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Interview mit Lee Daniel, Kameramann für Richard Linklater

 

Lee Daniel (LD): "Als Junge habe ich viel gemeinsam mit meinem Bruder herumexperimentiert, wir verehrten Jacques Cousteau und liebten es, draußen zu sein. Wir waren mit den Motorrädern unterwegs und suchten nach Möglichkeiten, unsere Super-Acht-Kamera an den Rädern zu befestigen, um interessante Aufnahmen zu machen. Das dürfte die erste Inspiration gewesen sein, so mit etwa 12, 13 Jahren. Ich hatte auch das Glück, einen Filmemacher zum Nachbarn zu haben, der mich als Jugendlichen mit aufs Set nahm. Als ich nach zwei etwas unschlüssigen Jahren an der Uni meine erste Super-Acht bekam, filmte ich einfach alles Mögliche, jeglichen Schrott, alles hielt ich fest. Erst in den letzten zwei Jahren an der Uni in Texas konzentrierte ich mich richtig aufs Filmemachen, begann mit experimentellem Filmemachen und mich für die europäische Avantgarde zu interessieren.

 

In diese Zeit fällt auch die erste Begegnung mit Richard Linklater. Wir standen an einem Club von Super-8-Enthusiasten, die sich trafen und sich gegenseitig ihre Werke zeigten. Er war am Ableben, weil diesem Medium nicht mehr so viel Interesse entgegengebracht wurde. Ich traf Richard, weil er als einer der letzten kam, er brachte allerdings keinen seiner eigenen Filme mit, er ließ sie auch niemandem zeigen. Er arbeitete damals auch am Sound, was bei Super 8 sehr schwierig ist (…). Er hatte sich das alles selbst beigebracht. Er war nie auf einer Hochschule gewesen. Es stellte sich dann heraus, dass er ein schlichtweg enzyklopädisches Wissen von Hollywood-Filmen hatte, die mich zu dieser Zeit gar nicht interessierten. Ich war noch auf der Schiene, dass ich französisch lernen wollte, um mit Jacques Cousteau in Frankreich unter Wasser zu drehen. (lacht). Richard war eine Art Erleuchtung, wir wohnten dann später fünf Jahre zusammen und gründeten dort die Austin Film Society. Es war eine gute Symbiose - ich kannte mich mit den technischen Details aus und konnte ihm dort etwas beibringen, und er brachte mir gleichzeitig viel über Filme bei, die ich sonst nie gesehen hätte. Auch Scorsese, der ihn sehr beeinflusst hat- weniger in seinen Arbeiten als einfach in der Motivation, Regisseur zu werden. So fing also alles an. Im Sommer 1998 drehten wir "Slacker" in Austin.

 

MC: "War das Ihr erster Film?"

 

LD: "Nein, ein Jahr davor drehte ich einen anderen, der auf Sundance gezeigt wurde, er heißt "Never Leave Nevada". es war eine Art Roadmovie, ein wenig von Wim Wenders inspiriert, aber eigentlich eine etwas dumme Komödie. Damals war es noch nicht so schwierig, dort aufgenommen zu werden, es gab viel weniger Einsendungen. Ich hatte gute technische Vorkenntnisse durch Arbeiten an verschiedenen Sets, als Kameramann, fürs Fernsehen unter anderem und war daher mit dem Equipment sehr vertraut. Mit Lichtsetzung kannte ich mich allerdings nicht wirklich aus. Der erste Film, den ich aufnahm, war in Schwarzweiß, und das war eine echt traumatische Erfahrung. Ich hatte vorher noch nie eine gespielte Handlung in Schwarzweiß gedreht - aber auch davon habe ich viel gelernt."

 

MC: "Der größte Schritt von den experimentellen Kurzfilmen zum Spielfilm war also die Beleuchtung?"

 

LD: "Ja, richtig. Nach der Schule - ich hatte keinen Abschluss, aber das war auch egal, ich arbeitete ja schon - ging ich auf eine Filmschule in Austin. Ich fing nach der Schule in einer kleinen Firma in Austin an, die Werbe- und Musikfilme produzierte. Ich konnte dort auch selbst drehen, weil ich Erfahrung mit Super 8 hatte, und so kam es, dass wir bei Nashville Musikvideos auf Super 8 filmten. Dann gab der Besitzer mir die Möglichkeit, auch selbst bei einigen Videos Regie zu führen - es war einfach Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Wenn man damals seinen Abschluss von der Filmschule in Austin in der Tasche hatte, gab es eigentlich keine Möglichkeiten, in Austin zu bleiben - man ging entweder nach Dallas oder Houston, oder auch nach L.A., aber das wollte ich auf keinen Fall. Ich war vorher schon einmal da gewesen und wusste, dort wurde ich es nicht länger als einen Monat aushalten. Heute könnte ich dort einige Monate bleiben, bin auch beruflich von Zeit zu Zeit da. Richard und ich sind immer noch viel in Austin, wir leben dort und sind auch nächste Woche wieder zum Dreh da. Seit 12 Jahren haben wir ein serielles Projekt am Laufen, wir drehen eine Woche pro Jahr dort, es ist ein Drama. Patricia Arquette und Ethan Hawke spielen mit. Es geht hauptsächlich um einen Jungen, es beginnt mit seinem achten Lebensjahr, und nach zwölf Jahren graduiert er von der High School. Ich denke, dieses Jahr werden wir bei der Hälfte angekommen sein, aber es werden noch sechs Jahre ins Land gehen. Und am Ende soll es ein abendfüllender Spielfilm werden, das haben wir uns jedenfalls so vorgestellt (lacht). Er wird sicher auch etwas Dokumentarisches haben, das wird sich kaum vermeiden lassen. Ich meine, wenn man Menschen so lange begleitet - aber es weiß auch niemand, wie er am Ende sein wird. Ich meine, niemand kann sagen, was in 12 Jahren mit Menschen geschehen kann."

Lee Daniel

Lee Daniel, Kamerann für Richard Linklater

 

MC: "Erzählen Sie uns etwas mehr von Ihrem Konzept - welche Überlegungen gehen einem Dreh voraus? Wie nähern Sie sich einem Projekt, einer Vision?"

 

LD: "E s gibt eigentlich kein führendes Prinzip, es kommt ganz auf das Projekt an. Ich denke mal, die meisten Menschen beim Film möchten mit dem Attribut "flexibel" ausgezeichnet werden. Ich mache weitaus mehr Dokumentarfilme als Spielfilme, auch auf dem Münchner Filmfest bin ich mit einem Dokumentarfilm aus Texas. Ich versuche, alle meine Sinne zu benutzen, nicht nur meine Augen. Man muss sich mit allen Sinnen auf einen Ort einlassen, an dem man drehen will, alle Eindrücke auf sich wirken lassen. Leute sagen mir, dass ich in einem fast tranceartigen Zustand bin, wenn ich mir einen neuen Ort anschaue - dabei versuche ich nur, etwas mehr als das Visuelle aufzunehmen - da ist so viel. Ein großes Glück war es für mich, den Kameramann Sven Nyqvist zu treffen und ihm einige Fragen zu stellen, und er sagte mir über Lichtsetzung: "Nicht ausleuchten, wenn nicht geleuchtet werden muss." Ich habe mein ganzes Leben darauf gewartet, dass jemand mir das bestätigt. In Amerika ist es fast eine Tradition, immer viel Licht zu setzen, ein ganzes Spektakel aufzuziehen, selbst wenn es nicht nötig ist. Man benutzt so große Scheinwerfer, und so viele davon, es ist ein echter Overkill."

 

MC: "Sie ziehen also vorsichtig gesetztes Licht vor?"

 

LD: "Tja, auch hier kommt es wieder aus das Projekt an. Ich versuche schon, weitgehend auf künstliches Licht zu verzichten. Ich würde zum Beispiel gern eines Tages einen Film Noir machen. Das meiste von dem, was ich mache, ist naturalistisch."

 

MC: "Was wäre für Sie die minimale Lichtsetzung bei einem Innendreh?"

 

LD: "Ein schönes Fenster (lacht). Viel indirektes Licht - direktes Licht vermeiden. Dieser Stil kommt aus dem Amerika der Siebziger - viel diffuse Lichtsetzung. Ich habe damals für einen DOP gearbeitet, bei dem die Lichtsetzung so diffus war. Wahrscheinlich habe ich mich davon beeinflussen lassen, das Licht so oft kaum bemerkbar zu setzen. Stil ist eine echt schwierige Sache, ich finde es fast anmaßend, sich einen Stil zuzusprechen. Wahrscheinlich fühlen die meisten Regisseure sich besser, wenn sie sagen können, das und das ist mein Stil. Ich glaube, nicht einmal Linklater tut das."

 

MC: "Ihre ersten Filme, die Sie gemacht haben, waren sehr niedrig finanziert. Wie bringen Sie einen Film, für den nicht viel Geld da ist, dazu, Ihren Wünschen und Vorstellungen zu entsprechen?"

 

LD: "Ja, für den ersten war kaum Geld da, 20 000 Dollar vielleicht. Da ich bei einem Filmgeräteverleih arbeitete, kriegte ich so gerade 10 Scheinwerfer und einen kleinen Van zusammen, die ganze Ausrüstung passte in diesen Van. Wir mussten sogar stillschweigend Geräte ausleihen, die wir erst zwei Monate später zurückbrachten (lacht). So läuft das, wenn einfach kein Geld da ist und man diesen Film machen will. Beim zweiten Film hatten wir, obwohl 1990, schon 7 oder 8 Millionen Dollar zur Verfügung, aber ich habe die Unabhängigkeit des Projekts in Frage gestellt, denn eigentlich kam das Geld von den Universal Studios und wir hatten ein riesiges professionelles Set. Für mich wurde es dann eher ein Universal Studio- B-Movie, aber auch das war in Ordnung. Manche der besten Filme waren B-Movies, sie werden heute nur anders bezeichnet und laufen unter Independent."

 

MC: " Hatte das einen Einfluss auf den Dreh?"

 

LD: "Ich konnte trotzdem sehr unabhängig arbeiten, meine minimale Lichtsetzung zum Beispiel war gegeben. Ich denke, wir waren alle recht unerfahren, aber wir fühlten uns gut und haben unsere Sache daher auch gut gemacht. Was mich allerdings wirklich gestört hat, waren die Produzenten, die herumliefen und einfach die verrücktesten Vorschläge brachten. Nur damit Sie eine Vorstellung davon haben, wie es dort ablief: Einer von ihnen - das war zur Zeit von "Amerika´s War on Drugs" - wollte unbedingt, dass keine Drogen in dem Film auftauchen, obwohl die Jugendlichen die ganze Zeit trinken, Marihuana rauchen und ohne Führerschein Auto fahren. Auch die Sprache musste geändert werden. In Amerika gibt es eine festgelegte Anzahl, wie oft in einem Film "fuck" gesagt werden darf, ich glaube acht. Alles was drüberliegt, ist R-Movie. Einmal, Richard war abgelenkt, ging dieser Produzent sogar zu einem der Hauptdarsteller und bat ihn, doch nicht so oft "fuck" zu sagen, sondern irgend etwas anderes. Obwohl es Wiley Wiggins erste Rolle war, verstand er, worum es bei dem Film ging, und sagte mit unserem Einverständnis in der nächsten Szene mindestens acht mal "fuck". Ein klassisches Beispiel für den Eingriff von Produzenten. Ich glaube, Richard hat in dieser Nacht fast das Handtuch geschmissen."

 

MC: "Es ist also doch kein Klischee?"

 

LD: "Nein, leider nicht. Meine erste Erfahrung diesbezüglich war in L.A., Richard und ich holten eine 35er Arri-Kamera ab, die aus Rom gekommen war, und ich schlug vor, bei den Produzenten reinzuschaun. Die erste Frage, die mir gestellt wurde, war: "Wer ist ihr Steadycam-Operator?". Ich fand diese Frage etwas ungewöhnlich, ich hatte eher etwas vermutet wie: "Was ist Ihre Vorstellung von dem Film?". Ich versuchte, ihm klarzumachen, dass der Film 1976 spielt und damals die Steadycam wohl, wenn überhaupt, gerade erst erfunden und noch kaum benutzt worden war, und wir waren uns einig, dass wir daher keine benutzen wollten, um es möglichst realistisch zu halten. Es war sehr unangenehm, Ihnen das zu erklären. Der Produzent hatte "American Graffiti" produziert und war darauf sehr stolz, daher stellte er uns die zweite Frage, warum wir nicht mehr Neonlicht benutzten - und das war ein weiterer Fehler, denn in den Siebzigern gab es eigentlich kein Neonlicht, höchstens kaputte, heruntergekommene Neonstäbe irgendwo, oder? Wir hatten das schon alles Monate zuvor mit dem Team besprochen. Er schien aber jetzt irgendwie Panik zu bekommen, dass der Film irgendwie visuell nicht seinen Vorstellungen entsprechen würde. Na ja, Produzenten in Hollywood….und das war erst der Anfang. Sie ließen uns einfach keine Ruhe. Ich meine, einige Stars wurden durch den Film erst entdeckt, wie Matthew Mcconaughey und Ben Affleck. Ich dachte damals wirklich, der Film sei dem Untergang geweiht."

 

MC: "Welche ist Ihre bevorzugte Art, mit Regisseuren zu arbeiten?"

 

LD: "Es ist merkwürdig, aber nach 7 oder 8 Filmen mit Linklater reden wir eigentlich kaum noch miteinander. Ich bin manchmal auch bei den Proben dabei, er legt auf Proben sehr viel Wert. Ich schaue still zu und nehme Eindrücke in mich auf, und so kann ich später beim Dreh meine eigenen Ideen einbringen. Wir benutzen auch kein Storyboard, außer bei Actionszenen oder Stunts, denn da werden viele Menschen mit einbezogen und benötigen klare Anweisungen."

 

MC: "Macht es für Sie einen großen Unterschied, an einen Dokumentar- oder einen Spielfilm zu arbeiten?"

 

LD: "Im Falle der letzten Arbeit, Fast Food Nation, ging es natürlich stark in die Richtung einer Dokumentation. Auch wenn dort ebenfalls viele Stars auftauchen, wollten wir, dass es wie ein Dokumentarfilm aussieht. Nur Beleuchten wenn nötig, sich auf den Ort einlassen. Wir mussten auf vieles achten, denn Robert lässt eine Szene auch mal 12 oder 15 mal drehen, und dann kann sich das Licht schon wieder sehr verändert haben, selbst beim Innendreh. In diesem Fall müssen wir dann wieder künstliches Licht setzen, mussten auch große Scheinwerfer verwenden und die Nacht zum Tage machen. Der Zeitrahmen ließ es einfach nicht zu, auf die europäische Art zu drehen, auch wenn Richard und ich das eigentlich vorziehen. Viele Tagszenen mussten wir nachts drehen, und zum Beispiel riesige ausgeleuchtete Zelte errichten, nur um zu filmen, wie jemand aus einer Tür heraustritt - es war echt verrückt. Man kann auf diesem Weg sehr viel Geld verlieren, wir mussten also sehr schnell arbeiten.

So mussten wir Fast Food Nation drehen, dafür hatten wir 12 Millionen Dollar, und viel ging für Unterkunft des Teams drauf, wir mussten so oft den Drehort wechseln. Um beweglich zu bleiben, nutzten wir zwei Super-16-Kameras, die beide simultan drehten, stets manuell. Ich kann sagen, dass es sich sehr "dokumentarisch" anfühlte, obwohl es ein festes Drehbuch gab. Der Film basiert auf einem Sachbuch, aber Eric Schlosser, der Autor, arbeitete mit Richard zusammen. Er ist also im Sinne des Autors gedreht, hat aber seinen eigenen Charakter und war erfolgreich. Er ging auch nach Cannes. Aber es ist eine erschreckende Darstellung der amerikanischen Fleisch- und Fastfood-Industrie. Ich weiß von Rupert Murdoch, dass sie vertraglich gebunden waren, den Film in 400 Kinos in Amerika zu zeigen, das wurde auch getan - aber es gab keine Werbung. Kein Cent wurde dafür ausgegeben, es wurde nicht einmal ein Trailer gedreht. Es stellte sich heraus, dass sie vertraglich so gebunden waren. Das ging ganz klar gegen Richard. Aber er hat einen beeindruckenden Willen und macht einfach weiter. Ich hätte an seiner Stelle vielleicht schon mit dem Filmemachen aufgehört. Es ist so zehrend, man hat Meetings und sitzt als Freunde zusammen, aber wenn es darum geht, so einen Film zu zeigen, ist es, als ob man den Hals aufgeschlitzt bekäme, es ist so brutal. Glücklicherweise betrifft mich das nicht, ich gleiche das mit Dokumentationen aus, manchmal sehr kleinen, und suche daneben immer auch nach guten Drehbüchern, die gibt es auch für Dokumentationen. Ich bin heute glücklich, dass ich mir zusammen mit Richard all diese cineastische Bildung aneignete. Wir begannen mit Fassbinder, zeigten in der Austin Film Society all seine Filme, dann kamen Ozon, Besson, Tarkowski…es ging immer weiter. In diesen frühen Tagen haben wir alles gesehen, damals noch auf 16 Millimeter, wir bauten uns unser eigenes kleines Kino. Ich habe dort so viel mehr gelernt als während der 5 Jahre an der Uni.

 

Niemand anderes hat das damals getan, in den Achtzigern schlossen die ganzen Programmkinos in den Staaten und wir zogen das alleine durch. Der Club lag über einem Coffeeshop, und wir fühlten uns sehr europäisch - es gab so etwas einfach nicht bei uns. Das ging etwa 3 Jahre so, wir nahmen von den Leuten drei oder vier Dollar dafür, um die Kopie bezahlen zu können. Das war eine lustige Zeit, in der wir aber auch sehr viel gelernt haben, über europäisches Kino und diese spezielle Sensibilität.

 

Nach "Slacker" wollten wir eine Verfilmung eines Buches des norwegischen Autors Knut Hampson, "Hunger", machen. In den Siebzigern wurde in Skandinavien eine Verfilmung von "Hunger" gemacht, eine serielle, die ich ziemlich gut fand. Richard aber wollte das Stück in der heutigen Zeit in Galveston ansiedeln, einer großen Hafenstadt in Texas, die von einem Hurrikan vollkommen ausgelöscht wurde und fast zu einer Art Geisterstadt geworden ist. Das sollte das nächste Projekt nach "Slacker" sein. Wir hatten 200 000 Dollar zusammen und waren damit sehr glücklich und entschlossen, aber Richard hatte damals ein anderes Angebot in Hollywood und daher hat sich dieses Projekt nicht ergeben. Ich frage ihn immer noch, wann wir es umsetzen. Es ist eine zeitlose Geschichte."

 

MC: "Hatte das einen Einfluss auf Before Sunset und Before Sunrise? Man sieht diesen Filmen den europäischen Einfluss an, finde ich."

 

LD: "Ich glaube, Richard war damals einem Mädchen in Philadelphia begegnet und hatte sie angesprochen, bevor er wieder nach Texas abfuhr, und sie verbrachten wohl die ganze Nacht redend auf der Straße. Später gingen wir nach Berlin, um "Slacker" zu verkaufen, auf dem Markt - erfolglos. Es war die Zeit des Mauerfalls, und Richard erzählte mir von diesem Film, den er machen wollte, von einer Art Roadmovie, einer Zugfahrt von Berlin nach Moskau, so war die ursprüngliche Idee. Wir suchten nach Locations und dachten an Kopenhagen. Es sollte ein europäische Stadt sein, mit Zügen - ich schlug es vor, weil es nachts sehr gut beleuchtet ist, also braucht man kein zusätzliches künstliches Licht und kann einfach das vorhandene Licht nutzen, mit ganz wenig Erweiterung. Und so haben wir dann auch gedreht, auch wenn es letzten Endes in Wien war."

 

MC: "Für "Before Sunrise" nutzten Sie kein zusätzliches Licht?"

 

LD: "Sehr wenig - wie bei "Slacker". Alles Licht, das wir dabei hatten, passte in einen kleinen Van. Wir nutzten auch hier zur Mobilität Steadicam, weil es einfach das Einzige ist, wenn man beweglich sein will. Ich wollte einen bestimmten Steadicam-Operator, weil die Qualität unglaublich wichtig ist und es nichts Schlimmeres gibt als eine schlechte Steadicam-Führung, aber der konnte damals nicht bezahlt werden und so nutzten wir nicht soviel Steadicam wie geplant. Sechs Jahre später, beim Dreh von "Before Sunset", war das ganz anders, wir hatten den Mann, den wir wollten. Man sieht es dem Film an, dass wir viel beweglicher waren."

 

MC: "Was ist der visuelle Unterschied bei der Anwendung von Steadicam und Dolby? Wie arrangieren Sie Ihre Bilder?"

 

LD: "Ich gebe Ihnen ein Beispiel: "Before Sunset" drehten wir in Sequenzen. Wir drehten eine Szene nach der anderen, dem Drehbuch folgend, um der Schauspieler willen. Wir wollten einen fließenden Ablauf, und glücklicherweise ist Richard einer der wenigen Regisseure, die bereit sind, auf diese Art und Weise zu drehen. Bei der Spielfilmproduktion lernt man schnell, dass eine solche Arbeitsweise sehr aufwendig ist und frustrierend. Den Regieassistenten treibt es in den Wahnsinn, aber da wir ein sehr kleines Team waren, konnten wir alle dafür gewinnen. "Before Sunrise" und "Before Sunset" wurden beide auf diese Weise gedreht."

 

MC: "Macht es für Sie einen Unterschied, in Sequenzen zu drehen?"

 

LD: "Ja. Aber ich komme damit klar. Es ist die Wahl des Regisseurs, die ich berücksichtige."

 

MC: "Was ist Ihr nächstes Projekt, Ihr Traum?"

 

LD: "Meines? Oh…ich recherchiere seit einiger Zeit für ein Projekt, das ein historisches Biopic über Sergej Eisenstein enthalten soll. Vielleicht werde ich auch Regie führen. Es ist ein Traum von mir, seit Jahren. Eisenstein kam 1929 Jahren in die Staaten, er traf dort Walt Disney, Charlie O. Selznick, Charlie Chaplin und all die Hollywoodgrößen, die das Beverly Hills der 30er Jahre lebten. Eisenstein war zu dieser Zeit der bekannteste Regisseur, aber die Dinge liefen wohl nicht so, wie er sie sich vorgestellt hatte. Er begegnete dort Upton Sinclair, dem amerikanischen Autoren und Sozialisten, der ihn für ein Projekt finanzierte, das in Mexico gedreht werden sollte und nie abgeschlossen wurde. Es hieß "Que viva México". Die gesammelten übrigen Aufnahmen befinden sich heute in den Archiven des MoMa in New York. Vielleicht ist es nicht mein nächstes Projekt, über Eisenstein in Mexico, aber hoffentlich kann ich diesen Film in den nächsten fünf Jahren drehen. Es ist eine der verlorenen Geschichten des Weltkinos und tragisch, dass heute fast niemand mehr davon weiß, aber die Leute sollen es erfahren. Es wird wohl ein sehr experimentelles Biopic, ein "Biopicture". Ich werde nächsten Monat nach Mexiko fahren und dort den Spuren Eisensteins und seines großartigen Kameramanns Edward Tisse folgen. Ihre Arbeiten sind eines der beeindruckendsten Filmerlebnisse, die man jemals zu sehen bekommt - tonlos."

 

MC: "Haben diese Arbeiten Sie beeinflusst?"

 

LD: "Ja, aber man sieht es meinen Arbeiten nicht an. Wenn ich aber dieses Projekt umsetzen kann, wird man es sehen können. Wir werden uns auch des ursprünglichen Materials bedienen, man kann es beim MoMa gegen eine Gebühr bekommen. Im Moment lese ich aber Drehbücher und suche nach guten Geschichten. Ich denke über eine Fernsehserie in L. A. nach."

 

MC: "Haben Sie so etwas schon einmal gemacht, TV-Produktionen? Das ist doch sicherlich ein gewaltiger Unterschied, oder?"

 

LD: "Ja, das ist es. Alles ist viel stressiger. Es läuft auch anders als hier. In den Staaten werden Filme fürs Fernsehen nach der Werbung ausgerichtet, die alle 10, 15 Minuten die Handlung unterbricht. Das ist der Grund, warum es so wenige gute TV-Produktionen in Amerika gibt."

 

MC: "Ist es nicht auch ein Unterschied beim Bildaufbau?"

 

LD: "Eigentlich nicht mehr so sehr. Wir bewegen uns ja auf 16:9 zu, und die meisten Fernseher in den Staaten haben inzwischen High Definition. Die Hälfte der TV-Produktionen sind inzwischen HD. Also denke ich im Moment nur darüber nach und lese in der Zwischenzeit viele unabhängige Drehbücher."

 

MC: "Haben Sie viele davon?"

 

LD: "Ja, ich habe einen Agenten, der sie mir schickt. Aber es sieht nicht so rosig aus, viele sind geradezu austauschbar. Deswegen ist es für mich zur Zeit so spannend, an Dokumentationen zu arbeiten. Im Moment sind es drei an der Zahl. Ich mache damit weiter, bis sich etwas Besonderes ergibt, eine Richard-Linklater-Produktion vielleicht (lacht)."

 

MC: "Wir sehen dem gespannt entgegen. Eine letzte Frage noch: Sie sagten, dass bei Ihnen alles mit Jacques Cousteau begann…Filmen Sie auch unter Wasser?"

 

LD: "Ja, in meiner aktuellen Produktion, die ich hier auf dem Filmfest zeige."

 

MC: "Haben Sie da auch die Aufnahmen gemacht?"

 

LD: " Ja. Ich nahm Tauchkurse, um selbst tief tauchen zu können, aber es stellte sich schnell heraus, dass meine Kondition es mir nur erlaubt, acht oder neun Meter tief zu tauchen, weil der Druck mir sonst auf den Kopf geht. Ich filme immer noch gern unter Wasser, aber eben nur im Rahmen meiner Möglichkeiten. Und Surf-Filme begeistern mich auch, ich möchte mit einer 16mm-Kamera mit Wassergehäuse in Mexiko filmen, so ein Zeug eben, Filme um und über Wasser. Das ist noch immer das Kind in mir. Aber Dokumentationen erleben einen Aufschwung in Amerika, vor allem durch die digitalen Möglichkeiten. Ich sage immer: "Truth is stranger than fiction". Eric Stanton sagte einmal, dass es mathematisch berechnet nur 36 Wege gibt, eine Geschichte zu erzählen - bei der Menge von Produktionen aus Amerika, speziell aus Hollywood, würde man eher denken, es seien nur drei. Aber mit Dokumentationen hat man unendliche Möglichkeiten, jede Person hat ihre ganz eigene Geschichte. Da enden meine Gedanken zur Zeit. "

 

MC: "Wir sind gespannt auf Ihre neuen Projekte."

 

LD: "Ja, und vielleicht komme ich wieder zum Filmfest nach Deutschland und versuche, niemandem auf die Füße zu treten und, wie andere die immer wieder hierher kommen, langsam Menschen aus der hiesigen Welt des Films kennen zu lernen."

 

MC: "Ja, das ist charakteristisch für den europäischen Film, alles bewegt sich in engen, geschlossenen Kreisen."

 

LD: "Ja, und das finde ich eben nicht in Amerika, und daher werfe ich jetzt meine Netze ein wenig weiter aus. Ich war in Australien und Neuseeland, in Buenos Aires und allen möglichen Orten, um zu sehen, was sich im Film in anderen Teilen der Welt so alles abspielt, einfach um die Möglichkeit offen zu lassen, auch woanders zu arbeiten. Ich habe mein Land noch nicht völlig abgeschrieben. Und ich muss auch noch sagen, dass George Bush nicht aus Texas kommt - das ist meine ganz persönliche Mission hier, denn wir Texaner könnten uns angegriffen fühlen."

 

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