Das Verhältnis zum Raum
Raumtiefe
Eine der wichtigsten Aufgaben beim Gestalten von Filmbildern ist es, den Zuschauer vergessen zu machen, dass es nur zweidimensionale Bilder sind, die man zu sehen bekommt. Über die abgebildete Ebene (den Bildausschnitt) hinaus bestimmen auch die Tiefe des aufgenommenen Raumes (Architektur des Drehortes) und auch die Abbildung der Tiefe (s. Optiken und Schärfentiefe) im Bildausschnitt die Komposition.
Durch Aufbau von Vorder-, Mittel- und Hintergrund, durch Verteilung von Helligkeit/Dunkelheit und oder Farbkontraste und durch diagonale Linien, die in die Tiefe führen, kann die Raumtiefe gestaltet werden.
Farben wie Blau oder Grün ordnen wir eher der Ferne zu, Rot oder Orange dagegen sind von unserem Raumempfinden her eher vorn.
Objekte im Vordergrund (wo sie scharf und erkennbar abgebildet sind) bekommen besondere Bedeutung.
Grundsätzlich erzeugen helle Hintergründe eine größere räumliche Tiefe als dunkle Hintergründe. Vermutlich hängt das mit unserer Seherfahrung zusammen, die den hellen Himmel stets am Horizont erwartet. Außerdem werden dunkle Farben in der Ferne durch die Atmosphäre, den Dunst, heller. Bei obigem Bild kann man das gut erkennen. Die dunklen Bäume rechts vorne im Bild sind die gleichen, wie jene, die links hinten, deutlich heller zu sehen sind. Entfernung lässt Farben heller werden... Hintergründe, die hell sind, werden deshalb intuitiv der Ferne, der Weite zugeordnet, selbst, wenn diese gar nicht so weit entfernt sind.
Beziehung zum Raum, Achse, 180 Grad
Ein weiteres, wichtiges Element ist die Beziehung, in welche der Ausschnitt die Darsteller zum Raum stellt. Da sich der Film in der Anfangszeit stark am Theater orientierte, hat sich eine Regel entwickelt, die von der Situation Bühne/Publikum bestimmt ist. Die Kamera nimmt dabei die Position des Zuschauers in einem Theater ein, die Filmfiguren befinden sich auf der gegenüberliegenden Seite, dort, wo die Bühne wäre.
Man spricht auch von der so genannten 180-Grad-Regel. Damit ist gemeint, dass die Kamera, wenn Personen miteinander spielen bzw. sich anschauen oder reden, stets auf einer Seite einer gedachten Verbindungslinie zwischen den Darstellern bleibt, sonst fehlt dem Zuschauer später beim Schnitt die Orientierung.
Wenn die Kamera dennoch sprunghaft im nächsten Umschnitt auf die andere Seite wechselt, also über die Achse springt (Achsensprung), stimmen die Blickrichtungen der Darsteller zueinander nicht mehr. Bei Dialogen mit Schuss-Gegenschuss-Montage schauen die Filmfiguren im späteren Film in entgegen gesetzte Richtungen.
Man kann dieses Problem umgehen, indem man beispielsweise mit laufender Kamera über die Achse fährt (Schienenfahrt etc.) oder indem man nach dem Umschnitt wieder totaler wird und eine Aufnahme anbietet, bei der alle Personen im Bild zu sehen sind, wodurch das Auge des Betrachters sich wieder neu räumlich orientieren kann.
Raum & Person
Die Kamera kann in Verbindung mit der Komposition den Raum in der Einstellung geschlossen oder offen halten.
Offene Form (Open Frame)
Bei der offenen Form bleibt für den Zuschauer die nicht im Bild sichtbare Umgebung stets spürbar. Der oder die Darsteller betreten den Bildausschnitt von außerhalb oder verlassen ihn in den nicht sichtbaren Teil des Raumes (Auftritt/Abgang). Bei dieser Art der Darstellung kommt dem Raum eine größere Bedeutung zu, man kann ihn wahrnehmen, kann sich darin umschauen, kann verfolgen, wie die Filmfigur sich im Raum bewegt.
Auch in der Fantasie des Zuschauers spielt der Raum eine größere Rolle, er ergänzt den Raum sogar um Teile, die gar nicht im Bild sichtbar sind. Das macht diese Art der Kadrierung freier, sie ist nicht so ausschließlich wie die geschlossene Form.
Geschlossene Form (Closed Frame)
Die geschlossene Form dagegen lässt dies nicht zu, sie bleibt bei allen Bewegungen der Darsteller auf ihnen haften, folgt ihnen getreulich. Innerhalb der Bildkomposition wird der Darsteller meist innerhalb des goldenen Schnitts oder der Bildmitte gehalten. Personen oder Gegenstände können das Bild weder betreten, noch verlassen. Sie sind praktisch die ganze Zeit, die eine Einstellung dauert, im Bild vorhanden oder in ihm gefangen.
Der Zusammenhang zwischen Raum und Filmfigur wird weniger wichtig. Wenn die Kamera ohne Änderung der Einstellungsgröße und ohne diese einen Moment zu verlieren der Filmfigur in einer Nahaufnahme oder Halbnahen durch die verschiedensten Räume folgt, bleibt die Konzentration ausschließlich auf dem Darsteller. Gleichzeitig ist das Bild enger, ausschließlicher, man kann als Zuschauer gar nicht anders, als sich intensiv mit der Filmfigur zu beschäftigen.