeit an Geräuschen auch wirklich lebendig. Auf jeden Fall sollten bereits am Drehort neben den standardmäßigen, möglichst sauber aufgezeichneten Originaltönen entsprechende zusätzliche Aufnahmen gemacht werden, die als Basis für das Sounddesign dienen können.
Zu den herausragenden Beispielen für Sounddesign zählt der Film „Der Dialog“ („The Conversation“, USA 1974) mit Gene Hackmann als paranoider Gutachter. Der Sounddesigner Walter Murch verwendete Synthesizer, um Alltagsgeräusche so zu verfremden, dass sie emotional wirken. Vom gleichen Sounddesigner stammen auch die unvergesslichen Hubschraubergeräusche in „Apocalypse Now“ (USA 1979). Ton kann für die Wirkung eines Filmes eine ungeheuere Bedeutung haben und weit mehr sein als lediglich ein sauberes Pendant zum Bild. Wer die Möglichkeit außer Acht lässt, den Ton als aktives Gestaltungselement zu nutzen, verschenkt enorm viel. Die Entscheidung für eine gestaltende Rolle des Tones bedingt in den meisten Fällen eine frühzeitige Planung und ein hochwertiges Tonarchiv.