Vorausgesetzt, man hat eine gute Internetverbindung, so kann Jeder eigene Videostreams produzieren. Und in Krisenzeiten ist Streaming für Viele die einzige Möglichkeit, weiter zu arbeiten. Insbesondere die Cororna-Krise hat gezeigt, dass plötzlich über Nacht andere Arbeitsweisen erforderlich werden. Von Filmfestivals über Firmenkonferenzen und kirchliche Messen,- die Bandbreite der Anwendungen hat sich schlagartig vervielfacht.
Oft sehen diese Streams eher unschön aus, irgendwie nach Notprogramm und Selbstgebastelt, dabei kann man auch hier auf Qualität achten. Was braucht es dazu, wie sind die Wege? Früher brauchte man für das hochwertige Live-Streaming teure und mühsam konfigurierbare Streaming-Encoder. Heute ist das alles viel einfacher geworden.
Drama Webcam
Die kleinen Kameras, die in jedes Handy, Tablett und jedes Notebook eingebaut sind, können natürlich bereits Videostreams erzeugen. Doch die Frage ist, welche Qualität man damit erzielt. Viele Dinge, die wir über hochwertige Videoaufnahmen wissen, etwa welche Rolle die Kamerahöhe, Position, Brennweite, Sensorgröße, Schärfentiefe etc. spielen, werden bei dieser Art von Aufnahme über den Haufen geworfen. Es ist ein wenig wie mit dem Passbildautomaten in der U-Bahnstation und hochwertiger Fotografie... Mit der Webcam des eigenen Notebooks sieht man durch den Weitwinkel seltsam verzerrt aus, die Kamera ist untersichtig, das eingebaute Mikrofon nimmt den ganzen Raumhall und den Lüfter des Notebooks mit auf. Solche Streams haben die visuelle Anmutung einer Notreportage aus einem Erdbebengebiet. Wie also stellt man höherwertige Streams her?
Videokameras
Die allermeisten Videokameras, die ihre Signale über HDMI oder SDI ausgeben, sind geeignet und können an die Systeme, die wir hier beschreiben, angeschlossen werden. Das ist der erste Baustein, der es ermöglicht, dass man statt der furchtbaren Weitwinkel-Webcam Darstellung problemlos mit größeren Sensoren, mit hochwertigen Optiken und guter Ausleuchtung arbeiten und so qualitätvolle Streams erzeugen kann.
Alle ordentlichen Video,- oder Fotokameras sind unendlich viel besser als jede Webcam. Manche von ihnen besitzen sogar schon implementierte Streaming-Fähigkeiten, mit denen man sie direkt an einen Computer anschließen kann. Hier gelten all die Qualitätskriterien, die auch bei normalen Film,- und Fotoaufnahmen gelten. Größere Sensoren sind in der Regel besser, für Portraits (also etwa wenn man beispielsweise als Blogger in die Kamera spricht) sind Normalbrennweite oder ein leichtes Tele vorteilhaft.
Fotoapparate
Fotoapparate haben oft eine Gesichtserkennung / Autofocus Funktion, damit hält die Kamera ausgewählte Elemente in der Schärfe. Um mit einem Fotoapparat ein sauberes Videobild zu erzielen, muss man im Menü einen "Clean HDMI" Ausgang einstellen, das bedeutet, dass keine Kamerainformationen mit ins Bild eingeblendet werden.
Da die Foto-Kamera durchgehend eingeschaltet bleibt können einerseits die Akkus schnell zur Neige gehen,- weshalb sich Netzteile anbieten, doch nicht jedes mitgelieferte Ladegerät dient auch gleichzeitig als Netzteil zur Stromversorgung. Außerdem können Fotoapparate, weil sie sehr kompakt gebaut sind, nach einer Weile überhitzen und sich selbst abschalten. Also nur einschalten, wenn sie wirklich gebraucht werden.
Canon hat eine Software bereitgestellt, mit der die meisten EOS Kameras direkt an den Computer (neuerer Bauart) angeschlossen werden können.
Auch Panasonic und Fuji haben Software herausgegeben, mit der ihre Fotokameras zum Streamen verwendet werden können. Damit werden Panasonics GH5, GH5s, G9 und S1 zu hochwertigsten Webcams. Die entsprechende Software für Fujifilm macht die GFX und X Serie Webfähig.
Downloads
Canon Software:
https://www.usa.canon.com/internet/portal/us/home/support/self-help-center/eos-webcam-utility/
Panasonic Software:
https://www.panasonic.com/global/consumer/lumix/lumixtether.html
Fujifilm Software:
https://fujifilm-x.com/de-de/support/download/software/x-webcam/
Olympus Software:
https://learnandsupport.getolympus.com/olympus-om-d-webcam-beta
Sony Software für Workaround:
https://imagingedge.sony.net/en-us/ie-desktop.html
Stand Alone Switch und Capture
Falls die Kamera noch nicht über eingebaute Streaming-Funktionen verfügt oder wenn man komplexere Szenarien mit mehreren Kameras oder Zuspielern plant, dann sind zusätzliche Geräte erforderlich, um die Kamerasignale zu steuern und aufzubereiten.
Für diesen Einsatz nutzt man, wenn man mehrere Kameras verwendet, am besten Black-Boxen, die den Datenstrom alleine erzeugen. Dezidierte Switches (Umschalter) und Interfaces erleichtern die Arbeit enorm. So bietet etwa Blackmagic (neben professionellen Studiolösungen wie Blackmagic Web Presenter) preiswerte Geräte wie ATEM Mini, ATEM Mini Pro oder als Einkameralösung den UltraStudio Mini Recorder. Je nach Ausführung mit Livestream Producer und Studio. Es gibt natürlich auch Alternativen anderer Hersteller, beispielsweise den AJA U-TAP (wahlweise als SDI oder HDMI Ausführung).
Maximal 4 Kameras können über den HDMI Anschluss des ATEM Mini eingespeist werden. Wenn man beispielsweise mit drei Kameras arbeitet, so kann man das ATEM Mini als Mischer zwischen die 3 Kameras schalten und über das USB-C Kabel in den Computer mit der OBS Software leiten. Die Software schickt den Stream dann auf YouTube.
Für den Computer, an den diese Geräte angeschlossen werden, wirken diese wie eine Webcam. Deshalb sind auch keine Treiber oder sonstige Software (außer natürlich eine Streamingsoftware, wie OBS) erforderlich.
Software-Studio
Die vorgenannten Geräte arbeiten aber auch mit allen wichtigen Softwarelösungen wie OBS, XSplit Broadcaster, YouTube Live, Facebook Live, Twitch.TV, Periscope, Livestream Producer / Studio, Wirecast oder Skype zusammen.
Diese Streaming-Programme haben die Aufgabe, all diese verschiedenen Signale von Kameras und Audio-Interfaces in ein Format zusammenzufügen, welches alle Streaming-Sites wie YouTube, Facebook Live, Twitch und andere nutzen können. Gängige Formate sind beispielsweise HTTP Live Streaming (HLS) und Dynamic Adaptive Streaming over HTTP (DASH).
Eine der bekanntesten Low-Cost Lösungen ist der Weg über die "Open Broadcaster Software", ein Open Source Projekt für Windows, Apple und Linux. Die Software nennt sich OBS Studio und kann hier kostenlos heruntergeladen werden:
https://obsproject.com/de
Mit dieser Software kann man Videosignale aus Videokameras entweder im Computer aufnehmen oder bei entsprechender Netzverbindung eben streamen. Dabei bilden die Kontrollbildschirme des Programms Studioumgebungen nach. Man kann sogar Signale mischen, es gibt diverse Filter für Videoquellen wie Bildmaskierung, Farb-Korrektur, Chroma/Farb-Keying etc.
Ton
Auch auf der Tonseite findet man vieles wieder, was man auch aus normalen Studios kennt. In diesem Bereich gelten eigentlich genau die gleichen Gesetzmäßigkeiten wie bei Film / Videoaufnahmen. Hier sollte man mit hochwertigen Mikrofonen arbeiten, Ansteckmikrofone, Kopfbügelmikrofone, Richtmikrofone oder als Blogger vielleicht sogar Großmembranmikrofone. Es kommt bei der Mikrofonierung auf die jeweilige Situation an, die akustisch erfasst werden soll. Dazu findet Ihr mehr im Tonbereich des Movie-College.
Neben den Mikrofonen sind auch die verwendeten Vorverstärker wichtig und ggf. auch die verwendeten Limiter und wo diese genau einsetzen. Ein Audio-Mixer mit Noise Gate, Rauschunterdrückung und Gain erlaubt die Kontrolle der Tonsignale. Hochwertige Filmton-Mischpulte sind hier sehr zu empfehlen, sie sind rauscharm, klingen gut und haben ausreichend Reserven. Firmen wie Sound-Devices bieten hier hohe Qualität, ganz gleich ob man ein Mischpult oder eines mit eingebautem Rekorder verwendet.
Ganz gleich, ob man sich den Ton mit Ansteck,- oder Richtmikrofonen holt und über eine Kamera oder den MIC-Eingang vom ATEM Mini oder anderen Interfaces einspeist: Wichtig,- die einzelnen eingebauten Kameramikrofone müssen auf stumm geschaltet werden.
Sync?
Den Ausgang den Mischpults / Rekorders sollte man nach Möglichkeit auf die Kamera geben. Damit ist sichergestellt, dass der Ton auch synchron zum Bild bleibt. Die Videosignale sind nämlich meistens minimal langsamer als die Tonsignale. Deshalb besteht das Risiko, dass es zu Verzögerungen zwischen Bild und Ton kommt. Ist es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, den Ton direkt in die Kamera einzuspeisen, oder falls man ein USB Mikrofon verwendet, sollte man herausfinden, wie groß der Zeitversatz zwischen Bild und Ton ist. Ein Mitschnitt einer Probeaufnahme, in der man eine Filmklappe schlägt, oder in die Hände klatscht, liefert hier Klarheit. Den gefundenen Wert an Zeitversatz kann man dann als Offset in seiner Streaming-Software eingeben.
Licht
Auch hier gelten alle Regeln, die auch für die normale Filmaufnahme gelten. Für Personenaufnahmen ist also ein weiches Licht vorzuziehen, um den Aufnahmen eine räumliche Tiefe zu geben, kann man im Hintergrund noch ein paar Lichtakzente setzen. Auf jeden Fall muss auch hier die Ausleuchtung so gewählt sein, dass sie in den Dynamikumfang der Kamera hinein passt, also keine ausgebrannten Lichter oder undifferenzierte harte Schatten erzeugt. Mehr dazu im Licht-Bereich des Movie-College.
Bandbreiten
Natürlich ist das Internet in den meisten Fällen das Gegenteil einer Datenautobahn. Deshalb muss man sich genau überlegen, in welcher Auflösung und welcher Bitrate man seine Signale überträgt, damit sie überall ruckelfrei angeschaut werden können. Hier ist derzeit 720p das favorisierte Format fürs Streaming. Einerseits ist es eine HD-Auflösung, das Bildseitenverhältnis ist 16:9 und andererseits kommt es mit geringen Datenraten aus.
Einige Systeme können auch während des Streamings, wenn sie schlechte Verbindungen registrieren, umschalten zwischen unterschiedlichen Bildraten wie 720p/20, 720p/15, 720p/10 oder 720p/5 pro Sekunde.
Es klingt komplizierter, als es ist, doch es lohnt sich und Eure Streams sehen plötzlich viel hochwertiger und nicht mehr nach Erdbebengebiet-Reportage aus. Viel Erfolg!