Sibel Kekilli hat von introvertierten, schwachen Filmfiguren bis hin zu dominanten, ja bösartigen Figuren unterschiedlichste Charaktere dargestellt. Schauspieler-innen wie sie lassen sich im Idealfall voll und ganz auf die Figur, die sie verkörpern, ein. Welches sind die Grundlagen der Rollengestaltung?
Wie ist sie / er denn so?
Wenn Sie die Regie eines Spielfilms vorbereiten, ist es wichtig, dass Sie für Ihre Filmfiguren einen virtuellen Fahrplan erstellen. Beim realen Schienennetz einer Eisenbahngesellschaft erlauben die verlegten Gleise nur ganz bestimmte Abzweigungen, Geschwindigkeiten und Fahrziele. Von jeder Ihrer Filmfiguren sollten Sie ähnlich klare Vorstellungen haben, wie diese sich in jeder Phase der Filmhandlung verhalten sollten.
Wenn Sie aus ihrem persönlichen Umfeld Personen kennen, die so ähnlich wie ihre Filmfiguren sind, dann werden Sie intuitiv wissen, welche Grundstimmungen und Verhaltensweisen diese in unterschiedlichsten Situationen an den Tag legen werden. Ist dies nicht der Fall, so können Ihnen auch einfache psychologische Grundmuster weiterhelfen, für Ihre Filmfiguren grobe Richtungen vorzugeben. Für den therapeutischen Einsatz viel zu vereinfachend und problematisch können die Grundmuster bei der Anlage von Filmcharakteren durchaus hilfreich sein.
Nur das Fundament einer Rollengestaltung
Seien Sie sich bewusst darüber, dass über diese groben Grundformen stets eine individuelle Persönlichkeit gelegt werden muss, die vom Reichtum der Unterschiedlichkeit der Menschen geprägt ist. Dann können Ihnen diese Raster helfen, schlüssige und folgerichtige Entwicklungen zu inszenieren. Vergessen Sie nicht, dass Regie nicht nur Schauspielführung beinhaltet. Alle gestalterischen Elemente eines Filmes sollte die Regie im Sinne der Gesamtwirkung mitbestimmen. Tonebene, Ausstattung, Kostüm, Farb- und Motivwahl, all diese Arbeitsbereiche sollten die Filmfiguren optimal unterstützen.
Die zwei vielleicht wichtigsten Typisierungen sind die der Extrovertiertheit und Introvertiertheit. Die zwei gegensätzlichsten Pole im Zustand eines Menschen sind der ruhige, stabile Zustand und der unsichere, labile Zustand. In vielen Filmen lernt man die Figuren zunächst in ihrer ruhigen, normalen Umgebung kennen, bevor dann etwas Ungewöhnliches eintritt und die Figuren in jenen Zustand der gespannten Unsicherheit versetzt, der uns 90 Minuten am Zuschauen hält.
Beispiel Introvertiert
Betrachten wir zunächst den introvertierten Menschen. Im Zustand der Ruhe, der Ungestörtheit sind dessen mögliche Verhaltensweisen:
- Ausgeglichen, nachdenklich, vertieft, gedankenverloren, sanftmütig, selbstbeherrscht, friedfertig, sorglos, zuverlässig, passiv, ruhig, still.
Sobald diese Figur aus ihrem Normalzustand herausfällt, eine Störung eintritt, überwiegen andere Verhaltensweisen:
- Ungelenk, nüchtern, niedergeschlagen, unsicher, verhalten, reserviert, zurückhaltend, ungesellig, pessimistisch, scheu, gedämpft, bedrückt, unnahbar, vorsichtig.
Beispiel Extrovertiert
Gänzlich anders die Verhaltensweisen des extrovertierten, nach außen gekehrten Menschen im Ruhezustand. Im Vordergrund stehen:
- verantwortlich, leichtfüßig, verbindlich, führend, kontaktfreudig, beredsam, sorglos, lebendig, gesellig, wortgewandt.
Der extrovertierte Mensch im gestörten Zustand:
- Aktiv, empfindlich, heikel, ruhelos, angespannt, aufgeregt, impulsiv, eindringlich, launisch, hektisch, aggressiv, wechselhaft, mutig, halsbrecherisch, risikobereit, hoffnungsvoll.
Die Eigenschaften sind nicht verbindlich, sie sollen Sie beim Lesen lediglich einstimmen, auf Varianten bringen, die für Ihre Filmfigur geeignet erscheinen. Die sinnvolle Auswahl ist entscheidend. Kein Mensch durchlebt alle Zustände gleichzeitig. Die Aufgabe, die richtigen Verhaltensweisen den entsprechenden Situationen im Drehbuch zuzuordnen, bleibt Ihre Aufgabe. Die oben genannten Stichwörter können Ihnen dabei helfen, entlang der Route, die Ihr Film nehmen soll, die richtigen Hinweisschilder aufzustellen.