Es kommt zum Glück selten vor, Unfälle an Filmsets, die vermeidbar wären. Tatsächlich werden die Gefahren bei Dreharbeiten häufig unterschätzt, woran kann das liegen und wie kann man sie vermeiden? Nun einerseits hat man es an Filmsets mit sehr viel schwerem und nicht ungefährlichem Equipment zu tun.
Es gibt genügend Gefahrenquellen allein schon in Zusammenhang mit der reinen Aufnahmetechnik, welche unter den engen Drehplänen, die aus Kostengründen vorgegeben sind, längst nicht immer ausreichend berücksichtigt werden. Wenn es schnell gehen muss, werden Risken akzeptiert. Teammitglieder, die an dieser Stelle bremsen und Sicherheitsstandards reklamieren, machen sich unbeliebt und werden vielleicht beim nächsten Dreh nicht mehr beschäftigt.
Zu den besonders Gefährdeten gehören häufig Kamerafrauen,- und Männer, weil sie mit der Kamera häufig dicht an den Gefährdungsquellen für die besten Aufnahmen sorgen müssen.
Traumfabrik-Syndrom
Filmteams arbeiten häufig in einer Art irrationaler Zwischenwelt,- reale Gefahren werden gerne ausgeblendet oder übersehen. Die Möglichkeit, bei Dreharbeiten Dinge zu tun, die normalerweise nicht möglich wären,- Straßen, Brücken, Verkehrswege sperren zu lassen etc. ist nur einer der Gründe weshalb sich Menschen am Filmset manchmal in falscher Sicherheit wiegen. Dieses Gefühl, dass alles möglich ist, dass man Fantasien umsetzen, Träume visualisieren kann, ist leider auch oft mit einer gewissen Sorglosigkeit oder Übermut verbunden.
Hinzu kommt der Ehrgeiz, möglichst beeindruckende Aufnahmen, dramatische, dynamische Szenen einzufangen. RegisseurInnen wollen unbedingt ihre Visionen verwirklicht sehen. Oft genug werden kreative Entscheidungen zuungunsten von Sicherheitsaspekten getroffen. Hinzu kommt, dass Dreharbeiten sehr kräftezehrend sind und bei längeren Dreharbeiten sind Team und SchauspielerInnen immer erschöpfter. Und natürlich gibt es genau wie im echten Leben, auch unglückliche Konstellationen, fatale Fehlentscheidungen oder schlichtweg Pech.
Aus diesen und anderen Gründen ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Unfällen an Filmsets gekommen, die bei Einhaltung von Sicherheitsvorschriften nicht hätten passieren müssen.
Eine der häufigsten Unfallursachen wird in den Statistiken meist gar nicht erfasst, das sind nämlich Unfälle nach Drehschluss, also auf dem Heimweg vom Set oder im privaten Bereich, weil Teammitglieder so erschöpft sind. Schlafmangel und erhöhter Stress können außerdem zu Komplikationen bei Menschen mit Herzproblemen führen.
Unfälle
Verletzungen kommen häufiger vor, sie markieren quasi die Filmgeschichte, werden aber selten öffentlich gemacht.
Beim Dreh von „Citizen Kane“ stürzte Orson Welles (Regie und Hauptfigur) eine Treppe hinunter und musste mehrere Wochen im Rollstuhl weiterarbeiten.
Ellen Burstyn verletzte sich bei den Dreharbeiten zu „Der Exorzist“ am Rücken schwer.
Peter O'Toole hatte beim Dreh von „Lawrence von Arabien“ einen schweren Sturz vom Kamel und bei einer anderen Szene eine Handverletzung.
Bei den Dreharbeiten von „Der Zauberer von Oz“ fing das Hexenkostüm von Schauspielerin Margaret Hamilton Feuer und sie zog sich schwere Brandverletzungen zu.
Tom Cruise, der seine Stunts selber ausführt, hat sich bei "Mission Impossible 6" den Knöchel gebrochen.
Letitia Wright hat sich bei den Dreharbeiten zu Black Panther 2 schwer verletzt. Sie spielt Shuri, die Schwester von Black Panther T’Challa.
Todesfälle
Bei den Dreharbeiten zu "Ben Hur" starb bei dem legendären Wagenrennen ein Stuntman.
Bei den Dreharbeiten zu "Arche Noah" ertranken drei Komparsen in den künstlich produzierten Wasserfluten.
Beim Western "Sein letztes Kommando" starben beim Dreh einer Schlachtszene zwei Stundmänner und ein Komparse.
Bei den Dreharbeiten zu "Der Flug des Phönix" starb ein Stuntpilot.
Beim Dreh von "Shark" starb ein Stuntman durch eine Haiattacke.
Bei Flugaufnahmen von "Catch 22" starb der Second Unit Regisseur.
Dei den Dreharbeiten zu "James Bond - In tödlicher Mission" starb ein Stuntman
Beim Dreh von "Rambo II" starb ein Special Effekts-Mann bei einer Filmexplosion
Bei den Dreharbeiten zu "Body Guard" wurde ein Produktionsfahrer von Scheinwerferkränen getötet
Beim Dreh zu "Vampire in Brooklyn" verunglückte eine Stuntfrau tödlich
Beim Dreh von "The Final Season" starb der Kameramann bei einem Hubschrauberabsturz
Bei den Dreharbeiten zu "The Dark Knight" starb der Second Unit Kameramann bei einem Autostunt
Beim Dreh von "The Jumper" wurde der Bühnenbildner beim Abbau eines Sets getötet.
Bei den Dreharbeiten zu "Resident Evil: The Final Chapter" starb ein Teammitglied durch ein schlecht befestigtes Fahrzeug, das von einer Plattform rollte.
So starb bei Abbau eines Sets von "Blade Runner 2": ein Baubühnen-Arbeiter in den Budapester Origo Studios in Ungarn.
Zu den schwersten Unfällen an Filmsets gehörte ein Hubschrauberabsturz beim Dreh von der Kinofassung von "Twilight Zone", bei der Schauspieler Vic Morrow sowie zwei Kinderdarsteller starben.
Am Set von Marvel’s Wonder Man, starb ein Teammitglied nachdem es von einem Laufsteg gestürzt war.
Die Liste ist äußerst unvollständig und gibt nur eine vage Ahnung, was alles an Filmsets passieren kann. Man geht davon aus, dass es jedes Jahr sogar tödliche Unfälle an Filmsets in einem zweistelligen Bereich gibt. Oft erfährt die Öffentlichkeit gar nicht davon. In den allermeisten Fällen wurden die Dreharbeiten weitergeführt,- man einigte sich trotz des Schockzustands stets darauf, den Dreh "im Gedenken und Sinne der Verstorbenen" weiterzuführen.
Auf jeden Fall kann das Unfallrisiko bei Dreharbeiten nicht wegdiskutiert werden und Sicherheitsvorkehrungen, Pflichten und bei entsprechenden Projekten auch der Einsatz von Sicherheitsfachleuten sollten zwingend Bestandteil der Planung sein.
Technik
An vielen Sets gibt es heiße Scheinwerfer (Halogen, HMI), Leuchtmittel, die zerplatzen können und nur mit Sicherheitsscheiben betrieben werden dürfen, Kabel die ungesichert verlegt sind und über die man stolpern kann. Stromanschlüsse, oft sogar Drehstrom mit hoher Leistung. Lichtstative, die nicht ausreichend durch Sandsäcke und/oder Verspanngurte gesichert sind, Kräne, deren Arme bzw. Ausleger sich heben und senken und unter denen sich Menschen aufhalten, Ausleger, die ausscheren, Schienen über die man stolpern kann, Spezialfahrzeuge die rangiert werden müssen, Dronen, die abstürzen können allerlei Chemikalien für visuelle Effekte, die vorzeitig oder unkontrolliert reagieren, Waffen und vieles mehr.
So wie in einer Fabrikhalle zahlreiche Gefahrenquellen lauern und Sicherheitsschuhe und Helme Pflicht sind, so ist auch die Filmherstellung in gewissem Sinne eine industrielle Fertigung.
Straßenverkehr
Häufig sind in unmittelbarer Nähe des Sets zahlreiche Fahrzeuge als Aufenthaltsorte für SchauspielerInnen, Garderobe, Maske etc. geparkt. Das ganze fühlt sich oft an wie eine Wagenburg im Wilden Westen, man hat das Gefühl sich in einer eigenen kleinen Ortschaft oder einem von der restlichen Welt abgetrennten Bereich zu befinden. Nicht selten müssen Straßen überquert werden, um zu diesen Fahrzeugen zu gelangen. Es beginnt schon bei ganz einfachen Maßnahmen wie Sicherheitswesten, welche bereits massiv dazu beitragen, die Teammitglieder die sich auf Straßen befinden, besser sichtbar zu machen. Reflektierende Schutzwesten, welche mindestens die Schauspieler begleitenden AssistentInnen tragen, sind Pflicht.
Noch wichtiger werden Sicherheitsvorkehrungen, wenn tatsächlich im fließenden Verkehr gedreht werden soll. Straßenüberquerungen im laufenden Verkehr sehen im Film möglicherweise cool aus, sind aber, weil man sich auf viele andere Dinge wie Kamera, Darstellung und Regie konzentriert, durchaus riskant.
Bahnstrecken
Ich erinnere mich noch, wie mir mein Freund und Studienkollege Nico berichtete, dass bei seinen nicht offiziell genehmigten Dreharbeiten zu seinem Übungsfilm der Filmhochschule an einer IC Bahnstrecke der zweite Regieassistent, der vorwarnen sollte, wenn ein Zug sich nähert, in die falsche Richtung geschaut hatte und es beinahe zu einem folgenschweren Unfall gekommen wäre. Zum Glück haben Andere den nahenden Zug bemerkt.
Selbst an relativ sicheren Bahnsteigen können mit hoher Geschwindigkeit vorbeirasende Züge einen gefährlichen Sog erzeugen. Die Sicherheitskennungen auf den Bahnsteigen sollten, selbst wenn man sich für das stärkere Bild anders wünscht, zwingend eingehalten werden. Drehgenehmigungen an Bahnstrecken, selbst an Bahnhöfen sind aus gutem Grund nicht leicht zu bekommen und mit zahlreichen Sicherheitsauflagen verbunden. Zudem müssen die ProduzentInnen stets Freistellungserklärungen unterschreiben mit denen sie jegliche Haftung für Unfälle und Schäden tragen und die Bahn von jeglicher Haftung freistellen.
In den USA wurde 2014 bei Dreharbeiten zu „Midnight Rider“ die Kameraassistentin Sarah Jones von einem Zug erfasst. Das Team hatte auf einer Brücke ohne Drehgenehmigung und Sperrung der Strecke an Bahngleisen gedreht. Dieser Unfall war übrigens einer der seltenen Fälle, bei denen es anschließend rechtliche Konsequenzen gab. Der Regisseur des Filmes, Randall Miller wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, der Produktionsleiter und die Regieassistentin wurden zu 10 Jahren auf Bewährung verurteilt in denen sie keinerlei sicherheitskritische Tätigkeiten mehr ausüben durften.
Sicherheitskoordinatoren
Bei vielen Dreharbeiten macht es Sinn, Sicherheitskoordinatoren zu beschäftigen, die bereits im Vorfeld des Drehs auf Basis des Drehbuches mögliche Gefahrenquellen identifizieren und die entsprechenden Vorkehrungen treffen, Unfallrisiken zu minimieren. Sie sind bei Motivbesichtigungen dabei, bewerten die Risiken, die von bestimmten Gebäuden oder Drehsituationen ausgehen und begleiten die Dreharbeiten. Ihre Aufgabe, für Sicherheit am Filmset zu sorgen, bedeutet zugleich, dass sie regelmäßig den Drehablauf ausbremsen müssen um notwendige Sicherheitsmaßnahmen durchzusetzen.
Anforderungen von Stuntfrauen und Männern auch in Hinsicht auf Vorbereitungszeit und Proben sollten unbedingt berücksichtigt werden. Dazu gehören auch ausreichende Überprüfungen und Tests bevor potentiell gefährliche Szenen gedreht werden. Es ist stets eine Abwägungsfrage, ob und welches Budget für Sicherheit zur Verfügung steht. Bei erkennbar gefährlichen Drehs sollten Sicherheitskoordinatoren unbedingt eingeplant werden. Bei anderen, überschaubaren Drehs sollte unbedingt mindestens eine Person oder besser mehrere Personen, zum Beispiel die Aufnahme,- und Produktionleitung für die Einhaltung von Sicherheitsrichtlinien verantwortlich sein. In den USA, wo die Aufgabenverteilung am Set etwas anders gesehen wird, liegt die Verantwortlichkeit meistens bei der Regieassistenz.
Pylone, Absperrbänder (Flatterband), Sicherheitswesten, Warnschilder und mehr sollten zudem an keinem Filmset fehlen. Bei der Auswahl von Parkplätzen und Transportwegen rund um das Filmset sollte man bereits auf Sicherheitskriterien achten. Dann steht einem sicheren Dreh nichts mehr im Wege.