In der ersten Zeit ihres Auftauchens in hiesigen Fernsehstuben waren es Zeichentrickfilme simpler Machart. Oft waren nur die Figuren oder gar nur die Münder und Augen animiert, während der Rest der Trickfilmwelt ehrfürchtig erstarrte bis die Trickfigur ihren Satz abgespult hatte. Also ein möglichst reduzierter Aufwand beim Animieren,- man darf nicht vergessen, dass das alles früher von Hand gezeichnet und dann mit Trickkameras Bild für Bild aufgenommen werden musste.
Zumeist war die japanische Herkunft durch europäische Themen wie "Heidi", "Wicki und die starken Männer", "Pinocchio", "Biene Maja" oder "Hanni und Nanni" gar nicht erkennbar, bestenfalls dem Abspann zu entnehmen. Es waren schlichtweg die niedrigeren Kaufpreise, welche die TV-Sender zum Kauf oder Auftrag japanischer Trickfilme bewegten. Die japanischen Animationsfirmen bedienten den europäischen Geschmack und verdienten damit gutes Geld. Erst mit der Serie "Captain Future" kamen die in Japan typischen Stilmittel erstmals auch in Europa auf die Bildschirme.
Bewegte Comics
Animes sind verfilmte (animierte) Mangas (= jap. Comics), die in Japan wichtiger Bestandteil der Kultur geworden sind. Dementsprechend existiert eine riesige Palette unterschiedlicher Themenwelten für jedes Geschlecht und jede Altersklasse. Bewegungen werden oftmals durch Schraffuren, Linien, Andeutungen illustriert, Techniken die aus der Tradition des japanischen Holzschnitts stammen. Nicht alle weisen als Erkennungsmerkmal die riesigen Augen, winzigen Nasen, aufgerissenen Münder und kindlichen Proportionen auf.
Für westliche Zuschauer wirken sie zumeist theatralisch und überzeichnet. Viele Hintergründe, die etwa ihren Ursprung in der Religion (Buddhismus und Shinto) oder japanischen Samurai-Geschichte haben, erschließen sich ohne deren Kenntnis so gut wie gar nicht. Ihre Vorläufer sind nicht so leicht auszumachen, waren Holzschnitte, aber auch Jugendstil-Plakate sowie erste japanische Zeichentrickfilme aus der Zeit um 1920 herum.
Anfänge
Als einer der Pioniere der Animes gilt Osamu Tezuka, der zu Beginn der 60er Jahre in seiner Firma "Studio Mushi" erste Animationsfilme zeichnete. Die TV-Serie "Tetsuwan Atom" ("Astro Boy"), die Verfilmung seiner gleichnamigen Comic-Reihe, wurde sein erster großer Vermarktungserfolg. Serien wie "Jungle Taitei" ("Kimba, der weiße Löwe") folgten.
Hayao Miyazaki begann in den 80er Jahren sowohl Serien, als auch Kinofilme zu produzieren und ist einer der mächtigsten Vertreter dieser Branche. Verbesserte Animationsverfahren zeichneten vor allem die Kinofilme aus. Die erweiterten Möglichkeiten der Computertechnik kamen der größeren Nachfrage entgegen, reduzierten aber zugleich teilweise die gestalterische Qualität. Zwischen wenigen gezeichneten Bildern eines Bewegungsablaufs berechnen die Computer alle Zwischenphasen selbsttätig. Es gibt eine große Zahl an Animationsstudios, die als Zulieferer für die großen Animationsproduzenten arbeiten. Ihren Siegeszug traten die Animes dann in den 90er Jahren an, als sich Serien wie "Pokemon", "Sailor Moon" "Ninja Turtles", "Gundam" oder "Dragonball" zu Exportschlagern entwickelten.
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Themen, Gesetze und Variationen
Menschenähnliche Roboter (Mechs), Monster, Samurai, Sagenfiguren, Kampfsport, College-Schüler, Sportmannschaften und Kriminalgeschichten sind die typischen Themengebiete der meisten Animes.
Sie werden für alle Interessenslagen von naiv verträumt und kindgerecht über Ehre und Heldentum propagierende männliche, romantisierende weibliche Perspektive (shoujo = jap. junges Mädchen) bis hin zu gewaltverherrlichenden oder pornografischen ("Hentai" = jap. pervers) Darstellungsweisen variiert. Ihnen allen gemein ist das fehlende Streben nach Realität, die bewusste Stilisierung als ästhetisches Grundkonzept.
Jenseits der Schwerkraft
Die Hauptfiguren vieler Animes sind trotz ihrer Stärke zugleich als zerbrechliche Helden dargestellt, die ein Gewissen haben und durchaus auch scheitern, ja sogar umkommen können. Animes halten sich nicht an physikalische Gesetze. Die Starken sind übermenschlich stark, schnell, geschickt und kennen keine Schwerkraft.
Zum Glück ist auch die Physis der Opfer von Gewalt keinen Naturgesetzen unterworfen. Selbst gemeinste, brutalste Schläge werden nach anfänglichem schmerzverzerrtem Ausdruck, zumeist relativ unbeschadet überstanden. Stirbt ein Held oder eine Heldin, so laufen im Moment des Todes auch schon mal ganze Schlüsselszenen des Lebens im Eiltempo vor dem inneren Auge vorbei. Im Sekundentakt begreift man, warum es zum Tod kommen konnte (oder musste), warum der Bösewicht so böse, der Gute so gut wurde.
Alle Gefühlsregungen sind übergroß, Linien, Pfeile und Sterne erleichtern auch dem unsensiblen Zuschauer die Wahrnehmung, selbst Angst oder Stress werden gerne durch tennisballgroße Schweißtropfen unterstrichen. In vielen Serien sind gerade Mädchen durch magische Kräfte übernatürlich stark und kämpfen für hohe moralische Werte.
Die Zeit wird je nach dramaturgischen Notwendigkeiten beliebig gedehnt oder gerafft. Unter Pädagogen sind vor allem die brutalen Darstellungen einiger Animes umstritten - auch wenn natürlich fortgeschrittene Theorien auch darauf verweisen, dass die Bewältigung von Konflikten und Ängsten durchaus auch in animierten Fantasiewelten stattfinden kann. Sicherlich ist hier auch eine gewisse Nähe zu den asiatischen Traditionen im Kampfsport anzutreffen. Letztlich ist es dann auch eine Frage der Drehbücher und ihrer moralischen Haltungen.
Zeige mir deine Haare...
Die Haare sind ebenfalls wichtige Informationsträger. Ihre Farbe signalisiert gemäß Kulturkreis und asiatischer Farbsymbolik eigene Eigenschaften. Die für Asien verbreitete Haarfarbe schwarz signalisiert auch in den Animes Normalität. Besonderheit dagegen bedeuten blonde Haare, diese Figuren sind einfach anders, sind unkonventionell, unschuldig, manchmal auch naiv. Rote Haare stehen für Aktivität oder Aggressivität, grüne Haare für Exotik, Figuren aus einer anderen Welt, die aber meist positiv belegt sind. Blaue Haare signalisieren Ähnliches, stehen jedoch auch für kühle Distanz oder Intelligenz. Lila Haare signalisieren Reichtum, Adel und all die Geheimnisse rund um heimliche Prinzen und Prinzessinnen. Weiße Haare signalisieren das Göttliche oder Übermenschliche.
Kultig
Bekannte Anime-Kinofilme, von denen nur ein Bruchteil außerhalb Japans zu sehen ist, sind: "Akira", "Kaze no Tani no Nausicaa", "Mononoke Hime", "Uchuu Senkan Yamato", "Ghost in the Shell" und "Chihiros Reise ins Zauberland".
Für Viele sind Animes heutzutage Kult geworden. Es gibt Fanclubs in der ganzen Welt, Fachliteratur, Kostüme und Masken zum Nachspielen sowie Computerspiele. Die Anime-Künstler genießen hohes Ansehen, nicht nur in Japan. Der Tod von Tezuka 1989 etwa löste eine große Welle der Trauer weit über die Landesgrenzen hinaus aus. Längst denken auch westliche Animationsstudios darüber nach, Trickfilme auch im Manga-Stil zu produzieren. Man darf gespannt sein, wann es den ersten Disney-Anime geben wird...