Das Wesentliche
Maler früherer Jahrhunderte, die bemüht waren, in ihren Bildern möglichst eindrückliche Momente festzuhalten, haben sich über jede Person, jedes Objekt gründlich Gedanken gemacht und nur das auf die Leinwand gebracht, was für den gewünschten Bildeindruck wichtig war. Alles andere wurde weggelassen. Vieles davon, was die Maler damals herausgefunden haben, gilt auch heute noch für den Film und die Fotografie. Der Bildausschnitt (Kader/Frame) eines Films bedeutet auch stets eine Entscheidung, was man zeigen möchte und was nicht. Und das nicht nur durch Verschieben der Kadrage, des Ausschnitts, sondern auch durch Hinzufügen oder Weglassen von Objekten und Personen.
All die Diskussionen über geringe Schärfentiefe und wie man diese erreicht, befassen sich letztlich mit der Frage, wie kann man Personen und Objekte möglichst so von einem möglicherweise unruhigen Bildhintergrund abheben, dass sich die Zuschauer*Innen nur auf diese konzentrieren. Die vielleicht einfachste Methode, im Bild vorhandene Ablenkungen weniger störend wirken zu lassen. Beim professionellen Film geht man natürlich viel weiter. Man gestaltet die Motive, an denen man dreht meistens um und man versucht auf vielen Ebenen die Konzentration auf das Wesentliche,- meistens sind dies die Filmfiguren zu erhöhen.
Klarheit öffnet Freiräume
Man sollte also für eine klare, gut erkennbare Bildstruktur und einen leicht zu erschließenden Bildaufbau sorgen. Dann können die Zuschauer den Inhalt ohne Mühe und sadurch sofort entschlüsseln. Möglichst wenige und vor allem eindeutige Formen machen ein Bild meistens attraktiver als undefinierte Konturen oder Linien. Wenn sich solche, etwablierten Formen im Bild aber wiederholen, kann es die Bildwirkung sogar erhöhen.
Nie vergessen darf man, dass die Zuschauer ja nie nur das erkennen, was sie im Bild sehen. Einen Film zu sehen ist stets eine Mischung aus tatsächlicher visueller und akustischer Wahrnehmung und unserer Vorstellungskraft. Eine klare Bildsprache lässt Freiräume für die Fantasie der Zuschauer. Wir können, wenn die Bildinformationen nicht zu überfrachtet, nicht zu komplex zu dechiffrieren sind, eigene Erfahrungen in Form eines imaginären Szenarios mit in unser Filmverständnis einbeziehen. Das, was wir sehen und hören kann auf diese Weise in unsere Vorstellungskraft eingebettet werden.
Gar nicht selten waren Zuschauer sich einig darin, bestimmte Dinge gesehen zu haben, ohne dass sie tatsächlich im Film gezeigt wurden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Hitchcocks berühmte Duschszene in Psycho. Es gibt keine Aufnahme, wo man sieht, wie Norman Bates sein Opfer tatsächlich ersticht. Das ist ein sehr spektakuläres Beispiel, in den meisten Fällen funktioniert die Imagination natürlich viel subtiler.
Vorteile
Eine klare Bildsprache hilft, die Aufmerksamkeit des Publikums zu lenken. Das bedeutet nicht, dass Bilder flächig sein müssen, dass man Personen nur vor einfarbigen Hintergründen zeigt. Es bedeutet vielmehr, dass die Gestalt des Bildes stets der Aussage, die man treffen möchte, dienen sollte. Durch eine gewisse Klarheit und Einfachheit sind die Zuschauer in der Lage, sich besser auf die wichtigsten Elemente der Handlung, der Filmfiguren und der Aussage des Films zu konzentrieren ohne von überflüssigen Bildinformationen abgelenkt zu werden.
Dies fördert deutlich die Verständlichkeit einer Filmstory macht die Filmhandlung zugänglicher und intensiviert die emotionale Kraft eines Filmes. Komplexe oder überfrachtete Bilder irritieren möglicherweise die Zuschauer. Eine reduzierte, klare Bildsprache hilft, eine tiefere Verbindung zwischen den Zuschauern und den Filmfiguren herzustellen.
Außerdem kann eine klare Bildsprache helfen, einem Film einen einheitlichen, prägnanten visuellen Stil zu geben. Die Zuschauer entdecken leichter und schneller, man erhöht also die Effektivität der Visualisierung, was sinnvoll ist angesichts begrenzter Erzählzeit im Film. Bewusst gesetzte symbolische Bildelemente werden leichter erkannt und helfen bei der Vermittlung von Informationen.
Einige Regisseur*Innen haben die visuelle Reduktion auf die Spitze getrieben, so etwa Stanley Kubrick mit seinem "2001: Odyssee im Weltraum" (1968) Kubrick war für seinen minimalistischen visuellen Stil bekannt.
Previsualisierung hilft
Über viele Jahrzehnte hinweg haben Regisseur*Innen und Szenenbildner*Innen all das, was sie im Film visualisieren wollten, gemeinsam entwickelt. Sie erfanden all das, was die Filmbilder zeigen sollten zeigen, in gemeinsamer Diskussion, Planung und hielten es in Form von Skizzen fest. Praktisch alle großen Filmarchitekten des 20ten Jahrhunderts, wie Robert Herlth, Walter Reimann oder Ken Adam haben ihre Visionen in Form von Skizzen festgehalten. Das Anfertigen von Skizzen stellt immer auch eine Abstraktion dar, eine Reduktion auf das Wesentliche, welches auch zu einer größeren Klarheit in der filmischen Umsetzung führte.
Wie so oft, ist die Reduktion aufwändiger. Man kennt das aus der Literatur, etwas ausführlich zu erklären ist einfacher, als es in nur ein, zwei Sätzen auszudrücken. Um seine visuelle Grammatik zu reduzieren, müssen kreative Lösungen gefunden werden. Dieser Vorgang zwingt Regisseur*Innen und Kamerleute dazu, intensiver darüber nachzudenken, auf welche Weise sie mit der Bildsprache umgehen wollen. Letztlich verbessert das die visuelle und erzählerische Kraft eines Filmes.
Mut zur Reduktion
Die Wirklichkeit ist voller Strukturen und Details, viele davon können die Konzentration auf die Filmfiguren und die Handlung reduzieren. Schlimmer noch, manche Ausstatter*Innen bzw. Requisiteur*Innen wollen Räume möglichst lebendig und authentisch wirken lassen, indem sie sie mit zahlreichen Gegenständen vollstopfen und die Wände mit allerlei Bildern, Zetteln und Postern füllen. Manchmal kann das zur Charakterisierung einer Person oder Situation beitragen, kann eine Erzählebene sein, um innere Vorgänge und subtile Emotionen zu vermitteln. Der Raum, Ausstattung und Requisiten sind damit Teil einer visuellen Sprache, die wie ein visueller Subtext vermitteln kann, was zwischen den Filmfiguren unausgesprochen bleibt. Insofern sollte jedes Detail was im Filmframe sichtbar wird, wohl überlegt sein,- oft genug aber ist es unreflektiert und rein zufällig ins Motiv platziert worden.
Gar nicht selten fehlt in den Vorlaufphasen für Drehs die Zeit für Motiv,- und Requisitenabnahmen. Im täglichen Drehstress gerade bei immer kürzer werdenden Drehzeiten hat man nicht immer die Zeit, jedes Motiv sorgsam zu überprüfen, man verlässt sich darauf, dass die anderen Gewerke die eigene Vison teilen. Doch das ist leider nicht immer der Fall. Gerade Requisiteure haben manchmal eher eine starke Neigung, Dinge sicherheitshalber zu beschaffen und weil deren Kauf oder Miete ja irgendwie gerechtfertigt sein soll, auch unbedingt im Bild zu platzieren. So kann es durchaus vorkommen, dass eine Vase oder Lampe, die man in einer Szene rausgeschmissen hat, einem an einem anderen Motiv wieder begegnet. Dort lässt man die gleichen Teile erneut entfernen, bis sie einem an einem weiteren Drehort auf wundersame Weise wieder vorgesetzt werden.
Manche Regisseure, aber auch Kameraleute haben glücklicherweise ein untrügliches Gespür dafür, wie man klare Bilder schafft, welche ausschließlich der Filmhandlung dienen. Sie lassen fehlerhafte oder ablenkende Details aus dem Bild entfernen und versuchen, klare Bildhintergründe zu schaffen.