Was versteht man eigentlich darunter und was ist zu beachten, wenn man gutes B-Roll Material aufnehmen möchte? Nein B-Roll ist keine Erfindung der Neuzeit, nichts Innovatives für den digitalen Film, sondern schlicht der amerikanische Begriff für Schnittbilder, Schnittmaterial, - also für etwas, was es auch im europäischen Film fast seit Beginn der Filmgeschichte schon gegeben hat.
Gemeint sind, vor allem bezogen auf den Spielfilm, aber durchaus auch bei Dokumentarfilmen vorkommend, zusätzliche Aufnahmen, auf denen die Hauptfiguren des Films meist gar nicht vorkommen, oder Dinge tun, für die kein komplettes Filmteam erforderlich ist. Das sind Gebäude, Hauseingänge, Aussichten aus einem Fenster, Gegenstände, Fotos, Blumen, Wolken, Lichtstimmungen und vieles mehr.
Aus diesem Grunde werden B-Roll Aufnahmen oft von einem winzigen zweiten Team, der so genannten "Second Unit" aufgenommen. Das erspart viel Zeit und Geld, wenn sich das eigentliche Filmteam nicht um das zusätzliche Schnittmaterial kümmern muss. Ein komplettes Filmteam, was herumsteht, weil die Kamera einen gedeckten Frühstückstisch oder ein paar Zeilen eines handschriftlichen Briefes oder ein interessantes Detail in einem Büropapierkorb abfilmen muss, kostet viel mehr Geld, als ein 2 Personen Miniteam bestehend aus Kamera und Ton.
Gemeint sind also Aufnahmen, die inhaltlich, thematisch und atmosphärisch den Film bereichern können, oft auch absolut notwendig sind. Es sind illustrierende Aufnahmen die aber zugleich die Geschichte miterzählen. B-Roll Material kann auch wichtig werden, um Fehler auszukorrigieren. Manchmal muss man in einer Einstellung in der ein-e Protagonist-in spricht, etwas herausschneiden (Versprecher, Räuspern, andere Betonung) oder auf den Dialog eines anderen Takes (einer anderen Wiederholung der gleichen Einstellung) wechseln. Dann benötigt man einen Zwischenschnitt, damit der Sprung in der eigentlichen Einstellung verdeckt wird.
Dies können beispielsweise sein:
Establisher,
Das sind Einführungseinstellungen in eine Szene. Ein Ort, ein Raum wird durch neutrale Aufnahmen ohne die Schauspieler vorgestellt. Dies können von Details bis hin zu Totalen alle möglichen Einstellungsgrößen sein. Es kann sich aber auch um Totalen einer Landschaft, einer Stadt handeln, um Drohnenaufnahmen von Oben etc. Gleiches gilt natürlich auch für das Ende von Szenen oder aber auch für Bilder, die Zeitsprünge verdeutlichen. Viele Filmgeschichten, in denen ein gewisser zeitlicher Ablauf erzählt wird, zeigen beispielsweise ein Gebäude, in welchem sich wichtige Teile des Filmes abspielen, zu unterschiedlichsten Tageszeiten. Sonnenaufgang, Tagsüber, Dämmerung, Nacht und vielleicht auch mal bei unruhigem und bei sonnigem Wetter bzw. Regen.
Zwischenschnitte Details
Das sind Einstellungen, die etwas erklären, etwas ergänzen, was zu den jeweiligen Szenen gehört. Wenn sich eine Filmfigur die vielen gerahmten Bilder auf einer Anrichte anschaut, dann kann das auch gedreht werden, wenn das Team mit der / dem Filmschauspieler schon wieder an einer anderen Szene dreht. Wenn die Filmfigur am Fenster steht und hinausschaut, dann kann die Subjektive, also das was die Filmfigur tatsächlich beim Rausschauen sieht, separat aufgenommen werden. Oft erklären die Zwischenschnitte auch wichtige Zusammenhänge oder helfen, Übergänge oder Zeitsprünge besser zu erzählen.
Wichtige Voraussetzungen
Die Aufnahmen für die B-Roll sollten mit der gleichen Kamera oder einer optimal an Sensor, Bildwirkung und Color-Science der Hauptkamera passenden Kamera und den gleichen Objektiven aufgenommen werden. Gleiches gilt für den Ton, hier sollte das gleiche Mikrofon verwendet werden. Falls die B-Roll Aufnahmen parallel zum eigentlichen Hauptdreh gemacht werden, sind gute Absprachen und detaillierte Listen, welche Shots benötigt werden, sehr wichtig. Dabei sollten auch Vorgaben wie Tageszeiten, Stimmungen u.s.w notiert werden.
Oft ist das Material der B-Roll nicht präzise genug auf den Zweck hin optimiert. Jede dieser Varianten sollte stets klar dem Ziel dienen, auf etwas Bestimmtes die Aufmerksamkeit zu richten. Also keine beliebigen Aufnahmen an einem bestimmten zum Film passenden Ort, sondern Aufnahmen, die dem Zweck der jeweiligen Szene dienen. Man muss auch in Zwischenschnitten die Aufmerksamkeit der Zuschauer lenken, fokussieren. Der Zuschauer sollte nicht suchen müssen, was in der jeweiligen Einstellung das Entscheidende ist, was ihm vermittelt werden soll. Die Aufnahme muss für sich sprechen, schließlich sind Zwischenschnitte manchmal nur sehr kurz im späteren Schnitt zu sehen. Eindeutligkeit ist hier das Zauberwort. Hierfür können alle klassischen Mittel der Bildgestaltung wie Schärfentiefe, Platzierung im Bild, Ausleuchtung, Farbe, Diagonalen im Bild etc. genutzt werden.
Für die B-Roll Aufnahmen sollte man ausreichend Zeit einplanen. Zu meinen, man muss nur hier und da kurz mal auf den Auslöser drücken und schnell zum nächsten Motiv hetzen, ist eine Fehler. Gute B-Roll Aufnahmen brauchen Zeit.
Die Second Unit sollte unbedingt Zugang zu den Mustern des A-Teams haben, um erkennen zu können, wie die Stimmungen und die visuelle Anmutung des Hauptdrehs angelegt sind.
Second Units sollten deshalb planvoll, nach einem Schema und möglichst auch nach vielen Vorinformationen und Absprachen an die Arbeit gehen und stets zusätzliche Varianten mitbringen.
Die häufigsten Fehler
Eine Second Unit sollte stets bemüht sein, möglichst vielfältige Varianten zu drehen, schließlich weiß man oft nicht, was das Hauptteam gedreht hat oder was im Schnitt bevorzugt wird. Das bedeutet, dass man unterschiedliche Einstellungsgrößen, Kamerawinkel und Richtungen anbietet und im Zweifel, falls nicht konkret mit der Hauptkamera festgelegt, auch die Varianten Stativ und Handkamera. Eigentlich kommt es so gut wie nie vor, dass eine Second Unit zuviel Material anliefert, meist wünscht man sich hier und da noch weitere Varianten. B-Roll Aufnahmen sind ein Bereich, wo die Regel "Weniger ist mehr" ausnahmsweise mal nicht gilt.
Vielfalt bedeutet auch, den Kamerastandpunkt mehrmals zu ändern. Wer faul ist und nur von einer Stativposition aus verschiedene Einstellungsgrößen dreht, verschenkt kreative Variationen. Wenn man die Kameraposition jeweils leicht verändert, wird das Material vielseitiger nutzbar. Im Grunde sollten die verschiedenen Varianten für einen Zwischenschnit so gedreht sein, dass sie ohne dass es wie Jump-Cuts aussieht, miteinander schneidbar sind. Also die Idee, dass man auch aus den B-Roll Aufnahmen kleine Sequenzen schneiden könnte. Wenn das möglich ist, dann hat man auch reiches, vielfältiges Material gedreht.
Ein häufiger Fehler von Second Unit Aufnahmen sind falsche Richtungen. Das lässt sich vermeiden, indem man das Hauptmaterial gründlich anschaut und erkennt, welche Richtungen für die B-Roll erforderlich sin. Wenn im Hauptdreh von links nach rechts gegangen wird, sollte das Schnittmaterial diese Richtung etwa bei Subjektiven Shots für diesen Gang ebenfalls beibehalten.
Oder und da sind wir wieder bei den vielen Varianten,- indem man eben diese verschiedenen Richtungen auch dreht. Das gilt auch für Schwenks. Nicht nur von A nach B schwenken, sondern auch von B nach A und auch von C nach B und von B nach C. Bei Fahrten gilt das Gleiche, wenn im Hauptmaterial in einer bestimmten Weise, einem bestimmten Tempo in einer bestimmten Richtung gefahren wird, sollte die B-Roll Kamera das aufgreifen. Wenn es lauter weiche Fahrten der Hauptkamera in einer Szene gibt, dann wirkt ein vom Stativ fest aufgenommener Zwischenschnitt wie ein Bremsklotz. Der Bewegungsfluss der Szene wird unterbrochen.
Wenn man immer nur das dreht, was am Naheliegendsten ist, verschenkt man einen großen Teil der Möglichkeiten. Auch Second-Unit Leute sollten zwingend kreativ sein.
B-Roll Aufnahmen sollten prallel zum Hauptdreh aufgenommen werden. Die Natur, die Sonne, das Wetter ändert sich ständig. Das ist spannend und visuell, schafft aber Probleme, wenn die Anschlüsse nicht mehr zusammenpassen. Wer im Februar, März beispielsweise seinen Hauptdreh hat wird im Bild blattlose Bäume und flaches Licht einfangen. Dreht die Second Unit dann im April, werden die Bäume bereits Blätter haben, in den Wiesen blühen die Blumen und die Zwischenschnitte werden oft nicht mehr zum A-Roll Material dazupassen.
Regie trotzdem erforderlich
Enge Drehpläne machen es manchmal notwendig, dass auch Aufnahmen mit Schauspielern auf die Second Unit verlagert werden.
Wenn B-Roll Aufnahmen mit den Filmfiguren gedreht werden, kann es Sinn machen, wenn auch eine Second-Unit Regie mit dabei ist. Vor allem, wenn beispielsweise Komparsen choreografiert werden müssen oder wenn man mit den Hauptdarstellern bestimmte Abläufe oder Tätigkeiten dreht, die vom Hauptdreh ausgeklammert wurden, ist ein gewisser Grad an Inszenierung dennoch erforderlich. Es hängt sehr vom individuellen Produktionsdruck und der jeweiligen Regie ab, wie viel vom Dreh mit den Hauptfiguren ausgegliedert und der Second Unit übergeben wird.
Das können Gänge durch Straßen sein, der Hauptdarsteller, der joggt oder Fahrrad fährt usw. Da wird immer wieder die Frage auftauchen, wie soll ich was machen? Wohin soll ich schauen,- wie soll ich schauen, mit welchem Tempo, in welche Richtung soll ich etwas tun.
Die wenigsten Kameraleute sind auch Regisseure, das sind unterschiedliche Jobs und unterschiedliche Sichtweisen auf ein und dieselbe Situation. Deshalb sollte im Idealfall Jemand mit Regieerfahrung, beispielsweise die Regieassistenz oder Nachwuchsregisseure, etc. bei Second Unit Drehs mit Darstellern dabei sein.
Eigene Erfahrungen
Meine erste Produktion mit Second Unit war das Fernsehspiel "Endloser Abschied" mit Hilde Ziegler, Susanna Simon, Christine Buchegger und Helmut Griem in den Hauptrollen, (SWF, Redaktion: Cornelia Ackers, Karl-Heinz Holub, Susan Schulte). Bis dahin hatten meine Hauptkameraleute bei anderen Spielfilmen stets auch die Zwischenschnitte mitgedreht. Doch das enge Zeitbudget,- 15 Drehtage für 75 Minuten Länge, ließ es sinnvoll erscheinen, mit einer Second Unit zu arbeiten. Die Hauptkamera führte Hans-Jörg Allgeier, er drehte gemeinsam mit dem eigentlichen Team alle Einstellungen mit den HauptdarstellerInnen. Für die Second Unit bekam ein damaliger Kameraassistent, heute preisgekrönter Kameramann, Jürgen Carle den Auftrag, fast alle Schnittbilder in denen die Schauspieler nicht vorkamen, zu drehen. Ich gab ihm jeweils immer länger werdende Listen mit Einstellungen, die mir als Ergänzung sinnvoll erschienen und er machte sich mit vollem Einsatz jeden Drehtag auf den Weg, diese Bilder einzufangen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, das Fernsehspiel konnte, trotz des engen Zeitrahmens visuell ansprechend erzählt werden. Ein absoluter Zugewinn für das Projekt.
Natürlich gibt es B-Roll Aufnahmen auch beim Dokumentarfilm, doch da werden die Zwischenschnitte meistens vom ohnehin kleinen Hauptteam aufgenommen. Aber die Notwendigkeit, starke Zwischenschnitte für den Schnitt verwenden zu können, besteht beim Dokumentarfilm natürlich genauso wie beim Spielfilm. Wer diese Aufgabe übernimmt, trägt viel Verantwortung und sollte kreativ und gewissenhaft die verschiedenen Aufgaben abarbeiten.