Drehbücher sind eine wichtige Grundlage dafür, dass Zuschauer*Innen sich für die daraus resultierenden Filme interessieren. Wie bei einer Reise legen sie die Route fest, die auf dem Weg zum Ziel gefahren wird. Das Ziel ist, um bei diesem Vergleich zu bleiben, natürlich der Höhepunkt und kurz darauf das Ende des Filmes. Starke Filme brauchen stets eine Vorwärtsbewegung, etwas was sich kontinuierlich weiter entwickelt und auf diesen Höhepunkt hin zusteuert.
Natürlich stellt sich schnell die Frage, wodurch diese Vorwärtsbewegung in einem Film ausgelöst wird, was es tatsächlich ist, das die Zuschauer*Innen neugierig macht, zu erfahren, wie die Geschichte wohl ausgehen wird. Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Elementen, die diesen Sog, der einen in der Filmhandlung hält, auslösen, zwei aber sind so grundlegend und so unterschiedlich, dass sie wie eine Grundsatzentscheidung einen Film entscheidend prägen.
Dabei geht es um die grundsätzliche Frage, ob eine Filmgeschichte durch die Charaktere (character-driven) oder durch die Handlung (plot-driven) angetrieben werden sollte.
Character-Driven vs. Story-Driven
Wenn überzeugende Filmfiguren erzählt werden, sind die Drehbücher immer Character-Driven. Was bedeutet das? Diese Frage beschäftigt viele Filmschaffende, weil die allermeisten Filme die produziert werden, gerade das nicht sind, sie sind Story-Driven. Allen voran die Blockbusterfilme wie Marvels "Avengers".
Dort geht es eigentlich immer um Abläufe, Geschehnisse und Handlungen, die einfach nacheinenander passieren, für die inneren Befindlichkeiten aus denen diese möglicherweise erwachsen könnten, bleibt da kaum Zeit. Seit einigen Jahren kann man beobachten, dass die charakterorientierten Filme im Mainstream Kino und Fernsehen immer seltener werden.
Wenn das Geschehen nicht mehr aus den Figuren heraus entsteht, wenn sie nicht mehr nach und nach Schichten von sich selbst abstreifen, um nach und nach immer mehr die Wahrheit zu enthüllen, werden die Figuren zu Oberflächen. Schauspieler haben in Mainstream Filmen kaum Möglichkeiten, eine emotionale Tiefe zu erreichen. Es geht nicht mehr darum, Charaktere zu entwickeln und sichbar werden zu lassen, - die Geschichten müssen stattdessen einfach nur abgearbeitet werden.
Bei Filmen, die auf Comics basieren, ist das sicher kein Problem, weil auch die Vorlagen eher holzschnittartig erzählt sind, doch je nach Genre kann es wichtig sein, darauf zu achten, dass die Filmfiguren eine gewisse Tiefe haben und nicht nur Oberflächen sind.
Spannend oder Anspruchsvoll?
Man muss sich bei der Entscheidung, welche erzählerischen Mittel besser sind, stets das Thema, das Genre und die Zielgruppen des Films genauer anschauen.
Es gibt kein generelles Richtig oder Falsch. Bestimmte Genres wie etwa Action-Kino verlangen nach möglichst vielen, möglichst spektakulären Ereignissen,- da bleibt für sensible Reisen in die Innenwelt von Protagonisten kaum Platz bzw. Zeit. Diese Filme verlangen nach einem hohen Erzähltempo, das Eintauchen in eine Charakterstudie wäre wie eine Vollbremsung.
Auch das Publikum muss man im Auge haben,- Es gibt Zuschauer, die wollen sich schlicht nicht mit Psychogrammen von Filmfiguren auseinandersetzen. Es ist ihnen zu anstrengend, sie wollen den Film ohne allzuviel eigene Beteiligung beim Entschlüsseln der Story einfach nur konsumieren. Wenn man keine großen Erklärungen liefern muss, sind schnelle und spannende Handlungsabläufe, wie man sie beispielsweise in einem Thriller, Action, Mystery, Science Fiction Abenteuer benötigt, oder aufwendige Fantasiewelten verlangt, spricht alles für Story-Driven. Die Art der Geschichte und die gewünschte Wirkung auf die Zuschauer sind in diesem Fall klare Argumente für diesen Aufbau. Was bleibt, ist eine gewisse Gefahr, dass die Figuren oberflächlich und eindimensional wirken.
Filme die Charakter-Driven erzählen, verlangen mehr Aufmerksamkeit oder Beteiligung von den Zuschauern. Sie benötigen reiche, interessante, tiefgründige Filmfiguren und verfolgen deren Entwicklung im Verlauf der Handlung. Dafür ist es notwendig, ihre inneren Beweggründe (Motivation), ihre Persönlichkeitsstruktur und die Gefühlsebene genauer zu betrachten. Dies schafft die Grundlage für glaubwürdige, realistische Charktere und die genaue Betrachtung menschlicher Beziehungen. Wenn man seine Filmfiguren interessant und vielschichtig entwirft und sie bedeutsamen Wünschen, Verlangen, Sehnsüchten folgen, können daraus spannende Filme resultieren. Schafft man es aber nicht, solche Figuren zu erschaffen, wirken die Figuren uninteressant und der Film wird vermutlich als langweilig empfunden.
Beide Welten
Wenn denn beide Antriebsaggregate ihre Vor,- und Nachteile haben, so sollte es doch möglich sein, ihre jeweiligen Vorzüge in einem Film zu vereinen. Natürlich eignet sich nicht jede Geschichte dafür, doch es gibt tatsächlich viele Filme, die genau das getan haben, nämlich eine überzeugende Charakterentwicklung mit einer spannenden Handlung zu verbinden.
Was Serien angeht, so sind solche, in denen viele Ereignisse sich aneinander reihen und es viele überraschende Wendepunkte gibt, meist eher Plot-Driven. "Breaking Bad" (2008-2013), "Game of Thrones" (2011-2019), "Stranger Things", "Westworld" oder "True Detective" sind Beispiele, die man als mehrheitlich Plot-Driven bezeichnen könnte.
Als eher Character Driven kann man "The Sopranos" (1999-2007), "Mad Men" (2007-2015), "Fleabag" (2016-2019), "The Marvelous Mrs. Maisel" oder "This Is Us" u.v.a. bezeichnen. Hier liegt der erzählerische Schwerpunkt auf der Entwicklung und Vertiefung der Charaktere.
Im Serienbereich etwa war "Sex Education" ein gutes Beispiel für die gelungene Zusammenführung beider Erzähltechniken. Im Kino gelten Filme wie "Der Pate" (The Godfather), "Inception", "Forrest Gump" oder auch "Fight Club" als gelungene Beispiele für ausgewogene Plot,- und Character gesteuerte Dramaturgien.
Leider gibt es aber auch Filme, Serien und Reihen, die dies nur vorgeben. Da wird dann ein paar wenigen Hauptfiguren eine minimale Pseudo-Tiefe gegeben, indem man jedem ein schicksalhaftes Ereignis aus der Vergangenheit anheftet, was dann genügen soll, sie über 90 Minuten oder gar mehrere Serienfolgen und Staffeln hinweg ab und an zwischen den Plot-Driven Ereignissen traurig innehalten zu lassen. Diese Figuren machen aber keine wirkliche Entwicklung durch, sondern sind am Ende eigentlich die selben, die sie auch zu Anfang waren.