Dem größten Deutschen Filmfestival stehen unruhige Zeiten bevor, die Meldungen überschlagen sich. Die letzten Jahre waren nicht ganz einfach für die Berlinale, insbesondere der Start des neuen Teams, Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek 2020 war wenig überzeugend und das Festival wurde in den folgenden Festivalausgaben gleich auch noch von Corona heimgesucht. Es folgte ein seltsam gesplittetes Festival 2021, ein Sommerfestival 2022 und ein etwas müdes Festival 2023. Das hat dem Festival nicht gut getan,
Und dann kam es 2023 noch dicker. Erst kam die Meldung, dass die eine Hälfte des Leitungs-Doppels, Mariette Rissenbeek, ihren Vertrag über den März 2024 hinaus nicht mehr verlängern will. Dann folgte die Nachricht, dass das Budget des Festivals nicht erhöht werde und man deshalb die Zahl der Filme und Reihen deutlich kürzen werde. In den Medien klang das so, als wären die Mittel der Berlinale gekürzt worden. Richtig ist, dass ein einmaliger Corona-Zuschlag weggefallen ist und dass auch bei den Hauptsponsoren das Geld nicht mehr so locker sitzt. Es werden 2024 unter anderem die "Berlinale Series" und die "Perspektive Deutsches Kino" wegfallen. Insbesondere um die "Perspektive Deutsches Kino" ist es schade, sie bot Deutschen Debüt- und Zweitfilmen eine Abspielmöglichkeit. Auch für die frisch installierte Leiterein der Reihe Jenni Zylka, ist das bitter, weil sie ihre Arbeit gar nicht vorstellen kann. Und nun der Paukenschlag, dass man nach einer neuen Leitung suche, die wieder allein im Intendantenmodell, wie bei den Vorgängern Dieter Kosslick und Moritz De Hadeln installiert werden soll.
Ursachen?
Man sucht bei Filmfestivals natürlich stets nach einer Handschrift, nach einer Ausrichtung. Diese zu finden, war bei der Berlinale schon viele Jahre lang durchaus schwierig. Bereits die letzten Jahre unter der Leitung von Dieter Kosslick, liefen um die 400 Filme und damit doppelt so viele wie etwa in Cannes oder Venedig. Chatrian hatte eine neue Reihe eingeführt, die besondere Filme zeigen sollte, die "Encounters", wo durchaus spannende, und ungewöhnliche Filme zu sehen waren doch die hätte man ja genauso im Wettbewerb zeigen können. Das wurde eher als PR Maßnahme gewertet, das eigene Wirken in Form einer zusätzlichen, kuratierten Reihe sichtbar zu machen. Und dann gibt es natürlich eine relativ undurchsichtige Gemengelage bei den verschiedenen Verbänden der Filmindustrie sowie der Politik, die insbesondere in Berlin ja auch durchaus vielschichtig daherkommt.
Quo vadis Berlinale?
Von einer Findungskommission ist die Rede und man darf annehmen, dass da schon wieder manche Filmfunktionäre mit den Hufen scharren, den begehrten Posten übernehmen zu können. Vermutlich hat man auch ein schlechtes Gewissen, Carlo Chatrian von seinem Posten als Leiter des Locarno Festivals weggelockt zu haben und ihn nun nach kurzer Amtszeit wieder abzusetzen, deshalb heißt es offiziell, dass er mit der neuen Leitung über seine künftige Funktion "konstruktiv" verhandeln werde, was auch immer das heißt. Nun werden wieder Kulturpolitik und Verbände versuchen, Ihre Interessen und natürlich ihre Favoriten durchzuboxen, ob dabei eine kreative, charismatische Persönlichkeit gefunden wird, ist nicht unbedingt garantiert. Mit den Filmfunktionären ist das ein wenig wie mit den Politikern. Wenn man lange genug auf irgendwelchen Posten sitzen bleibt, hat man sich so etwas wie einen Anspruch auf Beförderung verdient und genügend andere Funktionäre als Unterstützer kennengelernt, doch das sollte auch und insbesondere für die neue Leitung der Berlinale nicht das entscheidende Kriterium sein.
Doch es geht ja nicht nur um eine Personalie, es geht um weitaus mehr. Es geht darum, die Berlinale in eine neue mediale Herausforderung mitzunehmen, sie einerseits physisch und dem klassischen Kino verpflichtet und andererseits auch digital und online zu einer spannenden Symbiose zusammenzuführen. Sie zu modernisieren, sie für die Rezeptionsformen und die Themen und kreativen Formen unserer Zeit fit zu machen. Es geht auch darum, dem Festival trotz verlorener Sponsoren und weniger internationaler Stars auf dem roten Teppich Strahlkraft zu verleihen und das in Zeiten, in denen der Staat ganz andere Herausforderungen wuppen muss. Und es geht darum, künstlerisch wieder mehr zu riskieren, Talent aus der ganzen Welt zu entdecken und ihnen eine strahlende Plattform, große Medienaufmerksamkeit und ein gutes Festivalgefühl zu geben. Vielleicht ist die aktuelle Schieflage und der Zwang, die Zahl der Filme zu reduzieren, ja auch eine Chance.