Schneiden eines Abbilds
Ganz gleich, in welchem Verfahren ein Film (nicht Video!) geschnitten wurde: In 95 % aller Fälle wurde nicht das Original, welches durch die Kamera lief, sondern ein Abbild geschnitten. Hätte man das wertvolle und empfindliche Negativ für den Schnitt verwendet, wäre das Risiko viel zu groß, Schäden durch Staub, Kratzer oder Schrammen zu verursachen. Bei einem aufwändigen Film möchte man ein solches Risiko auf keinen Fall eingehen. Üblicherweise werden von dem Original-Negativmaterial extra für den Schnitt am Schneidetisch Filmmuster (Arbeitskopie), bzw. für den Schnitt an einem non-linearen Schnittplatz Videomuster gezogen.
Auf diese Weise kann man recht sorglos mit dem Material (der Arbeitskopie) umgehen und erst, wenn der Film fertig geschnitten ist, wurde anhand der geschnittenen Arbeitskopie und einer Schnittliste (im Fall des Schnitts am Schneidetisch) oder mit Hilfe eines Timecode-Videos sowie einer Edit-Decision-Liste (beim Schnitt im non-linearen Schnittsystem), das Negativ nachgeschnitten.
Inzwischen gibt es praktisch keine Negativcutter mehr, heute wird analoger Film eingescannt und dann digital geschnitten. Dennoch ist es spannend, diesen über ein Jahrhundert üblichen Arbeitsprozess festzuhalten und zu beschreiben.
Bevor der Negativschnitt beginnen konnte...
Die Schnittlisten werden nach erfolgtem Schnitt von der Schnittassistenz oder dem/der Cutter/in anhand der Einstellungsnummern (siehe Synchronklappe und Script) und der Fußnummern auf dem Film, aufnotiert. Fußnummern sind fortlaufende Nummern, die vom Filmhersteller auf den Rand des Rohfilms aufgebracht wurden, damit man jede Einstellung eindeutig wiederfinden kann. Die Fußnummern auf dem Negativ werden beim Herstellen einer Arbeitskopie auf diese mitkopiert.
Die digitale Variante der Fußnummern – der so genannte Keycode – ist ebenfalls auf dem Rand des Filmnegativs aufgebracht. Er sieht ein wenig aus wie der Barcode auf den Preisschildern im Supermarkt, nur ist er schmal genug, um auf dem Rand eines Filmes Platz zu finden. Der Keycode erlaubt es, elektronischen Lesegeräten in den Filmabtastern die entsprechenden Informationen zu liefern, und für den Schnitt am non-linearen Schnittplatz bereitzustellen. Genau wie die Fußnummern in Klarschrift, trägt auch der maschinenlesbare Keycode die gleichen, sich nie wiederholenden fortlaufenden Nummern. Wenn der Schnitt fertig ist, benötigt man nämlich genau diese Informationen, um daraus die Edit-Decision-Liste zu erzeugen.
Der eigentliche Negativschnitt
Der Vorgang, anhand der Schnittlisten die Negative absolut identisch nachzuschneiden, nennt sich Negativschnitt. Negative werden auf so genannten Abziehtischen geschnitten, auf denen besonders schonend sowohl die Arbeitskopie als auch das Original-Negativ parallel transportiert werden können. Dass die Räume möglichst staubarm und die Hände der Negativ-cutter-innen mit Baumwollhandschuhen versehen sein müssen, versteht sich von selbst.
Bevor der Negativschnitt beginnen kann, müssen aus den großen Negativrollen die Einstellungen herausgetrennt werden, die im Schnitt des fertigen Filmes verwendet werden. Trennen und Sortieren nennen das die Negativcutter, ein Vorgang, der nach Stundenaufwand in Rechnung gestellt wird. Ja, und dann wird es ernst: Jede Einstellung wird anhand der Fußnummern herausgesucht, die genaue Bilderzahl vor bzw. nach der Nummer wird abgezählt, und das kostbare Original-Negativ wird mit einem Filmhobel oder auch Filmspalter genannt (Arri, Geyer etc.) in der gleichen Länge wie die Arbeitskopie (oder der non-lineare Schnitt) abgeschnitten.
Bei diesem Vorgang ist äußerste Präzision erforderlich. Verzählen (Einzelbilder), Verlesen (Schnittliste) oder Nachlässigkeit (Schrammen, Kratzer, Staub auf dem Negativ) bedeuten irreparable Fehler. Und es ist nicht selten, dass solche Fehler geschehen! Schon so mancher Film hat aufgrund von Negativ-Schnittfehlern Schaden genommen, deshalb ist die Entscheidung, welche Firma man damit beauftragt, von großer Bedeutung.
Auch die Ausführung der Klebestellen (Negative werden mit Filmkleber nass geklebt) spielt eine große Rolle: Wird der Klebstoff zu dünn aufgetragen, können die Klebestellen in der Kopiermaschine aufgehen. Wird der Kleber zu breit aufgetragen, sieht man evtl. in der Projektion die Klebestellen in Form von Blitzern. Man kann die Gefahr von Blitzern durch Klebestellen bannen, indem man das Negativ nicht Einstellung für Einstellung hintereinanderschneidet, sondern die Einstellungen abwechselnd auf zwei Bänder verteilt. Das nennt man AB-Schnitt bzw. Schachbrett (Checkerboard).