Alles über das hochindustrielle Schreibkonzept und was macht es besser, als das individuelle Schreiben von Drehbüchern funktioniert. Der Begriff hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wie ein Heilsversprechen, ein Zauberwerkzeug für effizientes und hochoptimiertes Schreiben ins Bewußtsein der Fernsehmacher eingebrannt. Nahezu alle großen amerikanischen Serien, wie "Breaking Bad", "Sopranos", "Game of Thrones“ oder "House of Cards", um nur wenige zu nennen, wurden in Writers Rooms geschrieben.
Was genau verstehen wir eigentlich unter einem Writers Room. Nun vom Prinzip her handelt es sich um einen mehr oder weniger großen Konferenzraum an dessen Wänden sich meistens jede Menge Pinboards und Whiteboards befinden, an die man Karteikarten oder Zettel anheften sowie Notizen aufschreiben kann.
In diesem Raum sitzen Autoren und Assistenten zusammen um gemeinsam die Inhalte, Bögen, Cliffhanger und mehr meistens für Serienfolgen gemeinsam zu erarbeiten, zu überarbeiten. Angegliedert sind weitere kleiner Büroräume, in denen individueller gearbeitet werden kann, die sind auch dringend notwendig, sobald Festlegungen getroffen wurden und Szenen oder ganze Folgen ausgearbeitet werden müssen.
Das Team
Das was den Writers Room ausmacht sind natürlich die Menschen, sind Hierarchien, sind Teamstrukturen und Aufgabenverteilungen. Damit diese Teams möglichst homogen und strukturiert arbeiten, werden sie von einem Chefautor, dem sogenannten Showrunner, koordiniert und gelenkt. Das Team entwickelt dort gemeinsam die Filmfiguren und die Storylines der einzelnen Epsioden und der gesamten Staffel. Da die verschiedenen Autoren unterschiedliche Persönlichkeiten sind, verfügen sie auch teilweise über andere Befähigungen. Manche sind vielleicht besser im schräg denken und überraschende Wendepunkte erdenken, während andere geniale Dialoge schreiben können und wieder andere einfach einen großartigen Sinn für Humor haben.
In diesem einem Konferenzraum nicht unähnlichen Raum kommen sie alle zusammen und haben gerne auch ganztägige Besprechungen, die auch schon mal bis zu 15 Stunden und länger dauern können. Es wäre ein Irrtum, zu meinen, dass hier eine Anzahl individueller Autoren im Team gleichberechtigt an ihren Büchern schreiben. Das würde zu unterschiedlichsten stilistischen Drehbuchfolgen führen, alles andere als homogen und in sich geschlossen. Der Writers Room verlangt die völlige Unterwerfung unter das Prinzip industriellen Schreibens und die maximale Zurücknahme der indivudllen Autorenschaft. Was den Writers Room ausmacht, sind Autoren die sich nicht als Autorenindividuen verstehen, sondern als eng miteinander zusammenarbeitende Verbündete eines Teams.
So ein "Writers Room" bezeichnet vor allem die jeweiligen Teams, die für bestimmte Zeiträume von durchschnittlich sieben bis zehn Monaten zusammengestellt werden um eine Fernsehserie oder Sitcom zu schreiben. Es ginge auch gar nicht anders, als mit Autorenteams, so viele Episoden einer Serie in hoher Qualität und in vergleichsweise kurzer Zeit zu erdenken und zu Drehbüchern werden zu lassen. Dafür arbeiteten früher 10 bis 15, heute eher 5 bis 8 Autoren mit ihren Assistenten gemeinsam, früher nicht selten in unmittelbarer Nähe der Studios in denen genau diese Serie gedreht wurde. Das ist bei manchen Formaten wichtig, weil Überarbeitungen und Anpassungen ständig vorgenommen und oft kurzfristig ins Studio reingereicht werden. Heute befinden sich die Writers Rooms oft sogar in anderen Ländern als jene in denen gedreht wird und nur die wenigsten Autoren bekommen das Set überhaupt zu sehen.
Nicht wenige, die in Writers Rooms in den USA gearbeitet haben, berichten von extrem langen Arbeitstagen, zu wenig Schlaf, kurzen Essenpausen bei denen meist das vom Lieferservice herangekarrte Essen am Schreibtisch rasch gegessen wurde und von sehr hohem Arbeitsdruck.
Arbeitsweise
Das Team ist also ganz bewusst ein gar nicht homogener Mix aus unterschiedlich strukturierten Leuten, also ein paar vor Ideen sprudelnden Verrückten, einigen erfahrenen Routiniers, neugierigen Erneuerern, die alle zusammen eine große kreative Freiheit haben. Allerdings herrscht in solchen Writers Rooms nicht zwingend eine entspannte, perfekte Teamsituation, nicht selten arbeitet man unter Stress und nicht wenige Showrunner üben massiven Druck aus, was die Arbeitsatmosphäre nachhaltig prägt.
Über allen Entwicklungen und Entscheidungen, die horizontalen und vertikalen Erzählebenen steht der Gedanke, dass die jeweils beste Idee gewinnt. Also ganz gleich, wie schräg, wild und anarchisch an den verschiedenen Storyelementen herumgedacht wird, am Ende siegt das Optimum. Und weil niemand daran allein im stillen Kämmerchen monatelang herumgedacht hat, gibt es auch keine persönlichen Gekränktheiten, wenn die eigene Idee abgelehnt wurde. Individuelle Einzelautoren knabbern viel heftiger an irgendwelchen abgelehnten Ideen.
Ein Writers Room bringt zwar kreative Autor*Innen zusammen, die Zusammenarbeit ist aber extrem fest strukturiert und kennt klare Hierarchien.
- An der Spitze steht der Showrunner, der eine Mischung aus Autor und Produzent ist und den direkten Kontakt zu dem Fernsehsender und der Produktion hält. Er oder sie ist für die Tonalität der Serie verantwortlich und entscheidet, welche Texte weitergegeben werden. Da viele der bei uns oft mühsamen Abstimmungsprozesse wegfallen, weil eine Person entscheidet, spart man natürlich jede Menge Zeit und Energie.
- Teil seines / ihres Teams sind die Story Editoren, die entwerfen, überarbeiten Outlines sowie Esposés und schreiben die Drehbücher für mehrere Episoden.
- Ihnen arbeiten die Staff Writer zu, meistens sind das Nachwuchsautoren, welche an der Entwicklung der Folgen mitarbeiten, die Entwürfe überarbeiten, die auch geschriebene Episoden und Dialoge optimieren, aber selbst keine eigenen Drehbücher schreiben. Man könnte sie auch als Junior Writer bezeichnen, sie wollen und müssen sich erst beweisen.
Macht und Selektion
Mit dieser Hierarchie einher geht eine Verschiebung der Verantwortlichkeiten. Normalerweise sind es die Regisseure, Redakteure des Fernsehens oder kreative Producer, welche bei Filmen und Serien die wichtigsten inhaltlichen Entscheidungen treffen. Nicht so beim Prinzip des Writers Rooms, hier kommt dem Showrunner, also einem Chefautor die Führungsrolle zu. Er nimmt Einfluss auf viele kreative Entscheidungen auch bei der Umsetzung, also Regie, Besetzung etc. Das ist natürlich, verglichen mit all den Überarbeitungsschleifen und Einflussnahmen, welche Einzelautoren in klassischen Produktionsstrukturen so erfahren müssen, eine ungeheure Machtposition.
Doch wer nun jubelt und meint, das müsse auch auf Einzelautoren so übertragen werden, sollte vielleicht nicht ganz übersehen, dass das Qualitätsniveau bei vielen amerikanischen und Englischen Autoren weitaus höher angesiedelt ist als bei den allermeisten deutschsprachigen Autoren.
Und wer meint, das Prinzip des Writers Rooms ließe sich ganz einfach auch auf unsere Fernsehlandschaft übertragen, der irrt. Was entscheidend zur Qualität der Projekte beiträgt, ist ein rigoroses Auswahlverfahren der Stoffe. Bevor ein Writers Room zusammengestellt wird, werden von hunderten von Projektvorschlägen zunächst nur ca. 3 % in Form von Pilotfolgen und Testscreenings vor Publikum geprüft und aus diesen dann die zwei, drei Erfolgversprechendsten ausgewählt.
Hierzulande gibt es derart erfolgsoptimierte Auswahlverfahren gar nicht. Und wer sich bei uns Showrunner nennt, hat vielleicht nur Glück gehabt, dass ein Redakteur den eigenen Projektvorschlag gemocht hat. Seine oder ihre eigene Serienidee musste aber nie ein so strenges Auswahl,- und Testverfahren durchlaufen.
Diese Vorgehensweise bei der Auswahl und Testung lässt sich auf unseren Fernsehmarkt nicht direkt übertragen, dafür sind die Budgets bei uns viel zu klein, solch ein Verfahren in den USA kostet manchmal mehr als bei uns die ganze Produktion samt Dreharbeiten und Postproduktion einer ganzen Serienstaffel. Dennoch kann man von den Prinzipien des Writers Room eine ganze Menge lernen und an hiesige Herstellungsweisen adaptieren. Seit der Serienkrise, die Ende 2022 begann, sind solch aufwändige Konzepte noch schwieriger zu realisieren.
In unserem zweiten Teil schauen wir uns das Arbeiten im Writers Room genauer an.