Feindliche Übernahme
Märchen waren, bevor sie von Leuten wie den Gebrüdern Grimm aufgezeichnet wurden, stets nur mündlich überliefert und von jedem Erzähler etwas anders ausgeschmückt worden. Sie waren einerseits durch gewisse Eckpunkte gekennzeichnet, ließen aber gleichzeitig genügend Freiräume für Ausschmückungen und Veränderungen. Und so seltsam das klingt, das von Josef Göbbels geführte Reichspropagandaministerium gab Filmproduzenten, Drehbuchautoren und Regisseuren den Auftrag, beliebte Geschichten im Sinne der Nazis umzuschreiben, die Dialoge propagandistisch umzudichten und harmlose Märchenfiguren zu drögen Propagandisten des Nationalsozialismus zu machen.
Das war irgendwie naheliegend, weil Märchen sich irgendwo ins Unterbewusstsein der Menschen eingeprägt haben, in gewisser Weise Lebensratschläge beinhalten, sowie Halt und Orientierung bieten, gerade in unruhigen Zeiten voller Ungewissheit.
Genauer analysiert hat diese Märchenverfilmungen Ron Schlesinger in seiner Forschungsarbeit "Rotkäppchen im Dritten Reich", die auch als Buch verlegt ist. Der NS-Märchenfilm wurde danach vom Propagandaministerium selbst in der Endphase des "Dritten Reichs" als sehr wichtig eingestuft. Dabei war eine der wichtigsten Aufgaben dieser Filme, die Zuschauer in Traumwelten zu entführen, während der Krieg in der alltäglichen Realität tobte. Einige der späten NS Märchenfilme wurden sehr farbenprächtig und fantasievoll umgesetzt. Aus diesem Grunde wurde ihnen teilweise auch das damals gerade erst erfundene einstreifige Agfa Farbfilmverfahren zugestanden, manchmal nur für einzelne Passagen, manchmal für den ganzen Film.
Heil dem Kater!
Interessanterweise waren es nicht die damals größten Produktionsfirmen in Deutschland, wie Ufa, Tobis oder Terra, sondern eher kleinere Produktionsfirmen, welche mit der Verfilmung von etwa zwanzig Märchen beauftragt wurden. Um finanzielle Vergünstigungen zu erhalten, bemühten sich die Produzenten mit allen Mitteln darum, den Nazi-Größen zu gefallen. So bekamen Filme Prädikate wie "Jugendwert", "Volksbildend" oder "Kulturell wertvoll", wenn sie der NS Ideologie hilfreich erschienen, was Steuererleichterungen für die Filmverleihe mit sich brachte. Um das zu erreichen, haben die Filmproduzenten die ursprünglichen Märchentexte teilweise extrem entstellt.
So wird in dem "Gestiefelten Kater" (D 1935) die sprechende Katze am Ende mit "Heil dem Kater Murr! Er ist unser Erretter!" gefeiert, ganz offensichtlich eine tumbe Anbiederung an Hitler. Und in der Verfilmung des Märchens "Die verzauberte Prinzessin" (1939) wünscht der Vater der Hauptfigur Assad seinem Sohn: "Ewig aber ist die Liebe deines Volkes und deiner Rasse! Friede sei mit dir!", Formulierungen aus dem damaligen Nazi-Wortschatz.
In der Verfilmung von Schneewittchen wurde der bei den Gebrüdern Grimm kaum erwähnte Vater mehr in den Vordergrund geholt und erzählt, dass dieser als hoher Heeresführer mit seinen Soldaten in den Krieg ziehe. Und in "Rotkäppchen und der Wolf fanden auch Uniformen mit Reichsadler und Hakenkreuz Eingang in die Kostümauswahl.
Bereits vor den Märchenverfilmungen hatten die Nationalsozialisten die Märchen auch in Buchform grundsätzlich für ihre mystisch-völkischen Ausdeutungen der Vergangenheit vereinnahmt. Es gab es zwar auch in anderen Ländern, dass Märchen für ideologische Zwecke instrumentalisiert wurden, doch unter dem NS Regime wurde dies für die Germanisierungstheorien und Generierung von Feindbildern besonders perfide vorangetrieben.
Überhaupt wurden, wo immer es ging, die Bedeutung der "Volksgemeinschaft", die Wichtigkeit von "harter Arbeit, Gehorsam und Bescheidenheit" sowie die Tugenden "Reinheit, Ordnung und Disziplin" herausgestellt. Es versteht sich von selbst, dass die Rollenmodelle in den Märchen sich an der Familienpolitik der Nazis orientierten. Frauen waren ihren Ehemännern untergeordnet und sollten demütig sein.
An den Filmen haben damals populäre Schauspieler wie Lucie Englisch, Paul Henckels, Marianne Simson, Gustav Waldau u.a. aber auch auch bekannte Filmkomponisten und Kameraleute wie Werner Krien, Bruno Mondi, Fritz Arno Wagner, Karl Puth und Franz Weihmayr mitgewirkt. Zu den Regisseuren der Märchenfilme gehörten Alfred Stöger, Jürgen von Alten und Peter Paul Brauer.
Die Sache mit dem Lügenbaron
Ein Ausnahmefilm unter den Märchenfilmen des dritten Reichs war sicherlich "Münchhausen" (Regie: Josef von Báky, Kamera: Werner Krien) aus dem Jahr 1943, der mit viel größerem Budget von der UFA produziert wurde. Hier schlugen allerdings einige Kreative zurück, und nutzen die "Auslegbarkeit" der Märchen in einem andern Sinn. Allen voran der Drehbuchautor Erich Kästner, der nur unter dem Pseudonym Bertold Bürger schreiben durfte. Er schmuggelte unter die Dialoge diverse versteckte Naziregime-kritische Formulierungen, die vom Kinopublikum durchaus verstanden wurden.
So sagt etwa der Baron Münchhausen, gespielt von Hans Albers in einer Schlüsselszene zum Grafen Cagliostro "In einem werden wir zwei uns nie verstehen. Sie wollen herrschen, ich will leben. Abenteuer, Krieg, fremde Länder, schöne Frauen, ich brauche das alles. Sie aber missbrauchen es." In einer anderen Szene ließ Erich Kästner Casanova sagen: "Venedig ist im Karneval ein gutes Versteck, seien Sie aber trotzdem vorsichtig. Die Staatsinquisition hat zehntausend Augen und Arme, und sie hat die Macht, Recht und Unrecht zu tun, ganz wie es ihr beliebt.“
Über die genaue Ausdeutung sind sich die Filmhistoriker uneinig, viele Zuschauer damals erkannten darin jedoch klare Anspielungen auf den NS Machtapparat und das Überwachungssystem der Gestapo.
Bis in das letzte Kriegsjahr hinein wurden diese und andere Filme in der Zeit des Nationalsozialismus gedreht. Filmgeschichtlich blieben die NS Märchenfilme bis auf "Münchhausen" bedeutungslos, zu banal ihre Umsetzung und zu durchschaubar die ideologischen Manipulationen.