Blogs und Postings lassen oft falsche Vorstellungen von der Welt und dem Leben entstehen, die sich weitab von der Realität befinden. Da ist einfach alles Fantastisch, Fabelhaft, Glamourös und Beautiful. Die Bildausschnitte zeigen Aufnahmen vermeintlicher Traumorte, zeigen permanente Gala Menüs und perfekte Outfits. Es ist längst kein Nischen-Problem mehr, dass immer mehr Menschen in den sozialen Medien etwas vorgelebt bekommen, was von ihrem Leben Lichtjahre entfernt ist. Und das führt nicht selten zu Traurigkeit, zu Depressionen. Wer das Gefühl hat, nicht das geschafft, erreicht zu haben, was die meisten Influencer tagtäglich in die Welt posten, kann schnell das Gefühl bekommen, versagt zu haben. Doch dieser Schluss wäre ein Riesenirrtum.
Machen wir uns nichts vor, aber Blogger und Influencer zeigen natürlich ihre besten Momente, ihre Schokoladenseiten, sie wollen schließlich Erfolg und immer mehr Follower haben. Viele leben ihren Followern permanente Glückserlebnisse, positive emotionale Momente oder unreflektiertes Luxusleben vor und produzieren damit permanent Lebensideale, die weitab von jeder Lebenswirklichkeit sind.
Dabei sind ihre Fans häufig selbst dann unkritisch, wenn die InfluencerInnen ihre Luxusprobleme zu scheinbaren Tragödien hochstilisieren. Man soll Anteil nehmen an der schwierigen Auswahl der richtigen Millionenvilla auf Mallorca, dem dritten SUV in Sonderausstattung oder den fast unbezahlbaren Schmuckstücken irgendeines Jouvelliers in Sankt Moritz. Dass im Erleben dieser schwierigen Entscheidungen gerne auch mal Tränen fließen, soll den InfluencerInnen Authentizität verleihen. Sie suggerieren trotz überquellender Bankkonten für ihre Werbebotschaften, eben auch gerne mal "echte" Sorgen und Probleme zu haben, genau wie ihre Follower.
Optimised
Auch InfluencerInnen nehmen mal zu, tragen auch mal wenig attraktive Kleidungsstücke, haben Ausschlag, Pickel, Dehnungsstreifen, Cellulite sind übermüdet, verschwitzt, sind kurz gesagt, Menschen. Auch InfluencerInnen sind mal ungeschminkt und haben unfrisierte Haare. Doch all das wird in den allermeisten Kanälen ausgeblendet.
Diverse Kameras und Handys haben Standardmäßig bereits "Bildverbesserungen" eingebaut, welche automatisch Gesichter soften. Die wenigsten Influencer nehmen sich noch mit weitwinkligen Handyobjektiven auf. Manche Handys fügen künstlich Hintergrundunschärfe hinzu um einen edleren Look zu erzielen. Die Ausleuchtung der meisten Influencer wird von hellen, weichen Flächenstrahlern erledigt, die Gesichtern schmeicheln.
Was sich durch Schmike, das Posing und Stiling nicht herstellen lässt, wird spätestens in der Bildbearbeitung nachgeholt: Da wird nicht nur die Haut gesoftet, im Farbton oder den Schattenverläufen optimiert. Brüste werden vergrößert oder verkleinert, die Taille schmaler, eine Lücke zwischen den Oberschenkeln hergestellt. Bei Bedarf werden Muskelpakete optimiert, glänzende Stellen wegretuschiert.
Realitycheck
Soziale Medien können, so einschlägige Studien, sowohl zu gesunden als auch zu ungesundem Verhalten und entsprechender psychischer Gesundheit beitragen. Sicherlich gibt es auch ehrliche und authentische Erfahrungen auf Social Media, doch die sind in der Minderzahl. All die Widersprüche sind so offensichtlich, dass es diverse Aktionen im Web gibt, die genau auf die Künstlichkeit so mancher Influencer-Welt hinweisen. Dazu gehört beispielsweise die Aktion "Instagram vs. Realität" Hier wird unter anderem verdeutlicht, dass natürlich all die Aufnahmen, die in sozialen Medien gepostet werden, stets die gelungendsten Bilder sind und aus Bilderserien mit unvorteilhafteren Momenten ausgewählt sind. So ist geradezu eine Gegenbewegung einiger Influencer entstanden, die allzu gutgläubigen Followern klarmachen soll, dass es von jeder Glamouraufnahme auch eine Reihe von Bildern mit Doppelkinn, künstlichem Fakelächeln oder unvorteilhaftem Blickwinkel gibt.
Manche InfluencerInnen posten neuerdings Bilder von sich, die alles andere als perfekt sind, unvorteilhaft, verschwitzt, mit Speckröllchen und mehr. Bilder, die Glamour Influencer nicht im Traum von sich posten würden. Damit vermitteln sie den Followern, dass es wichtig ist, sich und seinen Körper zu mögen, statt ständig irgendwelchen Scheinwelten nacheifern zu wollen.
Viele andere InfluencerInnen posten inzwischen auch missglückte Bilder und Outtakes gemeinsam mit den offiziellen, gelungenen Bildern in ihren Kanälen oder betreiben einen alternativen zweiten Kanal mit den nicht so perfekten Aufnahmen.
Beispiele für Instagram vs. Reality: #letskeepitreal, #DearBodyThankYou, #The Truth is Not Pretty, #sabinaalexia
Social Media vs Verstand
Grundsätzlich ist überhaupt nichts daran auszusetzen, wundervolle Aufnahmen zu posten, die bilden durchaus tolle Augenblicke im Leben ab. Das ist absolut in Ordnung. Viele der Techniken, die das Movie-College in Workshops oder den Online Grundkursen Kamera oder Filmlicht vermitteln, helfen dabei, herausragende Ergebnisse zu erzielen.
Aber wenn man nie die Flecken zeigt, die nicht so tollen Momente, die eigenen Macken, das geschwollene, pickelige Gesicht, dann behauptet man eine falsche Wirklichkeit. Man gibt dann vor, diese Top-Momente seien die Norm, doch das sind sie nicht. Und selbst, wenn man sich dessen bewusst ist, dass viele dieser Aufnahmen extrem manipuliert sind,- häufig schauen sich die Menschen ihre Streams zur Entspannung oder wenn sie müde sind an. Da ist leider auch das kritische Bewusstsein entspannt und man reflektiert das nicht mehr kritisch und speichert die Eindrücke, obwohl man es eigentlich besser weiß, als Real ab.
Worauf es ankommt
Natürlich hängt die Wirkung immer auch von dem einzelnen Menschen ab, der diese Posts konsumiert. Für manche Menschen können die sogar inspirierend sein, für Andere führen sie zu schädlichen Selbstbewertungen. Wissenschaftliche Studien belegen, dass Social Media negative soziale Vergleiche fördern und in vielen Menschen das Gefühl hervorrufen, den geposteten Normen nicht zu genügen. Kein Wunder, denn das sind schließlich gar keine Normen, sondern nur Inszenierungen. Das Bewusstsein über die Künstlichkeit der Darstellungen hilft, mit falschen Idealbildern von der Welt und vom Leben aufzuräumen, damit Menschen mit ihren individuellen Körpern, Gesichtern und Lebenssituationen glücklich sind. Damit sie in sich hinein horchen und entdecken, dass viel mehr in ihnen steckt, als leere, glatte, retuschierte Oberflächen es je bieten könnten.