Ehe man sich versieht, ist der Februar schon da und die Berlinale markiert das erste wichtige A-Festival des Jahres. Einmal mehr landet man auf einem der Flughäfen, die es längst nicht mehr geben sollte, liest überall, dass diese Stadt die Olympiade will - warum eigentlich? Und in welchen unvollendbaren Stadion-Bauten soll die dann stattfinden?
Dabei hat die Stadt mit der Berlinale doch zumindest im Kulturbereich ein Leuchtturm-Event, um das die Stadt beneidet wird. Nachdem Dieter Kosslick das Festival noch weitere Jahre leiten wird, wird sich an der generellen Ausrichtung wohl auch nicht viel ändern. In diesem Jahr hat man erstmals auch die Fernsehserie als neue Reihe hinzugenommen, eine Erweiterung, die das Münchner Filmfest bereits seit ein paar Jahren mit Erfolg zelebriert.
Ob die Berlinale als A-Festival mit unzähligen Reihen und Nebenreihen nun noch eine weitere benötigt hätte sei dahingestellt.
Schneefrei
Die Sorge war unberechtigt, dass wieder ungeräumte vereiste und verschneite Gehwege und Straßen den Potsdamer Platz zu einer Eisbahn machen werden. Vor ein paar Jahren sind nicht wenige Festivalbesucher mit Brüchen und Stauchungen vom Event zurückgekehrt. Nein, kein besseres Schneemanagement, sondern schlichtweg Glück, es liegt kein Schnee in Berlin.
Absage wegen Dreharbeiten
Jurymitglied Lea Seydoux hat ihre Teilnahme abgesagt. Die Dreharbeiten für den neuen Bond-Film haben das aktuelle "Bond-Girl" ans Set geordert. Sie blieb auch der Premiere des französischen Wettbewerbsbeitrags "Journal d'une femme de chambre (Diary of a Chambermaid)", in dem sie die Hauptrolle spielte, fern.
Neue Mitarbeiter
Die Berlinale ist, wie so viele Unternehmen, Opfer des Mindestlohns. Im Gegensatz zu früheren Ausgaben, wo man Jahr für Jahr die gleichen "Volunteers" verpflichten konnte, war man dieses Jahr gezwungen, ausschließlich "Pflichtpraktikanten" einzustellen, um den gesetzlichen Mindestlohn nicht zahlen zu müssen. Dabei ist sicherlich viel angehäuftes Knowhow verloren gegangen, sind viele tolle Teammitglieder mit jahrelanger Erfahrung einfach ausgeschlossen worden.
Sehnsucht nach Neuem
Dass ein Publikumsfestival den Zuschauern das liefert, was sie sich ersehnen - Stars auf dem roten Teppich, ein paar Tage lang das Gefühl, Berlin sei in Kalifornien, wenn auch unter deutlich kühleren Temperaturen - , ist selbstverständlich und Dieter Kosslick bedient diese Sehnsucht nach Kräften. Das Fachpublikum ersehnt sich eher Ungewöhnliches, Entdeckungen, mutige Werke, die den Glauben an den Zauber und die Kraft des Kinos aufrecht erhalten. Dass das ein Spagat ist, der mal mehr mal weniger gelingt, ist evident. Wir sind sehr gespannt.
Für Partygänger
Ein jedes Jahr lohnendes Event ist die „Revolver-Party“, in den Vorjahren war die Atmosphäre anscheinend recht nett.
9. Februar 22:00, Ort: Ritter Butzke, Ritterstraße 24-26, U-Bahn 8, Moritzplatz.
Montags manchmal...
Der HFF-Empfang in der Home Base war wieder ein gelungenes Event um Ehemalige, derzeitige Studenten und Professoren zu treffen.
Bei Kaffee und Kuchen begegnen sich jene, die auf die baldige Karriere hoffen und jene, die schon ihre Erfahrungen in einer nicht nur kreativen Branche gemacht haben. Es ist sicher nicht einfacher geworden in einer Fernsehlandschaft, wo selbst etablierten Produzenten von TV-Redaktionen bereits zugesagte Projekte wieder weggenommen werden. In einer Kinolandschaft, wo nur noch Mainstream, der werbegewaltig angekündigt wird, Einnahmen an der Kinokasse erzielt.
Der Arte-Empfang in der Akademie der Künste war einmal mehr bestens besucht. Es sind nicht wenige, die große Hoffnungen an ihre Anwesenheit beim Empfang knüpfen. Schaffen sie es die gewünschten Redakteure kurz zu sprechen? Wird es möglich sein, sich als Schauspieler bei den richtigen Regisseuren in Erinnerung zu rufen?
Verkehrigkeiten
Dass mehrere S-Bahn-Linien ausgerechnet am Potsdamer Platz nicht fahren und wegen Tunnelarbeiten auch bis Mai geschlossen bleiben, gehört zu den allgegenwärtigen Verwerfungen dieser Metropole. Freundliche Busfahrer (ja, die scheint es auch zu geben) kompensieren die entstandenen Unannehmlichkeiten.
Doch kaum hat man den Glauben an das Gute innerlich gestärkt, belehrt einen die Wirklichkeit eines Besseren. Liebe BVG, wenn man am Brandenburger Tor an einem Werktag um 19:30 bei laut Aushangplan in Zehnminutentakt fahrenden Buslinien, ohne jede Ansage, Anzeige etc. vierzig Minuten an der windigen Haltestelle steht, ohne dass ein einziger Bus vorbeikommt, dann weiß man einfach, dass eure 7-Tage-Karten, die fast so viel kosten wie in anderen Städten der ganze Monat, wirklich jeden einzelnen Cent wert sind. Wirklich.
Jute statt Kreativität
Früher, also vor ein paar Jahren noch, galten die Berlinale-Taschen bei nicht wenigen als Sammlerobjekt, selbst Jahre später sah man, räumlich und zeitlich weitab des Festivals, filmbegeisterte Menschen mit den Berlinale-Taschen im Alltag umherlaufen. Die Taschen waren nicht nur praktisch, sie waren sogar so kreativ, dass man sie getrost als Hingucker bezeichnen konnte.
Das hat sich bereits 2013 drastisch geändert. Ein schlichtes Stoffsäckchen ersetzte die Taschen, doch es war immerhin noch ein feines Gewebe. 2015 ist man gröber gestrickt unterwegs, ein Jutesack der jedem Kaffebohnenexport zur Ehre gereichen würde, soll die Erinnerung an die diesjährige Festivität wach halten. Wir werden das im Auge behalten, ob sich irgendwer außerhalb dieses Festivals mit dem Sack auf die Straße trauen wird...
Kartendesaster
Für akkreditierte Besucher wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, den angeblichen Vorteil der kostenfreien Karten bei Vorlage der teuren Akkreditierung tatsächlich zu Kinotickets werden zu lassen. Die Bögen, auf denen alle täglich gezeigten Filme verzeichnet sind, kann man zum Ankreuzen und Auswählen nutzen, bevor man sich an einen der zahlreichen Counter begibt. So die Idee. In der Realität sind allerdings bereits morgens um 10 Uhr bereits fast alle Tickets für akkreditierte Fachbesucher weg.
Eine freundliche Dame am Counter tat das Unfassbare, sie scannte tatsächlich sämtliche Barcodes aller Filme einen nach dem anderen ein, um festzustellen, dass tatsächlich nur ganze zwei Filme von geschätzten fünfzig überhaupt verfügbar waren. Diese Frusterfahrung teilen natürlich unzählige andere Akkreditierte, die nach fünf bis sechs gezielten Versuchen, Karten für Wunschfilme zu erhalten, resignierend wieder gehen.
Nein, eine digitale Anzeige könne man nicht einrichten, an der jeder sofort visualisiert bekäme, welcher Mangel da eigentlich verwaltet wird, weil es nun mal unterschiedliche Kontingente gäbe, also Gäste bekommen bessere Auswahl an Karten, die Industrie eher schlechte und auch die Presse ist eher bevorzugt. Ja, und verschiedene Displays nebeneinander anzuordnen, auf denen die Mitglieder der unterschiedlichen Berlinale-Kasten die verbleibenden Filme ihres Kontingents visualisiert bekämen, würde natürlich sichtbar werden lassen, wie ungerecht es in der Welt so zugeht. Also werden weiterhin Heerscharen von Menschen an den Countern beschäftigt, die per Trial and Error herausfinden müssen, dass es keine Tickets mehr gibt.
Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Profis aus der Filmbranche, die sich das Geld für die Akkreditierung, mit der man ohnehin nicht die gewünschten Tickets bekommen kann, sparen und ihre ganzen Besprechungen in den Cafes rund um den Berlinale-Palast statt im Filmmarkt abhalten.
Der Markt
Es gibt Leute, die kommen zur Berlinale und verbringen jeden Tag im Martin-Gropius-Bau, wo der internationale Filmmarkt beheimatet ist. Hier werden Filme angeboten, gekauft, vertrieben, sind Standesorganisationen, Förderungen und Ländervertretungen anzutreffen.
Obwohl es erst Dienstag ist, sind bereits einige Stände verwaist, hier hat man sein Geschäft bereits an den ersten Berlinale-Tagen gemacht. Im Markt selbst sind kaum noch die großen Stände der Amerikaner anzutreffen, die sind anscheinend alle auf die Hotels ausgewichen, wo sie in großen Suiten ihre Filme verkaufen.
Das Frühstück der Filmanwälte
Der traditionelle Empfang der Filmanwälte bei Schwarz & Co bot einmal mehr Gelegenheit zum Gedankenaustausch über eher produktionsrelevante Themen. Rechtsanwalt Matthias Schwarz erwähnte in seiner kurzen Begrüßung, welche Gesetzesänderungen in diesem Jahr anstehen, die, wie im Fall der europäischen Gesetzgebung durchaus bedrohliche Ausmaße für Rechteverwerter annehmen können.
Spannend sind gewiss auch die kleinen und größeren Geschichten aus der wunderbaren Welt des Kinos, etwa, wenn man erfährt, mit welchen unfassbar dreisten Methoden anscheinend ein großer Verleiher seine Verleihvorkosten in solche Höhen manipuliert, dass trotz millionenfacher Besucherzahl kein einziger Cent bei der Produktionsfirma landete.
Überall hört man mehr oder weniger aberwitzige Geschichten über die Spezies der Fernsehredakteure, leider gibt es mehr schwarze und graue als weiße Schafe, weshalb nicht wenige in der Branche hoffen, dass deren Macht mit dem absehbaren Abdriften des linearen Fernsehens in die Bedeutungslosigkeit ebenfalls schwinden wird. Neue Finanzierungs- und Distributionswege speziell für Independent-Filme entwickeln sich langsam, die hoffentlich neue, wagenmutige und fantasievolle Projekte ermöglichen werden.