Bereits im vergangenen Jahrhundert, genauer gesagt in den zwanziger Jahren, haben Psychologen, Grafiker und Künstler sich Gedanken darüber gemacht, wie wir Menschen Bilder dechiffrieren. Unsere Augen registrieren zwar eine große Menge Details, doch unser Gehirn versucht, diese möglichst effizient zu verarbeiten. Dafür besitzt das Gehirn eine Menge antrainierter, erlernter Mechanismen, die helfen, das Erkennen einer Situation zu beschleunigen
Viele Wahnehmungsphänomene, die als "Gestaltgesetze" bezeichnet werden, hängen mit diesen Vereinfachungs-Techniken unseres Gehirns, bzw. Seherfahrungen zusammen. So etwa das Gesetz der Vertrautheit, nachdem wir bestimmte Seherfahrungen, wie etwa ein Stuhl oder ein Baum aussieht, nutzen um neue Eindrücke schneller und vor allem unaufwändiger verstehen zu können.
Bei den Gestaltgesetzen geht es vor allem darum, warum und wie der Mensch bestimmte Einzelteile zu einer Gesamtfigur oder Gestalt zusammensetzt bzw. als solche interopretiert. Je nach Gestalttheoretiker schwankt die Zahl der beobachteten Phänomene gewaltig, wir stellen hier ein paar der wichtigsten Regeln vor.
Sicherlich werden wir in der Bildgestaltung bei Fotografien oder Filmaufnahmen kein Handbuch der Gestaltgesetze zur Hand nehmen und danach arbeiten. Es ist vielmehr so, dass wir sehr viele Dinge intuitiv richtig machen, hinter denen sich Phänomene und Gesetze der Gestalttheorie verbergen.
Figur und Grund
Eine der wichtigsten Theorien besagt, dass unser Gehirn zwischen einer Figur/Gestalt und dem Hintergrund unterscheidet. Diese Figur/Gestalt wird vom Gehirn besser wahrgenommen und von unserem Gedächtnis stärker memorisiert, als der Hintergrund, vor dem sich diese Figur/Gestalt befindet. Dabei ist es gleichgültig, ob wir durchgängig die Figur sehen oder teilweise nur Konturen. Entscheidend ist, dass der Hintergrund uns diffuser und ungeformter vorkommt, während die Figur, bei unserem Beispiel das Auto, gestaltet ist und eine klare Form besitzt.
Doch weshalb nehmen wir nicht die einzelnen Elemente des Autos, wie die Reifen, die Fenster, die Türen, Griffe etc. sondern das Auto als Ganzes wahr?
Im Grunde genommen versucht unser Gehirn bei der Wahrnehmung ständig, in die vielen Millionen an Helligkeits,- und Farbreizen, die in der Netzhaut unseres Auges aufgenommen werden, einen Sinn zu bringen. Also im Grunde genommen etwas Ähnliches, wie Artificial Intelligence bei der Bilderkennung versucht. Überall dort, wo es starke Veränderungen gibt, etwa in der Helligkeit, der Struktur oder einer Farbe, also dort wo Kontraste sich erschließen, erkennt unser Gehirn Grenzen, welche es nach Möglichkeit zu Formen zusammenfasst. Dies vereinfacht die Informationsverarbeitung.
Gesetz der Symmetrie
Symmetrische Formen oder Elemente (also alles, was links und rechts ode oben und unten an einer gedachten Achse gleich aussieht) werden vom Menschen als gestaltet, geformt empfunden und erfahren aus diesem Grund mehr Aufmerksamkeit. Offensichtlich empfinden Menschen das als harmonisch, als gut geformt.
Symmetrie erfüllt also gewisse Wünsche oder Idealvorstellungen der Menschen, doch im Sinne eines interessanten Filmbildes kann Symmetrie auch langweilig wirken. Der amerikanische Regisseur Wes Anderson" arbeitet in seinen Kinofilmen ("The Royal Tennenbaums", "Gran Budaopest Hotel") gerne mit der Bildsymmetrie, die er nicht nur durch die Kadrage der Kamera, sondern auch durch die Ausstattung nahezu pädantisch durchdekliniert.
Gesetz der Einheit / Harmonie
Wenn einzelne Elemente so angeordnet sind, dass unser Gehirn unsichtbare Verbindungslinien annimmt, so werden diese eigentlich einzelnen Objekte als Zusammengehörig oder sogar als Einheit empfunden.
Gesetz der Ähnlichkeit
Visuell ähnliche Objekte werden von unserem Gehirn oft als Zusammengehörig empfunden. Wenn etwa die Formen oder auch die Farben, die Struktur etc. sich ähneln, verbindet man sie virtuell miteinander. Dies gilt auch für die Anordnung oder Größe. Gemeinsamkeiten sorgen also dafür, dass Menschen Einzeleindrücke miteinander verbinden. Die vielen, stets sehr ähnlichen Blätter eines Baumes werden in unserer Wahrnehmung wie selbstverständlich zu einer ganzen Baumkrone zusammengefügt.
Gesetz der Geschlossenheit
Bestimmte Formen, die uns vertraut sind, wie etwa Kreise, Ovale, Rechtecke oder Quadrate nehmen wir stets als geschlossene Formen wahr, selbst wenn wir sie gar nicht vollständig sehen. Ein Kreis, der etwa etwas über den Bildrand hinausgeht, wird in unserer Vorstellung auch außerhalb des Bildes geschlossen.
Das hat mit unserer Seherfahrung zu tun. Wir schauen nicht mehr jedes Mal genau hin, wie uns bekannte Objekte beschaffen sind, wir greifen auf unsere Erinnerung zu, wenn wir ein Haus oder einen Baum am Bildrand abgeschnitten, in unserer Wahrnehmung einfach ergänzen.
Darüber hinaus gibt es an die hundert weitere Gestaltgesetze, wie etwa das Gesetz der Verbundenheit, das Gesetz der Prägnanz oder auch das Gesetz der Einfachheit. Die genaue Benennung fällt oft schwer, weil bei vielen Bildern mehrere Gestaltgesetze gleichzeitig zur Wirkung kommen und man selten ein Phänomen isoliert betrachten kann.
Die Gestaltgesetze finden auch heute, ein Jahrhundert nach ihrer Entdeckung, bei der Gestaltung von grafischen, fotografischen oder natürlich gefilmten Aufnahmen sowie bei der Textgestaltung, nicht nur im Print sondern auch bei Webseiten, tagtäglich ihre Anwendung.