Ob Kino, Streaming oder TV,- der Blick auf die Bewertungen beeinflusst die Wahl. Aber was, wenn das alles Fake ist? Man kennt das von Online-Versandhäusern, Bewertungen von Produkten, die recht ähnlich oder irgendwie seltsam klingen. Manchmal passen sie nicht einmal zum Produkt und loben etwas völlig anderes. Bewertungen sind das Gold des Internets, sie können den Verkauf von bestimmten Produkten deutlich anheben, obwohl ihr Ursprung kaum nachvollziehbar ist. Und manchmal, das ist allerdings selten, haben die Verfasser am Ende ihrer Rezension erwähnt, dass sie das Produkt kostenlos zum Rezensieren erhalten hätten. Immerhin ehrlich.
Inzwischen sollte es sich herumgesprochen haben, dass es zahlreiche Agenturen, vorzugsweise in Asien angesiedelt, gibt die gegen Bezahlung gute Bewertungen aller Art zu Staffelpreisen anbieten. Am einfachsten geht das bei Bewertungssternchen, denn da müssen gar keine Texte verfasst werden. Das Geschäftsmodell scheint zu funktionieren, zumindest steigt die Zahl derartigen Agenturen kontinuierlich, vermutlich auch, weil diese oft gar keine menschlichen Arbeitskräfte mehr benötigen sondern sich inzwischen auf die KI verlassen können.
Doch wie verhält es sich eigentlich mit Filmkritiken? Kann man wenigstens in diesem Bereich sicher sein, es mich echten, mit unabhängigen Rezensionen zu tun zu haben? Kultur, dieser heilige Grahl, wenigstens dort sollte man sich doch verlassen können auf die Echtheit und Unbeeinflussbarkeit der Bewertungen. Oder?
Macht und Ohnmacht
Die Bedeutung der Filmkritik hat sich gründlich verändert. Während Filmkritiker Mitte des letzten Jahrhunderts eine ungeheure Macht hatten, sich die Kritiker des Cahier de Cinema für ihre Überzeugung auch schon mal prügelten und Verrisse die Einnahmeerwartungen von Filmverleihen über Nacht pulverisieren konnten, ist die Bedeutung der Filmkritiker inzwischen deutlich geschrumpft. Das hat nicht zuletzt mit dem Internet zu tun, einem Paradigmenwechsel was die sogenannten Leitmedien angeht. Nahezu ein Jahrhundert lang kam den großen Tageszeitungen und später den Fernsehsendern mit Kulturauftrag eine große Bedeutung in der Bewertung von Filmen und anderen Kulturprodukten zu. Insbesondere, wenn es um Independent Filme ging, für die es kein Budget gab, großangelegte Werbekampagnen zu finanzieren. Oft genug haben die Kritiker*Innen die großen hochbudgetierten Filme kritischer betrachtet und bei den kleinen Independent-Filmen auch eher mal ein Auge zugedrückt und über so manche Schwächen, die mit dem Budget zu tun hatten, hinweggesehen.
Es hatte einfach großes Gewicht, was Leute wie Peter Buchka, Hans Günther Pflaum, Michael Althen und Andere über einen Film schrieben. Ihre Bewertungen fanden sich auf Flyern, Filmplakaten und Klappentexten späterer DVDs wieder. Das hat sich geändert, heute sind es irgendwelche Sterne auf Filmportalen, welche die Zuschauer zum Anschauen eines Filmes bewegen sollen. Solide Filmkritiken gibt es noch immer, was Claudius Seidel, Katja Nicodemus Rüdiger Suchsland, Tobias Kniebe, Susan Vahabzadeh oder Daniel Kothenschulte über Filme denken und schreiben, wird noch immer gelesen, doch sie haben nicht mehr das alleinige und übermächtige Gewicht bei den Entscheidungen, ins Kino zu gehen, etwas zu streamen oder noch physisch auf DVD / BluRay zu kaufen. Hier haben inzwischen die Bewertungsportale übernommen. Obwohl das miteinander gar nicht vergleichbar ist. Eine kluge, reflektierte Kritik, geschrieben von den Großen der Filmkritik macht einfach Freude und in den meisten Fällen lernt man noch eine Menge daraus.
Bewertungsportale
Bevor man Zeit und Geld in Kinobesuche, gestreamte oder linear gesendete Filme investiert, zieht man gerne Bewertungen oder Kritiken zur Rate. Da man dies zumeist über die gängigen Suchmaschinen tut, landen in den gefundenen Suchergebnissen nicht unbedingt die fundierten professionellen Filmkritiken ganz oben, sondern irgendwelche werbefinanzierten Portale.
Rezensionen sind heutzutage alle potenziell durch Manipulationen gefährdet. Was in den USA Rotten Tomatoes ist, sind hierzulande Filmstarts.de, movieworlds.com oder imdb. Es sind Bewertungssternchen oder anspruchslose Kurzkritiken von zumeist Unbekannten, welche zur Rate gezogen werden, wenn Menschen sich für irgendeinen Film entscheiden wollen. Niemand fragt mehr danach, wer denn da Sternchen vergeben hat oder welchen cineastischen Hintergrund denn die Verfasser von Kritiken eigentlich haben.
Manche Portale wie etwa https://letterboxd.com versuchen Manipulationen durch höchst personalisierte, registrierungspflichtige Beiträge, Filmlisten und Kritiken abzuwehren, was ihnen mehr Glaubwürdigkeit verschafft. Letterboxed ist eine Art soziales Netzwerk, welches sich auf Film fokussiert.
Agenturen
Im Internet tummeln sich zahlreiche Agenturen, welche ihre Dienste in Form von generierten Bewertungen oder auch dezidierten Filmkritiken anbieten. Teilweise finanzieren sich sogar semiprofessionelle Filmkritiker, allen voran Film-Blogger und Vlogger durch diese Seiten.Die meisten dieser Seiten sind eher intransparent, machen nicht so sichtbar, dass sie bezahlte Kritiken anbieten. Anders die folgenden zwei Beispiele, die ihr Preismodell transparent machen.
Eine dieser Seiten ist "Bunker15", erreichbar unter http://www.bunker15.com/
Sie vermittelt gegen Gebühr Filmkritiker*Innen, die zu jedem gewünschten Film Rezensionen schreiben. Allerdings ist das Honorar, welches für Filmbesprechungen gezahlt wird, ziemlich niedrig. Etwa 50,- USD sind für das Anschauen und Besprechen eines abendfüllenden Films doch recht wenig, weshalb das Thema professionelle Filmkritiker, nicht zuletzt auch wegen eines gewissen "Verhaltenskodex für Filmkritiker" nicht betreffen sollte. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch "Filmtreat", welche gleich eine ganze Palette an Marketingmaßnahmen anbieten. Hier gibt es ganze Pakete mit Kritiken, Werbung, Backlinks zur Webseite des Films und mehr, die man buchen kann.
Zu erreichen unter https://filmthreat.com/submit-project/
Angeblich nehmen diese Agenturen keinen Einfluss auf die Bewertung, die in solchen bezahlten Kritiken zum Ausdruck kommt,- dennoch machen sie gewisse Vorgaben. Sie fordern die Kritiker*Innen auf, möglichst nur über Filme zu schreiben, die sie auch mögen.
Frühe Sündenfälle
Man muss nicht annehmen, dass die Einflussnahme auf Bewertungen von Filmen eine neue Entwicklung und eng verknüpft mit dem Internet sei. Sogar schon im vergangenen Jahrhundert haben große Filmverleihe die Reise,- und Hotelkosten für manche Filmkritiker*Innen zu Filmpremieren neuer Kinofilme nach Berlin, Hamburg, München etc. finanziert. Das war zwar nicht mit der Auflage verbunden, positiv über diese Filme zu schreiben, doch indirekt wäre es ungeschickt gewesen, negativ zu schreiben, denn dann hätte man vermutlich keine weiteren Einladungen zu anderen Filmpremieren mehr bekommen.
In den USA war es üblich, dass große Studios sehr viel Geld in die Hand nahmen, um Kritiker bestens zu verpflegen, sie an exklusive Drehorten zu fliegen und natürlich entsprechend positive Berichterstattung im Gegenzug zu erhalten. Es gab angeblich US Kritiker, deren Flugreisen nach Cannes, Berlin oder Venedig von Filmstudios finanziert wurden. Doch es gab noch viel weiter reichende Einflussnahmen. 2021 enthüllte die Los Angeles Times dass „Emily in Paris“ zwei Golden-Globe-Nominierungen erhielt und interessanterweise Paramount, die die Serie produzierte, angeblich zahlreiche Mitglieder der Hollywood Foreign Press Association, welche stimmberechtigt waren, an die Filmsets nach Paris eingeladen hatte.
Ziemlich dreist war auch in den 2000er Jahren die Geschichte mit dem Filmkritiker David Manning, der zahlreiche Sony-Produktionen äußerst positiv besprach, was dann auch auf Filmplakaten, DVDs & BluRays sowie Flyern abgedruckt wurde. Peinlich nur, dass es keinen Filmkritiker dieses Namens gab, er war schlichtweg erfunden.
Fazit
Wo fangen die Grenzen der Beeinflussung an? Fairerweise muss man sagen, dass gerade diese Art, über Online-Portale für Filmkritiken zu bezahlen, von kleinen Independent-Produzenten genutzt wird, die einfach nicht das riesige Marketing-Budget großer Verleihfirmen besitzen. Ohne derartige Portale oder auch die Kritiken und Bewertungen von Freunden und der Community, blieben viele Low,- und No Budget Filme vermutlich unsichtbar. Tatsächlich gibt es viele Versuche von Beeinflussung, bis hin zur direkten Bezahlung für eine Kritik. So lange die Kritiker ehrlich sind und ihre freie Meinung schreiben, sollte auch das möglich sein. Werden allerdings auch die Haltungen Filmen gegenüber verändert, sollten die Alarmglocken läuten... Grundsätzlich fährt man immer am Besten, wenn man auf Kritiken seriöser Tages,- oder Fachzeitschriften achtet. Eine Süddeutsche Zeitung, eine FAZ, die ZEIT oder die TAZ, in Österreich der Standard oder in der Schweiz die NZZ, um nur ein paar zu nennen, veröffentlichen in der Regel hervorragende Filmkritiken.
Über tausend garantiert unbezahlte und unabhängige Filmkritiken des Movie-College findet Ihr übrigens hier.