Saas-Fee-Festival Eröffnung
Zum zweiten Male findet im Kanton Wallis ein besonderes, dem Arthouse-Kino gewidmetes Filmfestival statt. Nun ist so ein vor allem dem Wintersport gewidmeter Ort zunächst vielleicht ungewöhnlich, um gerade dort das künstlerisch anspruchsvolle Kino zu feiern, doch der Ansatz, dass vielleicht gerade dort Menschen, die Urlaub machen, die Muße haben, mal wieder ins Kino zu gehen, ist durchaus spannend. Und dass Saas Fee kino-affin ist, beweist allein schon die Tatsache, dass dieser Ort mit etwas mehr als 1000 Einwohnern sich ein eigenes Kino bewahrt. Denkt man an so manch andere Orte mit einem Vielfachen an Einwohnern, die seit Jahren kein Kino mehr haben, ein beachtliches Statement.
Beim Eröffnungsabend im ortseigenen Cinema Rex stellten die Festivalleiter, Festivalmanager Gabriel Zurbriggen und künstlerischer Leiter Stefan Fichtner die beiden Jurys vor, die über den Gewinner unter 9 Spielfilmen aus 5 Ländern entscheiden werden. Die Eröffnungsveranstaltung wurde für ein besonderes Spektakel unterbrochen: Für drei Minuten wurden die Berge beleuchtet, woraufhin sich das Kinopublikum hinaus auf einen Platz begab, die Illumination zu bestaunen und dann wieder ins Kino zurückbegab, wo das Programm nahtlos fortgesetzt wurde.
Den fachkundig besetzten Jurys gehören an: Regisseurin Christine Repond (SILBERWALD), der österreichische Schauspieler und Regisseur Markus Schleinzer und der deutsche Schauspieler Hans-Jochen Wagner (ALLE ANDEREN), die Variety-Kritiker Jay Weissberg (US), taz-Kritikerin Cristina Nord (D) und Tagesanzeiger-Kritiker Christoph Schneider (CH).
3 Coeurs
Als Eröffnungsfilm wurde 3 COEURS von Benoît Jacquot gezeigt, mit Catherine Deneuve, Chiara Mastroianni (der Tochter von Catherine Deneuve, die in dem Film auch tatsächlich ihre Mutter spielt) und Charlotte Gainsbourgh, eine unmögliche Liebesgeschichte, die auf Bildsprache setzt und die kleinen Gesten und Momente pflegt. In dem Film hat Jacquot eine Dreiecksgeschichte rund um einen herzkranken Steuerprüfer, gespielt von Benoît Poelvoorde, der sich zunächst in eine Antiquitätenhändlerin verliebt, die er aus den Augen verliert, sich dann aber ohne es zu wissen in deren Schwester verliebt. Obwohl die Handlung durchaus konstruiert wirkt, funktioniert die eigenwillige Stimmung, die Jacquot erzeugt, sehr gut.
Jack
von Edward Berger
Die Geschichte von Jack, dem zehnjährigen, der seiner weitgehend verantwortungslosen jungen Mutter weggenommen und in ein Kinderheim gesteckt wird, wo er nach bösen Attacken durch andere, ältere Jugendliche abhaut und zurück zu seiner Mutter will. Die ist aber, wie anscheinend öfter, seit Tagen nicht zuhause und hat Jacks kleineren Bruder Manuel bei einer Freundin abgestellt. Jack holt seinen Bruder kurzerhand dort ab und macht sich allein mit ihm auf die Suche nach der Mutter.
Wie so oft überzeugt auch hier ein Kind durch ein unverstelltes authentisches Spiel, Jack hastet stets atemlos durch all die Hindernisse und Situationen ähnlich wie die Protagonistin in "Fish Tank". Auch, wenn man das Milieu, in dem die Mutter angesiedelt ist, nicht wirklich greifen oder zuordnen kann, so sind die Kinder umso überzeugender.
Die Aufnahmen, wie Jack immer wieder seinen kleinen Bruder an der Hand mit sich zieht, auf dem Rücken schleppt, wie er ihn mehrmals schlafend auf Straßenbänken ablegt, wieder abholt oder gar im Einkaufscenter vergisst, sind einfach berührend. Ein starker Film, nicht zuletzt auch weil die Regie den Kindern so viel Vertrauen schenkt.
Preisverleihung
Die beiden Jurys haben am Sonntagvormittag getagt, am Abend um 19:30 wurden dann die Preisträger in einer feierlichen Abschlussveranstaltung bekannt gegeben.
Der Hauptpreis der Filmemacher-Jury ging an den französischen Spielfilm "Party Girl"
von Marie Amachoukeli, Claire Burger, Samuel Theis
Begründung der Jury:
"Party Girl" ist ein Film, der die Jury tief beeindruckt hat. Von der ersten Minute an überwältigt das Drama mit seiner starken Hauptdarstellerin, einer unkonventionellen 60jährigen Mutter, die als Sexarbeiterin durch die Nächte des Rotlichtmilieus tanzt und vielleicht ihr größtes Abenteuer in ihrem Leben wagt: sich der Liebe eines ehemaligen Kunden zuzuwenden. Ihre anstehende Hochzeit konfrontiert sie auf eine direkte, dokumentarisch anmutende Weise mit allen Unzulänglichkeiten, ungestillten Sehnsüchten, ihren vernachlässigten Kindern und nicht zuletzt mit sich selbst. "Party Girl" erzählt in einer Direktheit und unverkünstelten Authentizität, manchmal verzweifelt, manchmal voll kindlicher Hoffnung und stets mit zärtlichem Blick, und lässt uns spüren, wie tief ergreifend Kino sein kann.
Der Preis der Filmkritiker-Jury ging an "MAESTRO"
von Léa Fazer
Begründung der Jury:
Der Preis der Filmkritik geht an einen Film, der die Leichtigkeit einer Komödie hat, uns zugleich an den Wert der Schönheit erinnert und dadurch ein Stück Utopie in den Alltag trägt. Ohne Snobismus und ohne Kulturpessimismus bringt er den Reichtum literarischer und filmischer Tradition zum Vorschein und lässt dabei doch auch Raum für das Neue.
Der Film ist eine wunderbare Hommage an Eric Rohmer und seinen letzten Film LES AMOURS D'ASTRÉE ET CÉLADON. Unser Preis mag undotiert sein, aber er kommt von Herzen. Le jury vraiment kif ce film.
Der Publikumspreis ging an "DER LETZTE TANZ"
von Houchang Allahyari
Begründung: Unser Publikum begeisterte ein behutsames und nie bloßstellendes grenzgängerisches Drama über eine Liebe, die in unserer Gesellschaft so nicht vorgesehen ist. Die zauberhafte 89-jährige Erni Mangold nimmt einem scheinbar verstörenden Vorgang alles Anrüchige.
Im Wettbewerb:
- Incompresa (I)
- Gaby Baby Doll (F)
- Driften (CH)
- Der letzte Tanz (A)
- Jack (D)
- L'Arbitro (I)
- Maestro (F,CH)
- Party Girl (F)
- Bad Luck (A)
Die zweite Ausgabe des Saas-Fee-Filmfestivals bewies eine herausragende Filmauswahl und holte spannende internationale Gäste an diesen zauberhaften Ort. Überall konnten die Besucher des Festivals spüren, wie sehr die Einheimischen dieses mutige Festival lieben und unterstützen. Man darf schon jetzt auf die nächste Ausgabe gespannt sein, die wegen der frühen Osterfeiertage 2016 etwas früher im März beginnen wird.
Mehr Infos auf: www.sfff.ch