Eigentlich sind gute Drehbücher die wichtigste Grundlage starker Filme. Aus schlechten Drehbüchern werden so gut wie nie gute Filme. Damit sind DrehbuchautorInnen enorm wichtig für das Gelingen eines starken Spielfilms oder Fernsehspiels. Deshalb ist es wichtig, Ihre Arbeit zu schätzen, sie gut dafür zu bezahlen und ihre Arbeit auch angemessen sichtbar zu machen.
Das auch von vielen RegisseurInnen aus diesen Gründen unterstützte Bestreben um mehr Macht der Drehbuchautoren, hat diese einerseits gestärkt, ist aber seltsamerweise zugleich mitverantwortlich für viele mittelmäßige bis schlechte Filme. Was ist geschehen, dass die eigentlich sinnvolle Stärkung der DrehbuchautorInnen solche Nebenwirkungen hat? Dazu muss man ein wenig zurückschauen, in die Zeiten, als sich Drehbuchautoren und Autorenfilmer, also schreibende Regisseure in zwei Paralleluniversen befanden.
Ein befreundeter, preisgekrönter Drehbuchautor beklagte sich eigentlich jedes Mal, wenn wir uns sahen, wieder darüber, welches neue Drehbuch von ihm wieder von Regisseuren nicht verstanden und folglich bei der Verfilmung völlig verfremdet wurde. Das waren sicherlich bittere Erfahrungen und sie sind durchaus realistisch, wenn mittelmäßige bis unfähige RegisseureInnen gute Drehbücher bei der filmischen Umsetzung ruinieren.
Ich kann gut nachvollziehen, wie sich das anfühlt, wenn man vielleicht Jahre daran gearbeitet hat, ein starkes Drehbuch zu schreiben und die Regie dieses dann schlecht umsetzt. Der befreundete Autor schaute dann immer sehnsuchtsvoll auf die USA, wo den DrehbuchautorInnen viel mehr Macht zugesprochen wurde. Dort sind sie in einer Gewerkschaft, der "Screen Writers Guild" organisiert, die auf die Medienbranche einen gewaltigen Druck ausübt. Im deutschsprachigen Raum wurden zu diesem Zeitpunkt noch die Autorenfilmer, die schreibenden RegisseurInnen gewertschätzt und manchmal gar hofiert.
Inzwischen haben sich die Dinge gewandelt und auch im deutschsprachigen Raum sind mittlerweile fast amerikanische Verhältnisse eingezogen. Dies hängt einerseits direkt mit US Amerikanischen Auftraggebern wie Netflix zusammen und andererseits mit dem beständigen Ringen des Drehbuchverbandes und Kontrakt18 für eine Stärkung der Autorenrechte.
Forderungen von Kontrakt18
Dabei geht es unter anderem darum, dass die AutorInnen alle Bearbeitungsschritte des Drehbuchs,- also den Dreh und die Postproduktion autorisieren wollen. Ich glaube, mein befreundeter Drehbuchautor ist ziemlich glücklich über eine solche Regelung,- schließlich stellt sie einen gewissen Schutz vor unfähigen RegisseurInnen dar.
Eine weitere, aus AutorInnensicht vielleicht verständliche Forderung betrifft die Auswahl der Regie selbst, sowie dann später in Absprache mit derselben, sogar die Auswahl der SchauspielerInnen (Besetzung). Über diesen Punkt kann man vortrefflich streiten, diese Forderung lehnt sich an eine Position aus den USA an, die sogenannten "Showrunner". Diese sind zumeist DrehbuchautorInnen, die zugleich auch für die Herstellung der zu verfilmenden Drehbücher (meistens Serien) verantwortlich sind und zugleich auch "Executive Producer" sind. Von dieser Position und Gesamtverantwortung für eine szenische Produktion sind die DrehbuchautorInnen im deutschsprachigen Raum in der Regel meilenweit entfernt. Showrunner kommen von den Filmsets, die deutschsprachigen Drehbuchautor*Innen haben diese Erfahrung zumeist gar nicht. Sich dennoch die gleichen Befugnisse einzufordern, ohne aber diese Gesamtverantwortung zu tragen ist mehr als diskussionswürdig.
Insgesamt handelt es sich also um ein paar teilweise nachvollziehbare Möglichkeiten, darauf zu achten, dass ein gutes Drehbuch nicht in der Umsetzung zerstört werden kann. Die DrehbuchautorInnen, die diesen Forderungenkatalog unterschrieben haben, verpflichten sich, nur noch Verträge zu unterschreiben, welche diese Regelungen enthalten. Dabei berufen sich inzwischen so gut wie alle DrehbuchautorInnen, ganz gleich welche Qualität sie liefern, auf diese Forderungen und bekommen sie auch immer öfter vertraglich zugestanden.
Allerdings haben die Kontrakt18 Forderungen einen winzigen Haken: Sie gehen nämlich von grundsätzlich und automatisch genialen DrehbuchautorInnen und herausragenden Drehbüchern aus. Und genau da fängt das Problem an.
Leider längst nicht immer genial
Bedauerlicherweise sieht die Realität gänzlich anders aus. Geniale Drehbücher sind Mangelware, es überwiegt das Mittelmaß und es gibt auch viele unterirdische Drehbücher, auch in etablierten, renommierten Formaten des Deutschen Fernsehens. Leider kommt es immer häufiger vor, dass auch die AutorInnen miserabler Drehbücher sich die neuen "Authorisierungs"-Forderungen in ihre Verträge schreiben lassen und diese erfolgreich als Hebel benutzen, jedwedes Bemühen um die Rettung solcher Bücher zu unterbinden. Das führt bis zur vollständigen Lähmung von Kreativen, welche sehenden Auges gezwungen werden, Drehbücher mit erheblichsten Schwächen wortwörtlich und nahezu unverändert verfilmen zu müssen. Ganze Filmteams inklusive der SchauspielerInnen sind sich einig darüber, wie mangelhaft das Buch ist und müssen es, wenn die DrehbuchautorInnen unkooperativ sind, schlimmstenfalls ohne Verbesserungsoptionen verfilmen.
Diese Situation tritt vor allem bei Fernsehauftragsproduktionen ein. Während nämlich Kinoprojekte zumindest durch gewisse diversive Kontrollgremien wie Förderjurys etc. müssen, bevor sie finanziert und umgesetzt werden, kann im Zweifel das Fehlurteil oder die Urteilsunfähigkeit einzelner Redakteure dazu führen, dass auch minderwertige Drehbücher in Produktion gehen. Wer ab und an den Fernseher einschaltet, muss nicht lange suchen, um entsprechende Ergebnisse in Augenschein nehmen zu können.
In diversen stundenlangen Telkos äußern Regisseure und Produktion ihre Kritik, die Redakteure haben keine Haltung oder wollen Streit vermeiden und das letzte Wort haben dann die DrehbuchautorInnen. Je nach persönlichen Fähigkeiten greifen sie die dramaturgischen und inhaltlichen Kritikpunkte auf oder auch nicht. Gar nicht selten wirken die jeweiligen vertraglich vereinbarten "Fassungen" wie marginale Variationen der immergleichen Buchfassung. Kritikpunkte werden nicht aufgegriffen,- man vermeidet auch gerne Mehrarbeit. Lieber investiert man Zeit in Seitenlange Erläuterungen, weshalb man welche Optimierungsvorschläge nicht annehmen könne, als es überhaupt zu versuchen. Irgendwann naht dann der Drehbeginn und die übrigen Kreativen müssen das miserable Drehbuch dann genau so ohne jegliche Verbesserungsoptionen verfilmen. Die verantwortlichen AutorInnen sitzen dann später sogar im Schneideraum mit ihrem Drehbuch und kontrollieren, ob jede ungeschickte Dialogzeile und unlogische Handlung auch exakt so verfilmt wurde.
Drehbuchautor Orkun Ertener, einer der Unterzeichner von Kontrakt18 hatte in einem Interview mit der "Medienkorrespondenz" geäußert: "Wenn es sich tatsächlich in der Vorbereitung, bei den Leseproben oder wo auch immer ergibt, dass der Regisseur Veränderungen vorschlägt, Verbesserungen, was auch immer, da wird sich kein Autor und keine Autorin finden, die das verweigern." Das ist Wunschdenken,- das Gegenteil, eine weitgehende Blockadehaltung ist inzwischen immer öfter anzutreffen. Nein, das ist nicht die Hölle aus einem Filmemacher-Albtraum, sondern inzwischen immer öfter bittere Realität und Mitursache für mittelmäßiges oder schlechtes Fernsehen. Es gibt einige RegisseurInnen, die inzwischen von absurden, Stasi- ähnlichen, die gestalterischen Wege eines Films ignorierenden, Kontrollsituationen berichten.
Film ist ein kreativer Prozess und nicht "Malen nach Zahlen"
Drehbücher sind eine Grundlage, aus der ein Film entstehen kann, aber noch lange kein Film. Tatsächlich bedeuten die Forderungen der Drehbuchautoren, dass alle über 120 Jahre Filmgeschichte erprobten gestalterischen Schritte von dem Erarbeiten von Szenen in den Dreharbeiten bis hin zur Montage des Films nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung der DrehbuchautorInnen geschehen dürfen. Da werden kreative Prozesse der filmischen Umsetzung auf eine absurde Weise ausgebremst, ja gar verhindert. Ein Film ist immer ein neues Produkt, welches aus Anpassungen, Variationen, Improvisationen entlang eines Drehbuchs entsteht. Auf diesen Formungsprozess verzichten zu sollen, ist eine Negierung des kreativen Prozesses.
Der legendäre französische Filmregisseur Francois Truffaut hat einmal gesagt:
"Die Dreharbeiten sind die Korrektur des Drehbuchs und der Schnitt ist die Korrektur der Dreharbeiten".
Damit hat er sehr treffend ausformuliert, dass der kreative filmische Prozess, wie eigentlich alle kreativen Prozesse diverse Überarbeitungsschleifen benötigt. Die Forderung der AutorInnen nach einem Authorisierungsrecht von Überarbeitung führt dieses Prinzip eines lebendigen, wachsenden Gesamtkunstwerks, welches ein Film nun mal ist, ad absurdum. Bereits beim Table-Reading des Drehbuchs mit den Schauspielern und später bei fast jeder Probe werden Dialoge auf ihre Sprechbarkeit hin optimiert. "Wie spricht sich das für Dich, würdest Du das anders sagen?" Eine solche, eigentlich normale Frage an die SchauspielerInnen, ist nach Vorstellung der Kontrakt18 AutorInnen nur noch mit individueller Genehmigung jeglicher Veränderungen möglich. Spontane Einfälle der Regie oder der SchauspielerInnen? Gestrichen. Gibt es nicht. Ist vertraglich verboten.
Die unter dem Label Kontrakt18 formulierten Forderungen der AutorInnen sind aus Sicht verantwortungsvoller und vor allem begabter AutorInnen verständlich. Aber sie schließen aus, dass Drehbücher möglicherweise unzulänglich bis schlecht sein und DrehbuchautorInnen einzig mit der Abwehr von Mehraufwand für Überarbeitungen befasst sein können. Damit leisten sie ihrer Zunft und der Filmkultur einen Bärendienst. Spätestens wenn beauftragte Drehbücher nach mehreren Fassungen von mehreren Verantwortlichen als mangelhaft identifiziert werden, muss es Exit-Strategien geben um Automatismen auszuhebeln und schlechte Filme zu verhindern.