Musik und Film haben neben der Tatsache dass Erstegenannte die Filmhandlung oft emotional unterstützt, viele Gemeinsamkeiten. Diese haben mit Regeln, mit Gesetzmäßigkeiten zu tun. Oder nennen wir es, was junge wilde Kreative besonders ungerne hören, auch Struktur. Das klingt irgendwie nach Grammatik oder Mathematik, also nach jenen Schulfächern, die viele Kreative mehrheitlich hassen.
Und doch, auch wenn manche Menschen vielleicht meinen, dass Filme nur durch Eingebung und keinesfalls als Ergebnis struktureller Planung entstehen, sind sie da, die Parallelen im Aufbau von Sinfonien und Filmen. So hat eine Sinfonie eine Exposition, so wie ein Film eine Einleitung hat. Es bleibt Jedem selbst überlassen, ob er/sie die Erkenntnisse der deutlich älteren Kunstform, der Musik, auch für seine Filme nutzen möchte oder nicht.
Motive überall...
Wer Filme analysiert, kennt diese Parallelen vielleicht, die einem im direkten Vergleich begegnen. Die Dinge, die auffallen. Da ist zunächst einmal das musikalische Motiv, manchmal komplexer, manchmal ganz primitiv nur aus zwei Tönen bestehend, etwa das Nachahmen eines Kuckucks. Motive werden manchmal in der Musik, wie im Film auch angekündigt um dann später wie erwartet auch einzusetzen.
In einer Sinfonie wird dann dieses Motiv auf vielfältige Weise wiederholt, verändert und gesteigert. Und ebenso, wie es bei der Sinfonik Haupt,- und Nebenmotive gibt, kennen wir beim Film Haupt,- und Nebenstränge der filmischen Erzählung oder des dokumentarischen Aufbaus. Nicht immer werden Erwartungen nach Wiederholungen eines Motivs in der Sinfonik erfüllt, auch das kennt man vom Film, da verlieren sich auch manche Nebenhandlungen oder Motive wieder.
Hörbeispiel: Mahlers 5.
Ein starkes Beispiel für musikalische Motive und ihre Variationen und Steigerungen ist Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 5, die 1904 in Köln uraufgeführt und vom Publikum, wie Mahler später beklagte, nicht verstanden wurde.
Sie finden das Beispiel hier: https://www.youtube.com/watch?v=E9D1svZ9Y0s
(HIer dirigiert von Lorin Maazel. Für ganz Ungeduldige: Ab Minute 49, das sogenannte Adagietto mindestens etwa 11 Minuten lang hinein hören,- es lohnt sich.)
Wie sich das musikalische Motiv hier wiederholt, variiert und immer weiter steigert, ist mustergültig und phänomenal. Ähnliches gibt es beim Film. Man denke etwa an bestimmte wiederkehrende Orte, Situationen, an Versuche der Protagonisten etwas Bestimmtes zu erreichen, was ihnen erst nach mehreren Anläufen gelingt. Oder die Angriffe der Antihelden im Verlauf des Films. Jedes Mal ändern sich die Situationen, steigern sich die Bemühungen. Immer wieder tauchen bestimmte Örtlichkeiten in einem Film wiederholt auf und jedes Mal wenn unsere Filmfiguren dort auftauchen, hat sich etwas verändert. Das kann die Schule, der Arbeitsplatz, das Zuhause, die Wohnung oder auch ein Lokal, ein Kiosk oder auch die Wegstrecke zwischen zwei dieser Orte sein.
In der Sinfonie gibt es unterschiedliche Stimmungen, gibt es unterschiedliche Tempi, Steigerungen und Beruhigungen. Ähnliches kennen wir vom Film, auch die Erfahrung, dass man Kontraste braucht, um interessiert zu bleiben. Ohne leise Stellen in der Musik wird man die lauten nicht als laut empfinden und ohne ruhige Szenen im Film wird man die unruhigen nicht als unruhig wahrnehmen. Viele Variationsmöglichkeiten der Musik gibt es entsprechend auch beim Film.
Wiederholung, Variation und Kontrast
Zu den Variationen gehören etwa die Verkleinerung oder Vergrößerung von Intervallen, deren Umkehrung sowie das Rückwärtsspielen.
Natürlich kann man auch den Rhythmus verändern, Töne können kürzer oder länger gespielt, die Abstände verlängert oder verkürzt werden. Auch die Verteilung des Motivs auf Unter,- Mittel und Oberstimmeninstrumente gehört zu den beliebten Variationen. Oft antworten sich diese wie ein Echo.
Filme wie Sinfonien...
Und selbstverständlich hat jeder Satz in der Regel auch so etwas wie der Akt im Film einen Höhepunkt, nämlich das jeweilige Finale. Vom Aufbau her gibt es in vielen Filmen ähnlich klare Prinzipien. Wer sich einmal Dr. Schiwago (Regie: David Lean) von der Struktur her anschaut, wo der Film beginnt und endet (Staudamm), wo die Lara und Juri sich das erste und wo das letzte Mal begegnen (Straßenbahn), welche Rolle das Akkordion wann und bei welchen Filmfiguren spielt, der begegnet genau diesen Motiven und Bögen, die die Sinfonik kennt, in Filmform.
Wer Filme schneidet oder analysiert wird auf all diese Phänomene stoßen. Musik kennt ähnlich wie der Film Spannungsbögen und benutzt teilweise ähnliche Stilmittel zum Spannungsaufbau. Und nicht wenige Filme enden am gleichen Ort oder thematisch in einem ähnlichen Zusammenhang, wie sie begonnen haben. Genau wie viele Sinfonien...