Kameraposition zum Darsteller
Eine weitere wichtige Differenzierung und Entscheidung ist die Position der Kamera in Bezug auf den oder die Darsteller im Motiv. Dabei kann man unterschiedliche Aspekte berücksichtigen: technische wie psychologische. Technisch gesehen ist Film wie auch das Foto gegenüber der Wirklichkeit (dreidimensional) in seiner Räumlichkeit eingeschränkt. Film ist nun einmal nur zweidimensional. Mit Hilfe von Beleuchtung und Auswahl des Aufnahmewinkels kann man Personen, Objekte oder auch Räume plastischer wirken lassen. Psychologisch kann man Bewertungen aus der eigenen Erfahrung übertragen. Wie empfinden Sie es, wenn jemand Ihnen zugewandt, ein wenig oder völlig abgewandt ist? „Jemandem die kalte Schulter zeigen“ ist in diesem Zusammenhang durchaus wörtlich zu nehmen. Auch wenn an dieser Stelle mögliche Bewertungen erläutert werden, so sind sie stets relativ. Einstellungen müssen immer auch in ihrem Kontext bewertet werden.
Vorderansicht
Die simpelste, aber im Film nicht immer ideale Position. Ähnlich einem Schauspieler auf der Bühne, der frontal ins Publikum spricht, so steht die Kamera unmittelbar vor dem Darsteller. Damit wirkt das Bild relativ flach, auch das Gesicht des Darstellers kann nur durch das Licht, nicht durch die Kontur Plastizität bekommen. Sie erlaubt uns, die Filmfigur durch Blick und Mimik zu erfassen. Dieser Winkel kann Augenblicke, in denen die Filmfigur sehr nah bei sich selbst ist, Momente innerer Wahrheit unterstreichen.
Die Person hat sich uns geöffnet, ist uns oder wenn wir sie im Gegenschuss einer zweiten Filmfigur sehen, dieser zweiten Figur zugewandt. Man sollte diesen Kamerawinkel geschickt einsetzen, sonst kann uns diese direkte visuelle Ansprache auch der Illusion berauben, unbemerkt einer Filmgeschichte folgen zu können. Die Parallele zu einer Bühne drängt sich manchmal auf.
¾ oder auch 45-Grad-Winkel
Das Halbprofil ermöglicht es leicht, die Darsteller plastisch aufzunehmen. Man kann mehr unterschiedliche Formen, Schattenwürfe und Facetten aufnehmen. Die Gesichtszüge sind besser zu erkennen und das Licht kann mit ihnen spielen. Es ist die Position, in der aus einem zweidimensionalen Filmbild die maximale Plastizität für die Abbildung eines Menschen erreichbar ist.
Deshalb ist es auch eine der am häufigsten verwendeten Positionen, auch in der Malerei und der Fotografie. Psychologisch gesehen, ist die Filmfigur weniger dem Zuschauer, sondern mehr der Filmgeschichte zugewandt, erlaubt ihm aber dennoch, an ihren Gefühlsregungen teilzuhaben. Schließlich können wir immernoch die Augen, den Mund, die Mimik ablesen. Im übertragenen Sinne ist diese Haltung die Basis jeder Filmerzählung.
Seitlich/Profil
Die Kamera befindet sich seitlich vom Darsteller, erzeugt damit eine profilige Aufnahme. Damit kann ein Eindruck von Distanz erzielt werden. Ähnlich, wie bei der frontalen Aufnahme, kann auch die profilige leicht flächig wirken. Das Raumgefühl ist deutlich reduziert, es kann eine beinahe grafische Wirkung entstehen, wenn die Lichtführung die Filmfiguren zu Silhouetten werden lässt.
Der Zuschauer ist emotional weiter entfernt von der Situation, hat mehr die Beobachter oder sogar Voyeur-Position. Man bekommt schließlich nur wenig vom Gesichtsausdruck der Darsteller mit. Augen, Mundwinkel, sehr viele Ausdrucksmittel werden uns weitgehend vorenthalten. Zwei Personen, die sich, profilig zueinander unterhalten, schließen andere Personen aus. Die Profilige kann auch eine starke Stilisierung zur Folge haben. Diese Position sollte man selten, und nur wohlüberlegt verwenden.
Rückansicht
Die Rückansicht grenzt den Zuschauer von Mimik und Gestik der Filmfigur weitgehend aus. Andererseits kann man über diese Ansicht gemeinsam mit der Filmfigur in Räume und Situationen hineintauchen. Die Interaktion zwischen Außenwelt und der Filmfigur kann aus diesem Kamerawinkel in manchen Situationen noch intensiver vermittelt werden, als wenn man das Gesicht der Person sehen würde. Wenn man beispielsweise mit der Kamera hinter einem Menschen herfährt oder geht und ohne ihr Gesicht zu sehen, die Orte und Räumlichkeiten mit diesem Menschen entdeckt, entsteht ein eigenartiges Spannungsfeld. Das Beispiel des Amokläufers in Gus van Sands "Elephant" macht dies eindrücklich sichtbar.
Sie ist verwandt sowohl mit der Over-Shoulder, bei der wir über die Schulter hinweg den anderen Dialogpartner sehen, als auch mit der Subjektiven, bei der wir durch die Augen der Filmfigur schauen. Fremdheit oder Einsamkeit auch inmitten von Menschen lassen sich zum Beispiel sehr gut aus diesem Winkel vermitteln.
Gewichtung
Werden zwei oder mehrere Personen gemeinsam im Bild gezeigt, so sollte man sich genau überlegen, welchen Zugang man dem Zuschauer zu welcher Figur einräumt. Nebenstehende Abbildung zeigt deutlich, wer sich unserer Wahrnehmung öffnet, wer sich verschließt. Es versteht sich von selbst, dass man auf diese Weise Schwerpunkte setzen und sogar Sympathien auf verschiedene Filmfiguren verteilen kann. Verschlossene Menschen kann man auch verschlossen abbilden.