Steven Soderbergh wirbt begeistert für seinen ersten, nur mit dem Smartphone gedrehten Film "Unsane". Machen Handys die teuren Videokameras überflüsig?
Für Leute ohne größere Kenntnisse über das Filmemachen, für kostenoptimierende Fernsehmacher, Medienhochschul-Controler und sonstige Sparfüchse müssen sich derartige Meldungen geradezu himmlisch lesen. Suggerieren sie doch, dass man eigentlich keine Profikameras mehr für Dreharbeiten benötigt. Was für ein Einsparpotential! Zugegeben, Soderberghs "Unsane" ist nicht der erste mit einem Handy gedrehte Kinofilm, aber erstmals hat ein in der Welt es Films anerkannter Regisseur die Profikamera (bisher bevorzugte er 4K Kameras von RED) gegen das Handy getauscht.
Diese Formulierung erklärt zugleich, weshalb auch Low-Budget Filmer nicht gleich ihr Handy nehmen und alleine mit Schauspieler-inne-n losrennen sollten um den nächsten Blockbuster zu drehen. Der Aufwand, einen Kinofilm zu drehen, ändert sich lediglich in einem Punkt: Man verwendet statt einer dezidierten Videokamera die Kamera eines Handys.
Kino ist mehr als nur die Kamera
Denn auch wie bei den, übrigens an den Fingern einer Hand abzählbaren, anderen Handy-Kinofilm-Beispielen war der gesamte übrige technische Aufwand an Licht, Ton, Sounddesign und Postpro ebenfalls viele Milllionen US Dollar schwer. Und natürlich hat Soderbergh aufwändige Drehorte, Ausstattung, Kostümbild und jede Menge Profi Schauspieler-innen zur Verfügung gehabt.
Hier der offizielle Trailer zum Film:
So wirkt der Film hochwertig und professionell gemacht. Vor allem auch die Tonebene vermittelt einen wertigen, intensiven Eindruck. Wenn man sich die Aufnahmen aus Soderberghs klaustrophobischer Cyberstalking- Geschichte anschaut (soweit der aktuell verfügbare Trailer es wiederspiegelt), wird einem zugleich bewusst, dass die komprimierten, so gut wie immer weitwinklig verzerrten Aufnahmen genau für dieses Genre und diese Geschichte passen.
Wo der Handylook passt
Für die Horrorvision einer jungen Frau, die Zweifel an der Wahrheit und ihrer eigenen Wahrnehmung bekommt und glaubt, den Verstand zu verlieren, passt der Handy-Look absolut. Will man allerdings andere Geschichten erzählen, die nicht die, wegen des winzigen Kamerasensors im Smartphone gigantisch große Schärfentiefe, den permanent durch die Weitwinkeloptik leicht verzerrten Bildeindruck erfordern, relativiert sich die Alternative Handyfilm dann doch recht schnell wieder.
Sicherlich gibt es noch andere Sujets, wo der Handylook passt, etwa wenn man im Stil eines "Blair Witch Projects" die eingeschaltete mitlaufende Zufallskamera erzählen möchte oder vielleicht auch für einen Film über einen Blogger, eine Bloggerin. Und natürlich überall dort, wo professionelle Kameras viel zu auffällig, wenn nicht gar verboten wären.
Das obere, erste Foto zu diesem Artikel ist übrigens nicht mit einem Handy aufgenommen worden, was man an der dichteren Atmosphäre erspüren kann.
Jahrelang haben die Filmemacher die Kamerahersteller gequält, doch endlich große Sensoren in die Kameras einzubauen,- schon vergessen? Plötzlich sollen die winzigen Handy-Sensoren völlig okay sein? Für Einzelfälle vielleicht. Für alle anderen Bildwirkungen und vor allem auch größere gestalterische Möglichkeiten sind hochwertige Kameras nach wie vor unverzichtbar. Die internationale Film,- und Medienindustrie muss also doch nicht all ihr in rund 120 Jahren Filmgeschichte entwickeltes Knowhow verwerfen um fortan aus dem Handgelenk großes Kino zu drehen.