Für professionelle Drehs wird das cloudbasierte Arbeiten von der Industrie massiv beworben. Was bringt es? Auf den einschlägigen Fachmessen versuchen Gerätehersteller 2022 vor allem ein Thema als größten Fortschritt ihrer Produkte zu promoten: Das Drehen mit der Cloud. Was genau bedeutet das und welche Vor,- und Nachteile darf man erwarten?
"Time is Money" lautet häufig die Devise und da klingt es natürlich verlockend, wenn man an den üblichen Workflows digitaler Profi-Drehs zeitsparende Abkürzungen vornehmen kann. Ist es in den meisten Fällen üblich, dass die gedrehten Video,- und Audiofiles von Jemand aus dem Team, der Kameraassistenz oder einem eigenen Data-Wrangler gesichert und kopiert und oft auch auf einen externen Server hochgeladen werden, so sollen diese Prozesse künftig automatisiert werden.
Das bedeutet, dass Kameras oder separate Rekorder, die sich oft in Kontrollmonitoren (z.B. von Atomos, Blackmagic etc.) befinden, selbsttätig die Aufnahmen aufbereiten und mit allen nötigen Metadaten auf einen Cloud-Server hochladen. Mit Aufbereiten ist etwa die Herstellung von H264 Proxies (das sind datenreduzierte Kopien der Originalaufnahmen, die sich schneiden lassen) mit exaktem Timecode gemeint, hierfür müssen diese Geräte oder das passende Zubehör entsprechende Encoder besitzen.
In der Regel wird dann am Set parallel zum Dreh über Wi-Fi, LTE oder 5G in Echtzeit das Material auf einen Cloud-Server etwa von Frame.IO hochgeladen und steht dann sofort andern Teammitgliedern wie Produzenten, Redakteuren und natürlich den Editoren an anderen Orten sofort zur Verfügung. Die Proxies erhalten dann automatisch die identische Bezeichnung und Timecode der Originalaufnahmen. Das erleichtert die spätere automatisierte Zuordnung im Schnittsystem. Die Anbieter versprechen, das man keine Medienkarten mehr austauschen müsse, keine Kurierdienste mehr bräuchte und kein Warten auf das Rendern und Hochladen des Filmmaterials mehr notwendig seien.
Was bringt es?
Die Idee hinter diesem Workflow ist es, Zeit zu sparen und einen kollaborativen Cloud-basierten Workflow zu ermöglichen. Das kann bei zeitkritischen Produktionen durchaus Vorteile haben, insbesondere bei aktueller Berichterstattung, Events aber durchaus auch beim Spielfilm. Es ist inzwischen üblich, dass der Schnitt eines Films nicht erst nach Abschluss der Dreharbeiten beginnt, sondern parallel mitläuft. Das hat den Vorteil, dass man bereits während des Drehs auf Rückmeldungen aus dem Schneideraum reagieren kann. Etwa dass etwas fehlt, nicht so gut gelungen ist oder ergänzende Aufnahmen notwendig sind.
Natürlich kann man diesen Workflow auch herstellen, indem man seine Daten in der Mittagspause oder abends auf den Firmenserver der Produktion hochlädt, von wo sich die Editoren die Daten herunterladen können. Oder man kann SSDs oder Festplatten nutzen um die Dateien jeweils in die Postpro zu bringen oder schicken. Aber Echtzeit ist nun mal der letzte Schrei und so versucht die Industrie diesen automatisierten Workflow den Filmproduktionen schmackhaft zu machen.
Das kommt nicht ganz zufällig zeitgleich mit der Ankündigung von Adobe, dass Frame.IO (von Adobe aufgekauft) Bestandteil der Creative Suite wird und auch Blackmagic hat eine eigene Cloud (Cloud Store) aufgebaut, die mit Da Vinci verknüpft wird.
Drahtlos glücklich?
Nun wo Licht ist ist auch Schatten, in diesem Fall sind manche Problemzonen erst auf den zweiten Blick erkennbar. Zunächst einmal muss einem klar sein, dass die kostenlos bereitgestellten Cloud-Zugänge selbstverständlich vom Speichervolumen her begrenzt sind und Produzenten recht schnell in die Situation kommen, für zusätzlichen Speicher bezahlen zu müssen. Doch das sind nur Kosten. Über das Risiko, dass derartige Clouds natürlich auch von Hackern und Erpressern angegriffen werden können, möchte man gar nicht nachdenken. Physische Backups der Medien sollten stets verpflichtend sein.
Auch setzen all diese Lösungen eine gute Netzabdeckung voraus. Dass diese nicht immer gegeben ist, weiß jeder Smartphone-Nutzer aus eigener Erfahrung. Dass der zusätzliche "Traffic" via Internet, das Befüllen von Serverspeichern etc. den Stromverbrauch und die Erderwärmung weiter nach oben treiben, steht ebenfalls auf einem anderen Blatt.
Wesentlich schwieriger ist die Tatsache, dass das, was so schön kolaboratives Arbeiten genannt wird, im Grunde genommen eine Echtzeit Kontrolle der geleisteten Arbeit ermöglicht. Allerdings ohne zu sehen, welche Herausforderungen für die jeweiligen Aufnahmen gemeistert werden mussten. Vor allem wenn Leute, die nur wenig bis gar keine Ahnung von kreativen Prozessen haben, die gar nicht über das Vorstellungsvermögen verfügen, spätere Montagen zu assoziieren, über einzelne Takes urteilen, kann es kompliziert werden. Das ist ein wenig so, als wenn Laien auf Grund der Grundierung und ersten Pinselstrichen das fertige Bild von Maler*Innen beurteilen wollten.
Das klingt nur nach einem theoretischen Problem. Doch leider gibt es in der Branche viele Redakteur*Innen und Produzent*Innen die zu fachfremd und schlicht ahnungslos sind und dann am Schreibtisch auf Grund von Proxies Beurteilungen vornehmen. Es gibt nicht wenige Drehs, bei denen Entscheider*Innen auf Grund solcher Proxies inzwischen die Qualität von Dreharbeiten meinen beurteilen zu können und die Regie und Produktion mit häufig sinnfreien Diskussionen belasten. Hätten sie das Material erst später geschnitten und farbkorrigiert gesehen, hätten sich die meisten Diskussionen erübrigt.
Was also für erfahrene Profis, die dank Dreh,- und Arbeitserfahrung die Aufnahmen richtig einordnen können, eine gewisse Beschleunigung des Workflows bedeutet, kann unter anderen Umständen zusätzlichen Druck auf ohnehin anstrengende Dreharbeiten ausüben.