Die Fernsehsender kriegen regelmäßig Zuschauerbriefe in denen die schlechte Verständlichkeit des Tons beklagt wird. Woran liegts?
Die Antwort ist nicht ganz einfach, auch wenn man sehr gerne die einfachste Erklärung,- das Alter der Zuschauer, als Grund bemüht. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Ursache Nr. 1 - Hörvermögen
Gutes Hören ist längst nicht so selbstverständlich, wie viele annehmen. Schon heute ist in Europa jeder sechste Mensch schwerhörig. Laut WHO wird 2050 voraussichtlich jeder vierte Mensch weltweit unter Hörproblemen leiden. Dabei sind es längst nicht nur Senioren, die beim Hören beeinträchtigt sind, selbst Kinder und Jugendliche können durch Krankheiten wie Röteln, Mittelohrentzündung oder Meningitis, aber auch durch zu lautes Musikhören hörgeschädigt sein.
Für viele Menschen mit eingeschränktem Gehör sind die Corona-Masken ein Riesenproblem. Konnten sie normalerweise den Teilverlust des Hörens durch das Ablesen der Lippen teilweise kompensieren, können sie durch die Masken einerseits keine Lippen mehr erkennen und andererseits wird der Schall durch die Masken um fünf bis zehn dB reduziert.
Doch über den Umfang, den dieses Problem in der Gesellschaft angenommen hat, spricht man kaum, nicht als Betroffener und oft auch nicht als Dienstleister, der Toninformationen aufbereitet, so wie es beispielsweise Mischateliers für Film, Fernsehen und Hörfunk sind. Auf diese Weise ist das Problembewusstsein extrem unterentwickelt.
Ursache Nr. 2. Dramaturgie und Schauspieler
Hinzu kommt, dass man sich in verschiedensten Fernsehformaten inzwischen von der klaren Betonung verabschiedet hat und aus Gründen der Realitätsnähe auch gerne nuschelnde, flüsternde und vom Mikrofon wegsprechende Akteure setzt. Klar, das wirkt authentischer, aber wenn die Schauspieler nicht in der Lage sind, das zugleich auch verständlich zum Ausdruck zu bringen, wird es mühsam. Till Schweiger steht da absolut nicht allein auf weiter Flur, das Phänomen ist weit verbreitet.
Bühnenschauspieler kennen das Problem in ganz anderem Ausmaß,- sie müssen bis in die 50. Reihe des Zuschauerraums verständlich und zugleich glaubhaft sprechen. Da sollte der Abstand von ca. 25 Zentimetern bis zum Mikrofon am Filmset eigentlich eine simple Sache sein. Ist es aber nicht.
Ursache Nr. 3. Die Tonmischung
Filmton besteht aus einer Vielzahl von Tonebenen, die parallel zueinander in der DAW (Audio Workstation) angelegt und in der Filmmischung in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden. Wenn dann noch, beispielsweise in Krimis die Handlung durch lautes Sounddesign und Musik unterfüttert wird, haben Menschen mit Hörschwäche keine Chance mehr irgendwelchen Ermittlungsschritten zu folgen. Die technischen Richtlinien der Fernsehsender schreiben zwar einen Mindestabstand von 6 dB zwischen den Dialogen und den übrigen Tonebenen vor, doch das ist alles sehr relativ und abhängig davon, ob sich im Frequenzbereich der Sprache noch viele andere Tonelemente befinden.
Dass viele Krimis aufgrund schlechter Drehbücher, oft auch für gut Hörende nicht nachvollziehbar sind, soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.
Gerne reduziert man es auf die Altersschwerhörigkeit und meint, die Betroffenen sollten doch einfach ein Hörgerät verwenden. Doch so einfach ist es eben nicht. Hörgeräte leisten nämlich im Gegensatz zum gesunden Ohr meistens kein selektives Hören, also das Herausfiltern gewünschter Informationen. Wenn viele Toninformationen übereinander liegen, etwa in Gesellschaft, in Lokalen, auf Festen und- aber auch bei einem Film, können Schwerhörige die wichtigsten Informationen,- meistens den Dialog, nicht so gut verstehen. Hörgeräte dürfen auch nicht zu sehr verstärken, weil es sonst mit dem im gleichen Gehäuse befindlichen Mikrofon zu Rückkopplungen kommt. Hörgeräte bei denen Mikrofon und Hörer getrennt sind, sind da etwas vorteilhafter.
Die Filme werden natürlich nicht,- sonst wären sie für den Job ungeeignet- von Schwerhörigen gemischt, sondern von jungen MischmeisterInnen mit hervorragendem Gehör. Und man kontrolliert sie und nimmt sie ab über hervorragende, sehr teure Studiolautsprecher. Die TonmeisterInnen können sich gar nicht vorstellen, was da von ihren Mischungen beim Publikum ankommt. Ältere TonmeisterInnen würden hier anders mischen.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass man in der Tonmischung oft versucht, lästige Nebengeräusche der Drehorte durch Atmos und Musik zu überdecken. Oder die wegen schlechter Drehbücher oder schwacher Inszenierung fehlende Spannung soll künstlich durch dramatische Musik über Szenen übergestülpt werden.
Ursachen Nr. 4. Die Abhörsituation
Auch die ultraflachen Bildschirme können mangels Volumen gar keinen vollen Klang mehr bereitstellen, da waren die guten alten Röhrenfernseher tatsächlich klanglich im Vorteil. Zwar bieten die Flatscreens in den Menüeinstellungen zumeist diverse Optionen und Einstellungen, doch die schiere Wiedergabeleistung der verbauten Lautsprecher ist für eine hohe Sprachverständlichkeit unzureichend. Soundbars mit speziellen Einstellungen für Präsenzanhebung "Voice" können da etwas helfen.
Auch die Abhörbedingungen in den Wohnzimmern sind oft suboptimal. Reflektierende Wände, Fensterfronten, glatte Parkettböden, nichts was die störenden Reflexionen des Schalls dämpfen würde.
Die Möglichkeiten auf Seiten der Schwerhörigen sind recht begrenzt.
Lösungsansätze
Deshalb ist es umso wichtiger, dass insbesondere die Anbieter von Filmen und sonstigen Medienangeboten Wege finden, die Verständlichkeit vor allem von Sprache zu verbessern.
Das europäische Forschungsprojekt HBB4ALL versucht, sich dieser Aufgabe zu widmen. So haben der RBB und auch der NDR schon seit einigen Jahren Tests unternommen, die Sprachverständlichkeit zu optimieren. "Clean Audio" ist eines der Stichworte. Auch das IRT, welches wohl nicht mehr weitergeführt wird, hat an entsprechenden verfahren gearbeitet. Die Idee dahinter- Hintergrundgeräusche, Musik etc. soweit zu reduzieren, dass die Sprache verständlicher wird. Für die Tests des RBB stellte man in der Mediathek jeweils eine "Clean Audio" Version zur Verfügung und die Rückmeldungen waren durchwegs positiv. Die Tester-innen waren mit den Ergebnissen sehr zufrieden.
Der NDR hat eine etwas andere Lösung gewählt, nämlich den "Klare Sprache" genannten Fernsehbegleitton, also ein zusätzliches Tonsignal zum regulären Ton. Dieser Ton ist meistens auf der dritten Tonspur untergebracht und kann bei geeigneten Flatscreens oder Set-Top-Boxen im Menü ausgewählt werden. Das vom NDR gewählte Verfahren erstellt aus dem vorhandenen Filmton eine gefilterte Version, bei der die Dialoge stärker im Vordergrund stehen. Das bedeutet natürlich eine enorme Kostenersparnis, weil kein Extraton eigens produziert werden muss.
Ein individueller Weg wären Kopfhörer oder Abhören mit individuell einstellbarem Equalizer. Es sind nämlich so gut wie immer die hohen Frequenzen, welche bei Menschen mit Hörschwäche nicht so gut wahrgenommen werden. Sprache liegt etwa zwischen 150 und 8000 Hz, der fehlende oder zu schwache Anteil liegt eher oberhalb von 2000 Hz. Genau dort, wo die Zischlaute das individuelle Erkennen von Sprachinformationen ausmacht. Wenn man mit einem Equalizer genau diese Frequenzen anhebt, wird auch der TV Ton wieder besser verständlich. Außerdem sollten die Kopfhörer für stark Schwerhörige möglicherweise einen höheren Schalldruck liefern können. Während normale Kopfhörer bei etwa 100 bis 110 dB Schalldruck liegen, benötigen manche Schwerhörige beispielsweise einen maximalen Schalldruck von 120-130 dB. Da die Hörschwäche oft nur ein Ohr betrifft, sollte man beim Kopfhörer auch wählen können, ob beide Seiten oder nur eine Seite verstärkt und gefiltert werden sollen. Für die Wiedergabe auf Smartphones gibt es eine Reihe von Software Equalizern, aber bei der Einstellung etwa für reine Kopfhörer, da ist der Markt seltsamerweise extrem dünn.
Das Problem ist den Fernsehsendern jedenfalls bekannt, man darf gespannt sein, wann man entsprechende Lösungen tatsächlich zum Sendestandard werden lässt.