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Doku Bayer 4000

Ist die Aufnahme des Oktoberfest-Besuchers am Flughafen wirklich authentisch oder wurde durch den Bildausschnitt und die Brennweite der Kamera bereits eine Gewichtung, eine Hervorhebung bewirkt?

 

Wie wahrhaftig ist das Wahrhaftige?

Mit der Authentizität, der Echtheit, der Wahrhaftigkeit ist es so eine Sache,- im Dokumentarfilm eigentlich die Grundannahme,- stellen sich dennoch einige Fragen. Wie wahrhaftig ist denn eigentlich das Wahrhaftige im Dokumentarfilm? Können wir überhaupt die Wirklichkeit, so wie sie ist, in eine filmische Form bringen? Unverfälscht und ohne jegliche Eingriffe als FilmemacherInnen?

Tierfilmer*Innen treiben mit Tarnzelten, Tierattrappen und versteckten Kameras recht hohen Aufwand, um die gefilmten Lebenwesen möglichst wenig in ihren natürlichen Abläufen zu irritieren. Beim Dokumentarfilm mit und über Menschen ist da plötzlich ein kleines Filmteam, bestehend aus Regie, Kamera und Ton dabei, welches man schwerlich übersehen kann. Und dieses Filmteam möchte häufig auch Einblicke in die Privatsphäre, möchte Bereiche filmisch begleiten, die den Protagonist*Innen vielleicht gar nicht so recht sind.

Authentizität ist eine seltsame Sache. Einerseits proklamieren die meisten Dokumentarfilme für sich, dass sie genau diese bieten würden, andererseits ist den allermeisten Filmemachern bewussst, dass eben diese uthentizität nahezu unerreichbar ist. Das hat nicht nur mit dem Prozess des Filmemachens zu tun, sondern auch mit der Tatsache, dass Menschen nunmal unterschiedlich sind und Jeder anders mit dem vorgefunden Material umgeht.

Die Wirklichkeit wird schließlich nie allumfassend, alle Richtungen zeigend und keinen Moment auslassend wiedergegeben, sondern in einzelne Aufnahmen zerlegt und in der Montage neu und anders zusammengebaut. Das haben bereits die Filmtheoretiker des britischen Documentary Movement (eine Dokumentarfilm-Bewegung in England in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts) sehr treffend formuliert:

"We have to interpret creatively and in social terms the life of the people as it exists in reality."

Demgegenüber hatten die Vertreter des Cinéma Vérité und des Direct Cinema in den 60er Jahren so ihre eigenen Ansichten. Wie authentisch also kann ein Dokumentarfilm überhaupt sein? Welche Regeln sollten Dokumentarteams einhalten, um das reale Geschehen möglichst wenig zu beeinflussen? Was ist erlaubt, um die Qualität, die inhaltliche Tiefe des Dokumentarfilms zu erhöhen? Was ist noch Gestaltung und was schon Manipulation?

 

Doku Bayer 2 4000

Die gleiche Situation, doch diesmal etwas distanzierter. Ist der Moment nun echter, weil keine Hervorhebung stattgefunden hat?

 

Fragen an die Wirklichkeit

Ist die Anwesenheit einer Kamera, das Einschalten der Aufnahme und auch das Beenden,- bereits eine Einflussnahme auf die Wirklichkeit?

Wie sieht es damit aus, wenn man einen bestimmten regelmäßigen Ablauf eines Protagonisten, der eigentlich außerhalb der Drehphase liegen würde, nach vorne verlegt, um sie drehen zu können?

Was, wenn man eine bestimmte Konfliktsituation, die real schon einige Male stattgefunden hat, für die Kamera noch einmal geschehen lässt?

Oder wenn man die Protagonisten fragt, ob sie etwas bestimmtes an einem für das Filmteam optimalen Drehtag machen könnten?

 

Handschrift und Subjektivität

Filmemacher*Innen sind Individuen, sie wollen das Gesehene, Erfahrene durch ihren individuellen Blickwinkel aufzeigen. Und selbst, wenn diese Absicht nicht so explizit in sich verspüren, so werden sie zwangsläufig dennoch gestalten. Der Aufnahmezeitpunkt, die Dauer, die Position der Kamera, die Kadrage, die spätere Materialauswahl, die Montage, das was weggelassen wird, die dramatische Verdichtung oder auch der Aufbau des Filmes sind Eingriffe in das, was zum Drehzeitpunkt die Realität war. 

Subjektivität muss nichts Schlechtes sein, es gehört zum Ausdruck einer Haltung. Klassische Fernsehformate wie die Reportage, welche den  /die Reporter*In sichtbar werden lässt, lassen keine Zweifel aufkommen, wessen Haltung der Film repräsentiert. Doch auch andere dokumentarische Formen dürfen subjektiv sein. Wichtig ist, dass man diese Subjektivität auch benennt und seine persönlichen Meinungen nicht unter dem Deckmäntelchen der Objektivität versteckt.

Wo ist es noch Dokumentarfilm und wo beginnt die Inszenierung? Ist die Wahrheit über ein reales Geschehen in Gefahr, wenn Filmemacher*Innen diese verdichten, Zusammenhänge für die Zuschauer augenfälliger werden lassen? Wenn verantwortungsvoll mit dem in der Realität vorgefundenen Material umgegangen wird, wenn Zusammenhänge nicht verfälscht, Aussagen nicht manipuliert werden, dann sind dramaturgische Verdichtungen und gestalterische Möglichkeiten des filmischen Erzählens wichtig, um Themen den Zuschauern näher zu bringen. Um sie zu emotionalisieren, um Empathie zu erzeugen und im besten Fall ein wenig diese Welt zu verändern. 

 

Mischformen

Schwieriger ist die Bewertung der Authentizität bei sogenannten Mischformen zwischen Spiel,- und Dokumentarfilm. Gemeint sind Formate wie der Dokumentarische Spielfilm, der Semidokumentarfilm oder auch die Spieldokumentafion. Diese Fiktionalisierungen bieten die Chance, dass Zuschauer*Innen, die nie einen Dokumentarfilm anschauen würden, mit Themen in Berührung kommen, die sie sonst nicht erreichen würden.

Einige Produktionsfirmen nutzen diese Mischformen auch als erfolgreiche massentaugliche Fernsehformate. Diese bergen aber auch Gefahren in sich, das sollte Jedem bewusst sein. Hier kommt eine Verantwortung dem dokumentarischen Material gegenüber zum Tragen. Hier muss man genau hinschauen, ob das verwendete dokumentarische Material im Sinne journalistischer Standards verwendet wurde, oder ob es einfach nur als Stock-Footage den inszenierten Filmelementen mehr Glaubwürdigkeit verleihen soll. Doch das ist schon wieder ein neues Thema...

 

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