Großer (Ent-)Wurf?
Das wichtigste überregionale Instrument der heimischen Filmförderung, die FFA (Filmförderungsanstalt), erwartet mehr Geld und neue Spielregeln. Ein neues Filmförderungsgesetz. Das Geld stammt aus einer erhöhten Abgabe der Zuschauer aus den Eintrittskarten und höheren Zahlungen der Videowirtschaft und der Fernsehanstalten in diesen Topf. Wie immer, wenn Veränderungen ins Haus stehen, gibt es jene, die mit den bisher bestehenden Regeln gut gelebt haben, und jene, die in Zukunft besser damit leben möchten. Und es gibt jene, welche die letztgenannten möglichst von der Teilhabe an den bisherigen Pfründen ausschließen möchten.
Mit bisherigen Pfründen sind unter anderem die sogenannten Referenzmittel gemeint - das sind Gelder, die abhängig von der Zuschauerzahl erfolgreicher deutscher Filme für den Produzenten zur Realisierung neue Filmprojekte zur Verfügung stehen. Besonderer Vorteil: Im Gegensatz zu normalen Filmförderung müssen die Projekte keine Gremienauswahl durchlaufen, das Geld fließt also automatisch beim nächsten Film. Fragen nach der Qualität werden gar nicht erst gestellt.
Referenzen
Bisher musste ein Spielfilm innerhalb eines Jahres mindestens 100.000 Kino-Zuschauer haben, um in den Genuss einer solchen Förderung zu gelangen. Ein hoher Schwellenwert, den qualitativ hochwertige Independent-Produktionen hierzulande kaum erreichen. Die großen Produktionen schaffen es aber, selbst Filme auf niedrigstem geistigen Niveau durch massive Werbung über diese Mindestgrenze zu drücken. Wer also viel Geld hat, kann mehr davon fast automatisch beziehen. Die Besucherschwelle soll nun gar auf 150.000 erhöht werden, eine Mauer, die Independents so gut wie nie überschreiten können.
In der Frühzeit der FFA kamen neben dem jungen deutschen Film die besucherstärksten Filme ihrer Zeit in den Genuss der Referenzmittel: Aufklärungsfilme à la "Schulmädchen-Report" und Filmschnulzen. Und auch heute hält sich das Niveau mancher geförderter Streifen wie "Knallharte Jungs" in extrem engen Grenzen.
KO-Kriterien gegen Independents
Immer wieder wird am Filmförderungsgesetzt herumgedocktert und meist setzt sich die Lobbyarbeit der Großproduzenten bei der Gesetzesgestaltung durch. Auch, wenn jahrelang am neuen Gesetzentwurf geschmiedet wurde und die Kulturstaatsministerin Christina Weiss nach eigenen Angaben auch mit Kreativen gesprochen hat, so werden im aktuellen Entwurf wie bisher weitgehend nur die Großproduzenten berücksichtigt. Die Kreativschmieden, die Independents kommen darin nicht vor und werden durch geeignete Regelungen auch von den Fördertöpfen ausgeschlossen. Angebliche Erleichterungen, wie ein Punktesystem, wonach auch Teilnahmen auf wichtigen Festivals bei der Erlangung von Referenzmitteln helfen sollen, scheitern an einer Zuschauerhürde von mindestens 50.000 und der Vorgabe, der Film müsse in der Hauptreihe der jeweiligen Festivals gelaufen sein.
Und die reine Produktionsförderung bleibt den Independents ohnehin verschlossen, weil überholte Richtlinien bewusst verfestigt werden sollen. Um überhaupt Förderung bei der FFA beantragen zu können, muss der Produzent 15 % Eigenmittel haben, sowie eine GmbH oder AG mit 100.000 Euro Stammkapital - Vorgaben, an denen 90 % aller Independent-Produktionen scheitern. Wer Low-Budget produziert, kann keine der altbackenen Vorgaben erfüllen, die den finanzstarken Erfolgsproduzenten hofieren. Die restriktive Haltung der Banken in Sachen Filmfinanzierung trägt ihr Übriges dazu bei, dass die FFA zu einem Exclusivclub der Großproduzenten zu werden droht.
Vergessene Absichten
Dabei sollte durch die Novelle des Gesetzes endlich auch den Produzenten anspruchsvoller Filme Zugang zu den Fördermitteln gewährt werden. Die vorigen Kulturstaatsminister Naumann und Julian Nida-Rümelin betonten die Notwendigkeit einer Stärkung des Films als Kulturgut. Und auch Christina Weiss unterstrich unlängst in München ihr Bestreben, den Kreativen mehr Möglichkeiten zu eröffnen. Sie hat glaubwürdig vermittelt, dass sie um die Berücksichtigung der kulturellen Aspekte des Films ringt. Wie konnte es dazu kommen, dass all diese Absichten im Gesetzentwurf nicht mehr zu finden sind?
Die Antwort ist sicherlich in der intensiven Lobbyarbeit der Schwergewichte in unserer Filmindustrie zu finden. Die bezahlten Branchenvertreter, die landauf, landab reisen, um die Interessen ihrer Verbandsmitglieder immer und immer wieder den politischen Entscheidungskräften zu vermitteln, haben ganze Arbeit geleistet. Nicht nur als Sprachrohr ihrer Verbände, nein, auch als Sachverständige bei Anhörungen der zuständigen Gremien des Bundestages haben Lobbyisten der Großproduzenten ihre neutrale und unabhängige Meinung abgegeben, wie das neue Filmförderungsgesetz auszusehen habe.
Die in §2 des Filmfördergesetzes aufgestellte Förderung, die Qualität des deutschen Films auf breiter Grundlage zu steigern, wird dank intensiver Lobbyarbeit der einschlägigen Verbände wohl auch in Zukunft nicht eingehalten werden.
Die üblichen Verdächtigen
Als Feigenblatt durfte zwar hier und da auch ein Vertreter der "AG Dokumentarfilm" oder der eine oder andere Filmschaffende etwas äußern, doch die eigentliche Meinungsbildung und Ausgestaltung der Entwürfe lag fest in der Hand der Verbände, allen voran die SPIO, die "AG Neuer Deutscher Spielfilmproduzenten", gefolgt vom "Interessenverband Film 20". Ihr Ziel, den eigenen Mitgliedern faktische Exklusivität beim Zugriff auf die FFA-Mittel zu sichern, scheint zum Greifen nahe.
Auch bei der Zusammensetzung der Gremien gibt es machtkonzentrierende Gleichzeitigkeiten einzelner Gremienmitglieder, die zusätzlich im FFG-Präsidium und dem Verwaltungsrat sitzen sowie darüber hinaus als Verbandslobbyisten tätig sind. Die Independents, die kleinen Kreativschmieden, die seit Jahrzehnten mit dafür sorgen, dass der heimische Film nicht zum überwiegenden Teil in einer Ansammlung von Schmonz versinkt, haben keine Lobby, keine verbandsfinanzierten Handlungsreisenden, die dafür sorgen, dass Regelungen, die völlig am Produktionsalltag vorbeigehen, mit der aktuellen Realität abgeglichen werden. Sie haben vielfach nur die besseren Ideen, Fantasie, ästhetischen Erneuerungswillen, großen Mut und jede Menge Herzblut, diese irgendwie filmische Wirklichkeit werden zu lassen.
Das drohende Desaster mit dem neuen Filmförderungsgesetz wird ihnen die ohnehin dünne Luft noch weiter beschneiden. Auch, wenn es dem Geist der Independents widerspricht: Es scheint dringend an der Zeit, sich zusammenzufinden, den anspruchsvollen, den besseren deutschen Film zu retten und endlich die Stimme gegen Selbstbedienungs-Lobbyisten zu erheben.
Aussicht
All dies hat im Jahr 2012 die Gemüter bewegt. 2023 arbeitet Kulturstaatsministerin Claudio Roth mit an einer Novelle des Filmförderungsgesetzes und man muss fürchten, dass die Dinge sich für die Independent-Produktionen noch weiter verschlechtern werden.