Auch wenn es eigentlich nur eine Nebenhandlung ist und manchmal sogar ein wenig nach Kitsch aussieht, sie stehen häufig im Zentrum vieler Kinospielfilme: Sexszenen. Wie arbeiten Regisseure/innen mit Schauspielern an solchen Szenen, was gibt es zu Beachten, wo lauern Fallen, wo sind die Grenzen?
Nacktheit im Film ist ein schwieriges Thema, die persönlichen Schamgrenzen werden häufig schon überschritten, wenn Schauspieler-innen sich nackt unter der Dusche oder am Badestrand zeigen sollen. Drehbuchautor-inn-en schreiben so etwas gerne in ihre Bücher hinein, für viele Schauspieler-innen stellen solche Szenen bereits echte Probleme dar. Umso schwieriger, wenn es sogar um Sexszenen geht.
Für Schauspieler ist es in der Regel wichtig, dass der Sinn der Sexszene in einem Film nachvollziehbar ist und diese nicht aus reinem Selbstzweck im Drehbuch vorkommt. Wenn sich Nacktszenen organisch aus der Filmhandlung ergeben, dann sind sie auch glaubwürdiger zu spielen. Das bedeutet nicht, dass sie einfach in der Umsetzung sind, schließlich sind das schon eigenartige Situationen, umgeben von einem Filmteam, beobachtet von einer oder mehreren Kameras, nackt zu agieren.
Professionelle Schauspieler können das in der Regel ausblenden und Intimität irgendwie darstellen. Doch um wieviel glaubwürdiger werden solche Szenen, wenn das ganze Team sich darum bemüht, diese Intimität auch durch ein respektvolles, zurückhaltendes Verhalten entsprechend zu unterstützen.
Da hilft es oft, bei der Drehsituation entsprechende Verhaltensweisen anzuwenden. Etwa, dass beim Drehen einer solchen Szene nur ganz wenige Personen aus dem Team überhaupt anwesend sind. Beispielsweise nur Kamera, Ton und Regie. Es hat, aber das ist schon ein wenig absurd, auch schon Teams gegeben, die um die Situation einfacher zu machen, sich ebenfalls entkleidet haben. Wird eine Frau nackt gedreht, hilft es auch, wenn Kamera und Ton von einer Frau ausgeführt werden.
Wichtig auch, dass die Kamera nach jedem Take, sobald dieser aufgenommen ist, die Kamera wegschwenkt und die Schauspieler nicht mehr auf dem Monitor zu sehen sind.
Ganz gleich, ob "Basic Instinct" oder "50 Shades of Grey", in den allermeisten Fällen sind Sexszenen alles andere als erotisch und richtig harte, viele Stunden oder oft sogar tagelange Arbeit für alle Beteiligten. Über einen so langen Zeitraum Sex vorzutäuschen kann ziemlich anstrengend sein. Daneben können so banale Dinge wie Körper,- oder Mundgeruch die gespielte Intimität zusätzlich erschweren. Duschen, Deos und Mundspray gehören zur Grundausstattung solcher Drehtage.
Selbstverständlich versucht man am Set die Situation für die Schauspieler so erträglich wie möglich zu gestalten. So trägt der Mann, so denn sein Geschlechtsteil nicht im Bild zu sehen ist, einen textilen Überzug, eine Art Schutz. Auch die Schaupielerinnen sind dort, wo Nacktheit nicht zwingend oder nicht sichtbar ist, bedeckt. Außerdem haben natürlich alle Schauspieler auch ihre individuellen Schamgrenzen, möchten nur auf bestimmte Weise zu sehen sein, haben vielleicht Körperpartien, die trotz Nacktheit nicht sichtbar sein sollen.
Und dann ist da natürlich auch die individuelle private Befindlichkeit der Schauspieler am jeweiligen Drehtag. Alles hat irgendwie Einfluss auf die Szenen und entscheidet mit darüber, wie das spätere Ergebnis aussieht.
Der Autor dieses Artikels hatte beispielsweise in einem Spielfilm mit einer Schauspielerin gearbeitet, für die es bereits ein größeres Problem darstellte, kurzärmelige Blusen zu tragen, weil sie ihre Arme nicht zeigen mochte. Die individuellen Grenzen sind höchst unterschiedlich. Dass sie es dann letzlich doch zuließ, war ein Geschenk an ihre Rollenfigur und hat sie sicherlich große Überwindung gekostet. Solche Themen sollte man vorab besprechen und respektvoll behandeln.
Klare Absprachen
Der Sex selber muss für solche Szenen bis ins kleinste Detail durchchoreografiert werden. Das ist nicht nur für die Abläufe zwischen den Schauspielern, sondern auch für die Kamera absolut erforderlich. Das kann bis zu genauen Zahlenangaben gehen, wie viele Stöße geschehen sollen, bis man sich gemeinsam auf die andere Seite dreht. Auch können sich die Schauspieler gegenseitig helfen, indem sie sich gegenseitig mit dem Oberkörper oder einem Bein etc. die Geschlechtsteile verdecken. Aber wie gesagt, all dies muss sorgfältig geplant sein.
Ganz besonders wichtig ist natürlich Vertrauen zwischen Schauspielern und der Regie und ganz klare Absprachen, an die man sich auch konsequent hält. Das gilt insbesondere auch in Zusammenhang mit der Kamera. Schauspieler müssen sich darauf verlassen können, dass wirklich nur das im späteren Film zu sehen sein wird, was abgesprochen wurde. Manche Schauspieler lassen sich auch in die Verträge hineinschreiben, dass die entsprechenden Szenen in der Postproduktion durch die Schauspieler abgenommen werden müssen.
Vakuum
In dem Kinofilm "Vakuum" haben sich Barbara Auer und Robert Hunger-Bühler mit großer Offenheit auf die Vorstellungen der Regisseurin Christine Repond eingelassen. Sex spielt in "Vakuum", der von Meredith, einer Frau Ende 50 erzählt, die erst durch eine zufällig entdeckte HIV Infektion bei ihr, herausfindet, dass Ihr Mann André sie mit Prostituierten betrügt und davon wie André und sie um die einstige Liebe ringen, eine wichtige Rolle.
Doch wie geht man an solche Szenen entblößender Nacktheit heran? Wie bereitet man so etwas vor und wie schafft man das nötige Vertrauen, dass diese beiden Schauspielstars sich auf derart schwierige Szenen einlassen? Christine Repond hat von Anfang an auf große Offenheit gesetzt, darüber, was sie mit den Schauspielern in Zusammenhang mit Sexualität erarbeiten möchte und darüber, was genau im Film zu sehen sein soll.
So gab es bereits im Entstehen des Drehbuchs immer wieder Gespräche mit Barbara Auer (Rolle der Meredith), die schon recht früh als Besetzung der Merdedith fest stand und zumindest in der Papierform wußte sie recht früh, dass es auch mehrere Sexszenen in dem Film geben würde. Als Partner von Barbara Auer wurde Robert Hunger-Bühler besetzt, der den André, Merediths Mann verkörpern würde.
Von der Produktion (Karin Koch / DschointVentschr) über die Kamera (Aline Lászlò), die Ausstattung (Su Erdt), das Kostümbild (Monika Schmid) bis zur Regie waren viele Frauen im Team, was sich positiv auf die Arbeitsatmoshphäre bei den sensiblen Szenen ausgewirkt hat.
In der Vorbereitung des Drehs gab es dann eine Woche, in der sich die Regisseurin mit den beiden Hauptdarstellern in dem geplanten Motiv, dem Haus in dem das Ehepaar gemeinsam bereits Jahrzehnte lebt, aufhielt und auch das Thema Sexszenen intensiv besprach. Hierzu schaute man sich auch gemeinsam Filme an, in denen Sexualität mit einer ähnlich realistischen Erzählhaltung gezeigt wurde, wie sie die Regisseurin auch für "Vakuum" beabsichtigte. So schaute man beispielsweise "Wolke 9" (Andreas Dresen), "Intimacy" (Patrice Chéreau) und "Blissfully Yours" (Apichatpong Weerasethakul). Die in diesen Filmen vorkommenden Szenen mit Sexualität halfen Christine Repond ihre Vorstellungen, auf welche Weise Sexualität in Vakuum dargestellt werden sollte, zu veranschaulichen.
Diese gemeinsame Vorbereitungswoche trug entscheidend dazu bei, dass Barbara Auer und Robert Hunger-Bühler, die zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera standen, sich sehr mutig auf diese Vision eingelassen haben und die Sexszenen frei von jeglichem Kitsch, aber auch ohne Erotik sehr naturalistisch dargestellt haben. Nichts wirkt gestellt oder gar peinlich an den Sexszenen dieses Paars um die 60. Das seit 35 Jahren verheiratete Paar in der wohl größten Krise ihres Lebens verkörpern die beiden Darsteller bravourös und man spürt in jeder Szene, dass die beiden ihrer Regisseurin und diese ihren Hauptdarstellern voll und ganz vertraut haben.
Vakuum ist so ein hervorragender, zutiefst ehrlicher Film geworden,- der Umgang mit Nacktheit und Sexualität hat ohne Zweifel zu dieser Wirkung beigetragen.
Vakuum lief 2019 in den deutschen Kinos