Anfänge
War man in den frühen Tonfilmzeiten glücklich, Ton überhaupt aufnehmen und über Lautsprecher hinter der Kinoleinwand wiedergeben zu können, wurde bereits in den 40er und 50er Jahren mit Stereo und später Mehrspurverfahren etwa bei 70mm Filmkopien das räumliche Hören mehr und mehr bedient. Das hat vor allem damit zu tun, dass wir Menschen obwohl wir nur zwei Ohren besitzen, präzise räumlich hören und orten können. Dank der Form unserer Ohren, dank der Schallreflexionen und der unterschiedlichen Dauer, bis ein Schallereignis auf das linke bzw. rechte Trommelfell trifft, kann unser Gehirn die Richtung ziemlich genau bestimmen.
Der Weg ging dann über Quadrofonie und 5.1 bzw. 7.1 Surround bis hin zu Dolby Atmos immer mehr zu Rundum-Beschallung, allerdings waren entsprechende Aufnahmesysteme rar. Meist wurde die Surround-Klangkulisse erst im Tonstudio bei der Filmmischung produziert. Aufgenommen wurden die meisten Töne zumeist in Stereo und in wenigen Ausnahmefällen mit abenteuerlichen Mikrofonaufhängungen und Aufnahmeverfahren.
Einige Vordenker rund um den britischen Audio-Entwickler Michael Gerzon arbeiteten bereits vor Jahrzehnten an sogenannten Ambisonics Systemen, die allerdings in der damaligen analogen Audiotechnik kompliziert in der Anwendung waren. Die Verfahren wurden bereits in den60er und 70er Jahren entwickelt, allerdings fehlten damals noch die Prozessoren und die Rechenleistung um sie komfortabel anwenden zu können. Vor allem fehlte Ambisonics der Hype einer sinnvollen Anwendung. Niemand brauchte Rundumton damals so wirklich.
Im zweiten Anlauf...
Das hat sich mit VR schlagartig geändert. Das 360 Grad Medium verlangt geradezu nach einer entsprechenden akustischen Entsprechung. So haben diverse Mikrofonhersteller plötzlich Lösungen aus den Schubladen hervorgekramt, welche den Wunsch nach Dreidimensionaler Tonaufnahme bedienen.Der Umstand, dass viele der bereits vier Jahrzehnte alten Patente längst abgelaufen sind, macht es für die Hersteller zudem kostengünstiger, derartige Mikrofone herzustellen.
Diese Lösungen bestehen in der Regel aus einer Anzahl von Mikrofonkapseln, (mindestens 4) welche den Ton aus allen Richtungen einfangen. Von der Theorie her handelt es sich um eine Erweiterung der MS Stereophonie um die Dimensionen Vorne Hinten / Oben Unten. Dabei müsste man eigentlich einen Druckempfänger mit Kugelcharakteristik (W-Kanal) kombinieren mit drei Druckgradientenempfängern mit Achtercharakteristik (Kanäle X, Y und Z), welche dafür zuständig sind, Links-Rechts, Vorne-Hinten sowie Oben-Unten zu erfassen. Soweit die Theorie, doch leider ist es in der Praxis fast nicht möglich, all diese Mikrofonkapseln so anzuordnen, dass sie möglichst eng zueinander angeordnet sind (koinzident) ohne sich gegenseitig beim Schallempfang akustisch abzudecken.
Aufbau
Aus diesem Grunde arbeitet man mit statt der theoretisch optimalen Kombination mit einer anderen Anordnung. Dabei werden vier Mikrofonkapseln mit Nierencharakteristik in Form eines Tetraeders angeordnet. Damit das gelingt, müssen die Kapseln tetrahedral angeordnet und möglichst gut aufeinander abgestimmt,- will sagen über das gesamte Frequenzspektrum hinweg möglichst ähnlich sein. Dann sind sie recht phasenstabil und erlauben es, in der Postproduktion praktisch jede Richtung virtuell anzusteuern. Das daraus resultierende Vier-Kanal Signal nennt man A-Format. Damit es Ambisonic-Sound wird, muss dieses erst in einem Software-Decoder in das eigentliche Ambisonics-Signal (B-Format) gewandelt werden. Die Tonsignale wiederum werden also über eine Spezialsoftware so kodiert, dass sie für Rundum-Tonformate (am häufigsten: FuMa und AmbiX, welches fortschrittlicher ist.) verwendbar sind. (Ambisonics)
Diese Technik hat vermutlich auch deshalb einen Boom erfahren, weil es inzwischen preiswerte Microprozessoren gibt, welche das kodieren und dekodieren übernehmen. Was vor allem Bestechend an dem Verfahren ist,- in den vier Kanälen werden alle Richtungs,- und Lautheitsinformationen aufgenommen,- welches Format man dann später daraus abmischt, bleibt jedem selbst überlassen. Von Mono über Stereo bis hin zu 360 Grad ist alles möglich. Damit sind diese Mikrofone eben nicht bloß exotische VR-Tonaufnahmekapseln, sondern universelle, maximal flexible Aufnahmen räumlich akustischer Atmos.
Mikrofone
Jahrzehntelang waren die Mikrofone, welche Michael Gerzon in seiner Firma Soundfield entwickelt hatte und die der britische Mikrofonhersteller Calrec baute, die einzigen weltweit. Mit dem Aufkommen von VR brachten andere Hersteller wie Sennheiser und Rode neue Ambisonics Mikrofone auf den Markt. Der Kompaktrekorder-Hersteller Zoom hat mit seinem H3-VR neben einer Ambisonics Mikrofonanordnung auch gleich den passenden Digitalrekorder kombiniert.
Um es gleich vorweg zu nehmen, gute Ambisonics Mikrofone sind recht teuer und für den spezifischen Zweck besonders geeignet, nicht aber für alle Einsatzbereiche. Sie haben keine spezifische Richtwirkung. Außerdem produzieren sie große Dateien, man braucht also vergleichsweise viel Speicherplatz. Ambisonics-Aufnahmen sind sehr sensibel, was Positionsänderungen, Drehungen oder gar Bewegung des Mikrofons bei der Aufnahme angeht. Fehler in diesem Bereich müssen aufwändig nachgearbeitet werden.
Da gibt es natürlich die Platzhirschen, die anerkannt professionellen Werkzeuge wie etwa Sennheisers Ambeo System, doch es gibt auch Rǿde, die ebenso hohe Qualität für weniger Geld anbieten.
Rǿde NT-SF1
Das Mikrofon des australischen Herstellers ähnelt dem Sennheiser Ambeo sehr, kostet aber deutlich weniger. Interessanterweise hatte Rǿde mit dem Aufkauf des Pioniers der Rundumtonaufnahme, der Firma Sound Field sich jede Menge Entwicklungsarbeit mit eingekauft.Kein Wunder also, dass wenige Jahre nach dem Aufkauf, das Rǿde NT-SF1 auf den Markt kam und das mit einem Kampfpreis von knapp 1100,- Euro inklusive Korb,- und Fellwindschutz. Die Rǿde Kapseln klingen sehr gut und sind auch sehr gut aufeinander abgestimmt. Das zugehörige Dekodierungs-Tool, das Soundfield by RØDE Plug-In ist im Preis ebenfalls enthalten. Eine klare Empfehlung.
Enthalten im Set sind auch ein Windschutz sowie Shockmount und das SoundField Plugin, welches mit vielen Workstations wie ProTools, Cubase, Logic Pro, FinalCutPro etc. zusammenarbeitet. Das Plugin VST/AAX/AU kann man auch auf der Herstellerseite downloaden. Wenn man weiß, was so ein Korbwindschutz alleine als Zubehör kostet, wird einem das Gesamtpaket noch sympathischer.
RØDE i16
Eine spezielle Lösung für iphone Besitzer. Ganze 16 Kapseln werden über die Lighting Buchse an das Handy angeschlossen. Mit Hilfe einer App kann man in 24 BitSurround aufnehmen.
Sennheiser Ambeo
Das aus vier Kondensator-Mikrofonkapseln zusammengesetzte Mikrofon bietet die bekannt herausragende Qualität, ist aber mit rund 1600 Euro nicht gerade preiswert. Die Tonsignale werden über ein einziges Kabel mit einem Spezialstecker mit dem Mikrofon verbunden. Für die Postproduktion verwendet man dann das Sennheiser eigene Ambeo-Plugin, welches mit den wichtigsten Audio Workstations zusammenarbeitet, um die Aufnahmen vom A-Format in das B-Format zu wandeln. Hier muss man auch angeben, wie das Mikrofon bei der Aufnahme befestigt war, stehend oder hängend. Auch die genaue Ausrichtung des Mikrofons lässt sich im 360 Grad Raum feintunen.
Beim Sennheiser gibt es auf dem Mikrofongehäuse einen Aufdruck "Front" und "Up", diese dienen als Orientierung für die Ausrichtung des Mikrofons. Doch das ist nicht zwingend notwendig, weil man den Ton ja in der Postproduktion beliebig drehen und neu ausrichten kann. Wenn man sich daran hält und beispielsweise bei Musikaufnahmen die Front-Markierung Richtung Musiker dreht, kann die Ausrichtung in der Postproduktion entfallen.
Spatial Mic
Das Spatial Mic von Voyage Audio, einem amerikanischen Hersteller, verwendet gleich acht Mikrofonkapseln im Array und gehört damit zu den Ambisonics-Mikrofonen zweiter Ordnung. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ambisonics Mikrofonen, welche über Spezialstecker die separaten analogen Signale an externe Recorder weitergeben, besitzt dieses Mikrofon interne Digitalwandler und gibt das Signal entweder über ein ADAT Kabel oder über USB aus. Das reduziert die Anzahl bzw. das Gewicht und den Umfang der Kabel, doch nicht jeder Profirecorder besitzt solche Eingänge. Dafür kann man mit fast jedem Notebook recorden. Über USB können Abtastraten von 44,1 kHz, 48 kHz, 88,2 kHz und 96 kHz ausgegeben werden, über ADAT (vermutlich weil es eine ältere Schnittstelle ist) lediglich 44,1 kHz und 48 kHz. Preislich ist es trotz der höheren Anzahl an Kapseln mit etwa 1030,- € günstiger als Sennheisers Ambeo und Rǿdes NT-SF1.
Hear360
Das System arbeitet gleich mit acht Kanälen und kostet 2500,- Euro. Jeweils zwei einzelne Kapseln sind nebeneinander angeordnet und durch eine kleine Kunststofferhebung akustisch abgeschirmt. Damit werden theoretisch vier Ohrenpaare simuliert. Das Gehäuse ist keine geschlossene Kugel, sondern eher eine Art Ring, in der Mitte kann eine Stativsäule durchgeführt werden, wodurch es sehr leicht unterhalb einer VR Kamera am Stativ angebracht und weitgehend verborgen werden kann. Klinkenbuchsen auf der Unterseite dienen als Mikrofonanschlüsse.
Zylia
Dieses Mikrofon Array arbeitet gleich mit 19 Mikrofonkapseln gleichzeitig und wird über USB mit einem Computer verbunden.
Zoom H3-VR
Das Zoom ist zugleich Mikrofon und Rekorder und damit im Handling sicherlich die einfachste Lösung. Man muss davon ausgehen, dass ein Gerät, welches gerade mal 360 Euro kostet, weniger hochwertige Mikrofonkapseln besitzt und auch die Vorverstärker des Rekorders haben so ihre Rauschanteile... Es gibt auch Anwender, die beklagen, dass die Mikrofonbefestigung klappert, wenn das Gerät bewegt oder erschüttert wird. Es sollte deshalb eher statisch aufgestellt werden. Auch ist es nicht entkoppelt (es gibt keine Schwinghalterung), deshalb ist es sehr empfindlich gegen Körperschall.
Es besitzt eine eigene Richtungskennung, man muss ihm vor der Aufnahme eingeben, ob man das Gerät stehend oder hängend verwendet. Eine integrierte Wasserwaage hilft bei der korrekten Ausrichtung. Aufgenommen wird auf einer Micro SD Karte. Das Gerät kann sogar intern vom A Format in das B Format wandeln. Schließt man einen Kopfhörer während der Aufnahme an, sollte man wissen, dass das Kopfhörerkabel Körperschall Störungen erzeugen kann.
Anwendung
Man muss sich darüber im klaren sein, dass vier professionelle Kondensator-Mikrofonkapseln auch eine ganze Menge Strom brauchen. Das Rode sogar noch etwas mehr, als das Sennheiser, dafür ist das Rode minimal rauschärmer. Und auch die Verkabelung ist nicht ohne. Immerhin müssen gleich vier Mikrofonsignale symmetrisch per Kabel möglichst verlustfrei an einen Rekorder weitergegeben werden. Dafür legen die diversen Hersteller jeweils eigene Kabelpeitschen bei, welche aus einem kombinierten Stecker, der in das Mikrofon führt, vier separate Mikrofonkabel mit XLR Steckern herausführen.
Wer nun meint, das seien aber schon ganz schön viele Mikrofonkapseln, dem sei gesagt, dass das Ganze durchaus skalierbar ist. Es gibt auch Ambisonics höherer Ordnung mit deutlich mehr Mikrofonkapseln, etwa mit Acht (Ambisonics zweiter Ordnung) oder Sechzehn (Ambisonics dritter Ordnung). Das erhöht die räumliche Auflösung, aber auch die Datenmengen. Vier Kapseln ("First Order Ambisonics") sind das Minimum und vermutlich auch die praktikabelste Lösung.
Aufstellung
Grundsätzlich sollten die Mikrofone möglichst nah an der VR Kamera und auch in etwa in deren Höhe platziert werden. In vielen Fällen kann man es nicht wirklich unsichtbar machen, schließlich ist auch das Kamerastativ immer im unteren Bildteil in der Aufnahme. Man sollte aber darauf achten, dass das Mikrofon, wenn es denn schon sichtbar ist, nur in einem unwichtigen Teil des Bildes zu sehen ist, vorzugsweise ein unbeweglicher Boden, den man in der Postproduktion dann leicht austauschen kann. Das gilt natürlich auch für das Aufnahmegerät, denn außer dem Zoom H3-VR benötigen ja alle Mikrofone auch noch einen Rekorder. Bei bis zu 8 Spuren und professioneller Ausstattung kann dieser auch recht groß ausfallen. Den Rekorder also auch möglicht zwischen die Stativbeine stellen.
Ein runder, großer (Fell) Windschutz ist für Außenaufnahmen zu empfehlen. Wie bei jeder anderen Aufnahme macht man erst eine Tonprobe um den Pegel einzustellen. Die Spitzen sollten in einen Bereich zwischen -12 dB und - 6 dB reichen, damit man noch genügend Headroom für Unerwartetes hat. Da man in VR vor allem Erfahrungen anderer Orte vermittelt, hören die Betrachter besonders gut hin. Rauscharme Mikrodfonverstärker sind deshalb Pflicht, sonst wird die virtuelle Illusion in eher ruhigen Situationen durch ein hörbares Grundrauschen getrübt.
Was es sonst noch so braucht...
Es versteht sich von selbst, dass die akustische Situation die man da aufnimmt, genauso örtlich gebunden ist, wie die feste Kameraposition der VR Kamera. Und man darf nicht vergessen, dass sie vor allem räumliche Atmosphären einfangen, also im Prinzip das, was wir an Filmsets als "Atmo" bezeichnen. Will man in VR auch bestimmte Personen oder Tonereignisse präsenter aufnehmen, benötigt man, genau wie beim konventionellen Filmset, zusätzlich präsentere Töne. Hierfür verwendet man sogenannte Stützmikrofone. Nein, das sind keine Anderen, als die, die wir vom Filmton bereits kennen, der Begriff "Stützmikrofon" bezieht sich lediglich auf dessen Aufgabe in Zusammenhang mit der Tonmischung. Also wenn Personen in Ihrem VR Video sprechen, dann sind Ansteckmikrofone ein Muss. Diese können über Funkstrecken oder auch Mini-Rekorder übertragen bzw. aufgezeichnet werden.
In der Postproduktion braucht man auf jeden Fall ein Programm bzw. Plugin, welches das Format von A zu B wandelt und mit dem die notwendigen Richtungsparameter festgelegt werden können.