In den ersten Jahrzehnten der Fernsehgeschichte waren die einzelnen Folgen von Serien praktisch immer in sich abgeschlossen und behandelten jeweils eine kleine Geschichte. Im besten Fall wurde diese auf zwei Serienfolgen verteilt, dann reichte die Handlung übergreifend in den zweiten Teil, die sogenannte Fortsetzung herüber. Spätestens seit "Sex and the City" hat sich das entscheidend verändert.
Wenn man über die Dramaturgie, das Storytelling von heutigen Serien nachdenkt, unterscheidet man zwei unterschiedliche Ebenen der Erzählstrukturen. Einerseits gibt es die Story und Dramaturgie der jeweiligen Serien,- oder Reihenfolge, bei Krimis beispielsweise den individuellen Fall. Diese nennt man Vertikale Erzählebene und sie ist in jeder Folge anders. Und dann gibt es auch noch eine Erzählebene, die sich über die einzelnen Folgen einer Reihe, Serie oder Staffel hinweg fortsetzt, quasi durchzieht,- dies ist die horizontale Erzählebene. Diese betrifft hautsächlich die durchgehenden Hauptfiguren, bei Krimis meistens die Kommissar*Innen. Ihr Privatleben, ihre Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte dürfen aber in den einzelnen Folgen nur ganz wenig erzählt werden, der jeweilige Fall soll absolut im Vordergrund stehen.
Besonders schwierig wird es mit solchen Erzählebenen, wenn unterschiedlicheAutor*Innen ohne Headwriter an einer solchen Staffel schreiben und diese Bücher dann auch noch von verschiedenen Regisseur*Innen umgesetzt werden. Da kann es sehr schnell passieren, dass einzelne Erzähllinien unterwegs vergessen, oder unterschiedlich stark betont und in Folge auch unterschiedlich in der Regie interpretiert werden. Sehr gerne mischen sich dann auch noch die Schauspieler*Innen selbst bei der Inszenierung ein und versuchen bestimmte Storyentwicklungen, die sie vielleicht nicht so positiv dastehen lassen, ganz nebenbei noch anders aussehen zu lassen. Schauspieler*Innen welche Serienfiguren verkörpern, versuchen regelmäßig Einfluss darauf zu nehmen, wie ihre Filmfiguren ausgestaltet sind. Da sie so gut wie nie in den Drehbuchprozess eingebunden sind, was in den meisten Fällen auch absolut richtig ist, versuchen Sie ihre Interessen häufig dann bei den Dreharbeiten durchzusetzen.
Und am Ende schauen die Zuschauer*Innen höchst unterschiedliche, in der Tonalität auseinanderlaufende Folgen ein und derselben Serie oder Reihe an. Der Blick auf die Credits offenbart dann unterschiedliche Drehbuchautor*Innen und Regisseur*Innen als Ursache dieser erzählerischen Problematik. Eine weitere Ursache für mögliche Diskrepanzen können zudem auch Eingriffe von Seiten der Fernsehredaktionen oder auch der Produktionsfirmen sein. Diese reagieren häufiger auf sinkende Einschaltquoten, Fernsehkritiken oder auch Shitstorms auf Social Media Portalen.
Gewichtungen
Grundsätzlich erlauben horizontale Erzählebenen, dass mehrere Handlungsstränge oder ganze Stories parallel erzählt werden, die verschiedene Filmfiguren und/oder Handlungsorte betreffen. Auf diese Weise werden in Serien komplexere Erzählungen und reichere Charaktere möglich.
In der hiesigen Serienwelt werden nur etwa 10 %, bei 60 Minütern also gerade mal sechs Minuten von der Gesamtlänge einer Folge hierfür zur Verfügung gestellt. Manchmal ist es sogar noch weniger, es gibt Menschen in Redaktionen und Produktionsfirmen, die horizontale Ebenen am liebsten ganz aus den Geschichten herauswerfen würden. Dabei muss man sich natürlich genauer anschauen, auf welche Weise die Serien tatsächlich rezipiert werden. Wenn die einzelnen Folgen in kurzen Abständen hintereinander gesendet werden, etwa im Wochenrythmus, oder gar gestreamed werden können, dann lassen sich horizontale Erzählbögen natürlich schlüssiger und differenzierter einsetzen, als wenn die Abstände viele Monate oder länger betragen.
Folglich gibt es auch Serien, in denen die horizontale Struktur viel wichtiger und stärker ist, als die in einer Folge vehandelte vertikale Struktur. Beispiele dafür waren "Breaking Bad" (USA 2008-20013) oder "House of Cards" (Netflix, USA 2013) bei denen das große Ganze, die Schicksale der Hauptfiguren deutlich im Vordergrund standen. Da waren die jeweiligen vertikalen Geschehnisse einer Serienfolge im Grunde genommen erzählerisch unterstützend. Es waren Serien wie diese und natürlich die Streaming-Optionen, welche das so genannte "Binge watching" hervorgebracht haben, das Anschauen vieler Folgen hintereinander.
Parallele Erzählebenen
Horizontale Erzählweise ermöglicht natürlich auch, parallel verschiedene Geschichten zu erzählen. Das erlaubt dann, ählich wie eine Parallelmontage im Filmschnitt, dramaturgisch geschickt zwischen verschiedenen Handlungssträngen hin und her zu wechseln. Ein hervorragendes Mittel, um Tempo und Rhythmus innehralb einer Serie zu variieren. Auf diese Weise lässt sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer*Innen besser lenken. In den Zuschauer*Innen entsteht das Bedürfnis, viele unterschiedliche Aspekte einer Geschichte zu erfahren, die Handlungen sind dadurch nicht so simpel sondern vielschichtiger und realistischer. Man kann auf jeder Erzählebene eigene Charaktere, Konflikte und Themen verhandeln und interessante Berührungspunkte und Verflechtungen über die Ebenen hinweg, erzählen. Und es entsteht natürlich auch ein Bedürfnis, immer weiter die Schicksale der einzelnen Hauptfiguren verfolgen zu können. Beispielhaft sei hier "Game of Thrones" (USA, HBO 2011–2019) genannt, bei der Serie wurden diverse Handlungsstränge auf mehreren Kontinenten erzählt, wodurch erzählerisch eine reiche, vielschichtige Welt entstand. Manchmal gibt es über ganze Staffeln hinweg sogar übergeordnete, größere Erzählbögen, die eine ganze Saga einrahmen, man spricht dabei auch von "Super Narration".