Eines der ganz frühen Genres oder Themen des Kinos- die Filme rund um Lokomotiven und Wagons. Ob man sie bereits einem eigenen Genre zuordnen kann, oder ob es sich nur um einen Themenschwerpunkt handelt, ist strittig. Denn das hat sich ein wenig verändert über die Jahre. In der Frühzeit des Kinos konnte man mit Recht von einem Genre sprechen, doch heute ist es wohl nur noch ein Themenschwerpunkt. Für Filmmeacher boten sie die ideale Plattform um Filmfiguren auf engstem Raum zusammenzuführen. Heute kann man die Menschen vermutlich nicht mehr so einfach für Filme begeistern, in denen Lokomotiven, Schlaf, Salon,- und Speisewägen und natürlich allerlei Fahrgäste eine Rolle spielen. Doch das war einmal anders.
Die Anfänge des Kinos waren eng verbunden mit Eisenbahnen. Man darf nicht ganz übersehen, dass die Eisenbahn Ende des 19ten Jahrhunderts einen enormen technologischen Fortschritt markierte und half, große Distanzen zu überwinden und unbewohnte Gebiete zu erschließen. Zudem waren die damaligen Dampflokomotiven visuell sehr beeindruckend und erlaubten dramatische Filmstories. Die Eisenbahnen waren damals so exotisch, dass die Gebrüder Lumiere in einer der ersten öffentlichen Filmvorführungen der Welt, die Einfahrt eines Zuges zeigten.
Das genügte als Attraktion völlig aus, die technische Begeisterung für das moderne Verkehrsmittel führte zu zahlreichen kurzen Filmen in denen Züge vorbeifuhren, in Bahnhöfe fuhren oder auch bereits fremde Länder erfahrbar machten. Natürlich bemächtigte sich auch der frühe Spielfilm dieses Motivs, zu Beginn des 20ten Jahrhunderts waren Verfolgungsjagden mit Eisenbahnen ein beliebtes Thema. Maßgeblich beigetragen zu einem regelrechten Eisenbahn-Hype hatte der 1903 entstandene Film "The great Train Robbery", der vielleicht erste Blockbuster überhaupt. Der Film war mit etwa 12 Minuten Länge noch recht kurz, in den 20er un d 30er Jahren folgten abendfüllende Eisenbahnfilme. Einer der bekanntesten aus der Zeit war Buster Keatons "Der General" (1926), der während des amerikanischen Bürgerkriegs zwischen den Süd,- und den Nordstaaten spielt.
Logischerweise spielte die Eisenbahn auch in zahlreichen Westernfilmen eine wichtige Rolle, schließlich hat sie zur Erschließung des wilden Westens in den USA entscheidend beigetragen.
Doch auch der Dokumentarfilm würdigte auf vielfache Weise die Eisenbahntechnik. So widmete sich "Night Mail" den Nachtzügen die ganz England durchquerten und mit raffinierten Auffangssystemen Säcke mit Briefen während der Fahrt von Bahnhöfen einsammelten, die dann in den Zügen sortiert wurden. Aber auch der Bau von neuen Schienenstrecken wurde dokumentarisch und szenisch verfilmt.
Eisenbahnen standen für Freiheit, Abenteuer, aber auch für Flucht, standen für die Moderne und Fortschrittsglauben. Sie boten die perfekte Plattform, um unterschiedlichste Menschen zusammenzubringen und komplexe Figurenkonstellationen zu erzählen. Mit Eisenbahnen kann man wegfahren, flüchten, man kann irgendwo hinreisen, ankommen, man kann sich am Gleis verabreden, um gemeinsam zu fahren, muss aber dann vielleicht alleine abreisen, weil der/die Andere nicht gekommen ist. Fahrpläne und Pünktlichkeit erzeugen perfekt den Zeitdruck, den manche Filmgeschichten dringend brauchen. Wie viele Verfolgungen und Prügeleien fanden auf Zugdächern oder in Gepäckabteilen statt? Wie schwer war es für die Filmheld*Innen, aber auch für die Bösen, sich im fahrenden Zug zu verstecken?
Bis in unsere Zeit hinein gab es immer wieder Filme, die eng mit der großen Zeit der Eisenbahn verbunden waren, man denke nur an "Mord im Orient-Express". Die Stunts und Tricks wurden immer aufwändiger, das Actionfilmgenre entdeckte die Eisenbahn neu. "Unstoppable" (2010) und andere Kinofilme arbeiteten mit spektakulären Verfolgungsjagden, Zugentgleisungen und dramatische Rettungsaktionen.
Historische Züge
Für den Film "Franta" hatten der Autor dieses Artikels und sein Team für einen halben Tag eine historische Dampflokomotve samt alter Güter,- und Personenwagons von einem Verein angemietet, ein unglaublicher Luxus, den Zug auf freier Strecke anhalten zu lassen, mehrmals wieder anfahren und auch zurücksetzen zu lassen. Für "Das blaue Exil" wurde in einem historischen, von einer Dampflock angetriebenen Zug gedreht, der ebenfalls ausschließlich für die Dreharbeiten zur Verfügung stand und nach den Anforderungen des Films gestoppt und in Bewegung versetzt werden konnte.
Niklaus Schilling drehte "Rheingold" (1978), eine besondere Herausforderung waren Parallelfahrten des Trans-Europa-Express und einem Auto, das auf Landstraße neben dem Zug herfuhr.
Komplexe Drehs
Vielfach wurde versucht, in Studios Eisenbahnfahren nachzustellen,- das Ergebnis war meistens unglaubwürdig. In Eisenbahnen zu Drehen ist sehr herausfordernd. Schließlich sind die Bahnen zumeist in Bewegung und die Raumsituation ist sehr begrenzt. Hinzu kommen natürlich jede Menge Sicherheitsvorschriften von Seiten der Bahnbetreiber. Und natürlich kommt es darauf an ob man mit der Bahn zusammenarbeiten muss oder ob man vielleicht mit einer privaten Bahn oder einem Verein zusammenarbeitet, der noch eine historische Dampfeisenbahn auf einer stillgelegten Strecke betreibt.
Handelt es sich um Züge in einem laufenden Bahnbetrieb, so wird es sicher eine Reihe von Einschränkungen geben, zeitlich und örtlich, auf welchen bahnhöfen, in welchen Zügen und zu welchen Zeiten man drehen darf. Aber zunächst muss man erst einmal grundsätzlich eine Dreherlaubnis von der Bahn erhalten. Möglicherweise müssen auch von der Bahn Sicherheitsbeauftragte den Dreh begleiten.
Es müssen konkrete Züge ausgewählt und Abteile oder Bereiche reserviert werden. Auch das Zusteigen der Crew und das Beladen des Equipments muss zuverlässig geplant und schnell erledigt sein. Bestimmte Bereiche müssen festgelegt werden, in denen sich die Crew aufhalten darf, Geräte müssen unter Umständen mit Sicherheitsgurten befestigt werden.
Die Möglichkeiten für Kameraaufstellungen sind natürlich auf Grund der beengten räumlichen Situation sehr begrenzt. Mit bestimmten Kamerahalterungen oder -schienenkönnen ruhige Aufnahmen gemacht werden. Auch die Ausleuchtung ist wegen des Stromnetzes in den Zügen eine Herausforderung. Kommunikation auf Zuruf oder mit Zeichen ist nur begrenzt möglich, Walky Talkies sind wichtig, damit das Team zuverlässig arbeiten kann.
Und manchmal spielt einem auch das Wetter noch einen Streich. Der Autor dieses Artikels hatte mal einen Dreh auf der Strecke Flensburg-Hamburg mit der Schauspielerin Inge Meisel und einem Kind. Wegen eines plötzlichen Wintereinbruchs filen zahlreiche Züge aus, waren die Bahnsteige mit Menschen überfüllt, die Verbindungsteile der Wagons mit Schnee und Eis blockiert. Es grenzte an ein Wunder, dass wir die Strecke immerhin mehrmals hin und zurück fahren konnten bis die Szene im Kasten war.
"Whole Train" (Regie: Florian Gaag, D 2006) für den der Tonschnitt und Geräuschsynchron bei Allary-Film gemacht wurden, musste zum Teil in Tschechien gedreht werden, weil die Deutsche Bahn es nicht erlauben wollte, das Besprayen eines ganzen Zuges, selbst eines ausrangierten, als Filmmotiv zu genehmigen.
Filme mit Eisenbahnen
"The Great Train Robbery" (Regie: Edwin S. Porter, USA 1903)
"Der General" (Regie: Buster Keaton, USA 1926)
"Das Stahltier" (Regie: Willy Zielke, D. 1934/35)
"Eine Dame verschwindet" (Regie: Alfred Hitchcock, GB 1938)
"Sherlock Holmes: Juwelenraub" (Regie: Roy William Neill, USA 1946)
"Der Fremde im Zug" (Regie: Alfred Hitchcock, USA 1951)
"Die Brücke am Kwai" (Regie: David Lean, USA 1957)
"Der unsichtbare Dritte" (Regie: Alfred Hitchcock, USA 1959)
"16 Uhr 50 ab Paddington" (Regie: George Pollock , GB 1961)
"Lawrence von Arabien" (Regie: David Lean, USA, GB 1962)
"The Train" (Regie: John Frankenheimer, USA/Fr/It 1963)
"Von Ryan's Express" (Regie: Mark Robson, 1965)
"Die Gentlemen bitten zur Kasse" (Regie: John Olden/Claus Peter Witt, D 1966)
"Spiel mir das Lied vom Tod" (Regie: Sergio Leone, It.1968)
"Horror Express" (Regie: Eugenio Martín, USA 1973)
"Mord im Orient Express" (Regie: Sidney Lumet, USA 1974)
"Nevada-Pass" (Regie: Tom Gries, 1975)
"Panik im Tokio-Express" (Regie: Jun'ya Satô, J. 1975)
"Trans-Amerika-Express" (Regie: Arthur Hiller, USA 1976)
"Rheingold" (Niklaus Schilling, D. 1978)
"Lawinenexpress" (Regie: Mark Robson und Monte Hellman, USA 1979)
"Express in die Hölle" (Regie: Andrey Konchalovskiy, USA 1985)
"Franta" (Regie: Mathias Allary, D 1989)
"Narrow Margin - 12 Stunden Angst" (Regie: Peter Hyams, 1990)
"Europa" (Regie: Lars von Trier, DK 1991)
"Das blaue Exil" (Regie Erden Kiral, TÜRK. D, Gr. 1992)
"Alarmstufe: Rot 2" (Regie: Geoff Murphy, 1995)
"Train Spotting" (Regie: Danny Boyle, 1996)
"Zugvögel ... einmal nach Inari" (Regie: Peter Lichtefeld , D. 1998)
"Emil und die Detektive" (Regie: Gerhard Lamprecht/Franziska Buch, D 1931/2001)
"Whole Train" (Regie: Florian Gaag, D 2006)
"Stella und der Stern des Orients" (Regie: Almut Getto, D 2008)
"O´Horten" (Regie: Bent Hamer, Nor. 2008)
Transsiberian (Regie: Brad Anderson, 2008)
"Unstoppable - Außer Kontrolle" (Regie: Tony Scott, USA 2010)
"Der Fremde am See" (2013) - Regie: Alain Guiraudie