Geraubte Filme ?
Eine FFA-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass etwa fünf Millionen "Schwarzbrenner" in Deutschland pro Jahr mindestens einen Film illegal kopieren. Es ist noch nicht lange her, da lud uns die Industrie ausdrücklich dazu ein, Kopien herzustellen. Wer dieser einstmaligen Einladung heutzutage folgt, ist vor allem eines: ein Pirat.
Historisches
Spätestens seit Phillips in den 60er Jahren den Kassettenrekorder auf den Markt brachte und die HiFi- Branche jahrzehntelang Werbung damit machte, auf welch wunderbare Weise man sich Musik von Schallplatte für die Musikkassette selbst zusammenstellen könnte, wuchs eine Generation von Anwendern heran, die von diesen Möglichkeiten Gebrauch machte und viel Geld in eben diese Technik investierte. Je weniger "Qualitätsverlust" man bei diesem Vorgang in Kauf nehmen wollte, desto teurer war die entsprechende Hardware, waren die passenden High-Grade Leerkassetten. Die Branche verdiente prächtig daran; selbst die Musikkonzerne und die Musiker erhielten durch die Leerkassetten- und Geräteabgabe an die Gema beachtliche Summen. Die Hardwarehersteller verdingten sich häufig zugleich als Plattenkonzerne, wie etwa Sony oder Phillips und schöpften so auf allen Seiten die Gewinne ab.
Tapfer machten die Konsumenten auch den Wechsel von der analogen zur digitalen Welt mit, warfen die alten Plattenspieler raus, kauften CD-Player, DAT, Minidisk oder CD-Rekorder um wie gewohnt, ihre Zusammenstellungen selbst vorzunehmen und wurden, ohne es so richtig zu bemerken, über Nacht zu Kleinkriminellen. Sie hatten nämlich übersehen, dass Kopien, die ohne Qualitätsverlust entstehen, also 1:1 und digital, Teufelszeug sein sollen. Beinahe auf gleiche Weise wurde das Kopieren von Filmen über Nacht kriminalisiert. Die gleiche Branche, die sogar Doppel-Videorekorder auf den Markt brachte, die keinem anderen Zweck als der Kopie dienen, kriminalisierte ihre Kunden mit der Einführung der (digitalen) DVD.
Widersprüchliches
An dieser Doppelstrategie hat sich mit der Digitalisierung nichts geändert. Der Unterhaltungsgigant Sony liefert sowohl Programminhalte, die unter gar keinen Umständen kopiert werden sollen, als auch Geräte, die genau dies bewerkstelligen können. AOL-Time-Warner liefert einerseits jede Menge Filme und Musik-CDs, verdient aber zugleich massiv an den Online-Kunden, die diese möglicherweise über die firmeneigenen Internet-Leitungen illegal downloaden. Besonders pikant ist der permanente Widerspruch, dass die Verwertungsgesellschaften einerseits von den CD- und DVD-Brennerherstellern Abgaben für Privatkopien kassieren wollen, diese aber andererseits ja illegal sind und durch entsprechende Schutzmaßnahmen verhindert werden. Einerseits soll der Kunde das Recht haben, sich von seiner gekauften CD eine Kopie etwa für sein Autoradio zu machen, andererseits wird dieses Recht durch den Kopierschutz verhindert.
Künstler erhalten von den Verwertungsgesellschaften Geld als Ausgleich dafür, dass ihre Werke nicht nur gesehen, gehört oder gelesen, sondern auch vervielfältigt werden. Die Kunden zahlen deshalb pauschale Abgaben. Auf Brenner, auf Rohlinge und nach dem Willen der Verwertungsgesellschaften bald auch auf Computer. Doch was taugt das damit angeblich erworbene Recht zur Kopie, wenn man durch Kopierschutzmaßnahmen daran gehindert wird, Kopien anzufertigen? Ein Ausweg aus dieser unlogischen Situation wären Digital Rights-Management-Systeme, bei denen man individuell für die jeweilige Kopie bezahlt.
Beschleunigung
Die Verwertungswege für Kinofilme werden vielfältiger und vor allem kurzfristiger. Während man früher Filme über einen Zeitraum von mehreren Jahren in den verschiedenen Vertriebswegen (Kino, Video, Pay-TV, TV, Streaming Dienste) auswerten konnte, haben sich die Zeiträume drastisch verkürzt. Neben verschiedenen anderen Faktoren spielt auch der Wettlauf mit den Filmpiraten bei der Verkürzung der Auswertungsfenster eine wichtige Rolle. Die Haupteinnahmen müssen daher bereits innerhalb der ersten zwei Monate der Verwertung gemacht werden.
Verlangsamung
Die technische Entwicklung speziell der Aufzeichnungsmedien und Geräte ist in den letzten zehn Jahren stärker als je zuvor in der Geschichte der Technik gebremst worden, durch wirtschaftliche Interessen der Content-Inhaber. Das ist bestenfalls vergleichbar mit dem Blockieren des Tonfilms durch die Filmindustrie in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Fast ein Jahrzehnt lang wurde der Tonfilm verhindert, um die erfolgreiche internationale Vermarktung der Stummfilme nicht durch unterschiedliche lokale Sprache einschränken zu müssen.
Inzwischen ist es üblich, das jede neue digitale Technik, die dem Anwender höhere Qualitätsstufen eröffnen könnte, vorbeugend mit Kopierschutz-Schikanen unhandlich und kompliziert gemacht wird. Im Audio-Bereich etwa haben die Musikverlage erfolgreich die Verbreitung von R-DAT verhindert, der digitalen Audiokassette, die ohne Komprimierung in professioneller Qualität aufzeichnet. Blue-Ray-Disk und HD-DVD hingen aus ähnlichen Gründen lange in der Warteschleife. Digitale Geräte werden mit so vielen Nachteilen und Hindernissen versehen, dass von Seh- und Hörvergnügen nur begrenzt gesprochen werden kann. So werden selbst digitale TV-Empfänger mit analogen Scart-Buchsen (wer hat diesen Scart-Quatsch nur erfunden?) ausgestattet, damit man ja kein hochwertiges digitales Signal auf den Bildschirm bekommt. Selbst HDTV-Fernseher leiden unter dem Kopierschutzdiktat. Entweder sie haben gar keine digitale Schnittstelle, oder aber eine vorläufige in HDMI. Über diese Schnittstelle wurde unter Federführung der Mediengiganten jahrelang herumgestritten.
Organisierte und ahnungslose Piraten
Der Ort, wo die Vorwürfe der Filmbranche sachlich eher zutreffen, sind die gewerblichen Kopierpiraten. Jene, die Filmtechnikern oder etwa Mitgliedern der Motion Picture Association of America viel Geld zahlen, wenn diese von Vorabversionen, Oscar-Screenern etc. illegale Kopien fertigen, von denen dann in hohen Stückzahlen DVDs gepresst und verkauft werden. Die sogenannten Oscar-Screener, also DVDs für die Sichtung zur Oscar-Entscheidung, welche mit dem Hinweis "For Your Consideration" versehen sind, sind alljährlich bei etwa 40 raubkopierten Hollywood-Produktionen die Basis der illegalen Vervielfältigung. Diese werden nicht nur an die Jurymitglieder verschickt, sondern auch an Multiplikatoren, an Meinungsmacher, die den Oscar-Ausgang positiv beeinflussen sollen.
Auch die weltweit an der kommerziellen legalen Verbreitung beteiligten Kopierwerke und Marketingunternehmen gehören vermutlich zu den undichten Stellen im System. Überall dort, wo Kopien der Filme legal bearbeitet und vervielfältigt werden besteht das Risiko der illegalen Kopierung. Speziell dort, wo auch die DVDs für die spätere gewerbliche Verwertung gefertigt werden, also im Presswerk, entstehen zu Beginn eine gewisse Anzahl von nicht optimalen Pressungen. Erst nach etwa 20 Pressungen beginnt die Serie. Oftmals gelangen von diesen Fehlpressungen einzelne kurzzeitig in die Hände von Filmpiraten. Es sind die 1:1 verlustfrei gefertigten, mit professionellem Aufdruck und hochwertigem Booklet kopierten DVDs, die in großem Stil kopiert und vertrieben werden, welche den Majors Einnahmeverluste zufügen. Oft genug geschieht dies, ohne dass der Kunde es überhaupt weiß. Wer seine DVD irgendwo auf asiatischen oder osteuropäischen Flohmärkten billig ersteht, der hat sicher eine gewisse Ahnung, wie es um die Legalität seines erworbenen Produktes steht.
Dass heimlich im Kino von der Leinwand abgefilmte Streifen mit schlechter Bild- und Tonqualität als Kauf-DVD verbreitet und den Majors gigantische Einnahmen abschöpfen würden, gehört wohl eher ins Reich der Legenden. Es geschieht natürlich und es bewegt die Gemüter der Fangemeinde, wieder einmal irgendein Werk noch vor dem Kinostart gesehen zu haben. Es kommt auch immer wieder vor, dass Abenteurer mit ihren Videokameras im Kinosaal erwischt werden. Doch die Fans lassen sich in der Regel den späteren Besuch der hochwertigen Kinovorstellung nicht entgehen. Ob man allerdings Schüler bereits kriminalisieren sollte, die sich eine illegale Kopie von einem Film herstellen, ist fraglich. Jugendliche glauben uneingeschränkter den Verheißungen der Hard- und Software-Werbung, die gerne alle Kopiermöglichkeiten verspricht und mit Rücksicht auf die Rechtslage die Links zu den Hacks gleich mitliefert. Vielleicht würde hier schlicht mehr Information in den Schulen und die Sensibilisierung für die rechtliche Situation weiterhelfen.
Kopierschutz oder Schikanen?
Film- und Musikindustrie haben diverse Schutzmechanismen entwickelt, die das direkte Kopieren verhindern sollen. Im Normenwirrwarr der diversen CD- und DVD-Player sorgen diese Schutzmechanismen immer öfter dafür, dass die ehrlichen Käufer die erworbenen Produkte gar nicht anschauen oder -hören können. Auch Maßnahmen wie der Ländercode auf DVDs sorgen regelmäßig für Verärgerung und lassen illegale, vom Ländercode befreite DVDs als deutlich benutzerfreundlicher erscheinen. Wer mit seiner legal erworbenen DVD zum wiederholten Mal an einer Ländercode-Fehlermeldung gescheitert ist, kommt nicht umhin, diese seltsame Einrichtung in Frage zu stellen. Manch einer kauft sich erst gar keine DVD, weil es zu viele Probleme beim Abspielen gibt.
HDTV-Systeme verhindern teilweise durch verschiedene Mechanismen, dass man ausgerechnet den hochwertigen Surround-Ton dann auch über die bisherige Anlage abhören kann, optische Digitalausgänge werden stumm geschaltet, Bildschirme schwarz, wenn HDTV gesendet wird, oder HDTV-Geräte, die das Bild auf PAL-Auflösung runterrechnen müssen, um es darstellen zu dürfen - die Bandbreite der Verhinderungen durch die Content-Anbieter ist geeignet, den Erfolg von HDTV ähnlich zu ersticken wie den vom digitalen Rundfunk. Eltern, die miterleben müssen, wie ihre Kinder die gekauften CDs oder Computerspiele nachlässig im Kinderzimmer herumschrammen, können zudem nicht verstehen, weshalb sie keine Sicherheitskopie anfertigen dürfen um die teure Investition vor frühzeitiger Zerstörung zu bewahren.
Gegenmittel
Im Internet finden sich diverse Anbieter von Kopiersoftware, welche den Kopierschutz überwinden können. Die meisten stammen aus Europa oder Asien, nicht aber aus den USA, wo mit dem Digital Millennium Copyright Act zu drakonische Strafen für die Programmierer drohen. "DVD Movie Jack" oder "Clone DVD" (Deutschland), "DVD Mate" (Taiwan), "Blindwrite" (Frankreich) oder der "DVD Decrypter" sind übliche Programme, deren Verkauf und Verwendung seit 2004 in Deutschland verboten ist. Gegen die Ländercode-Problematik gibt es im Internet diverse Codefree-Modifikationen, manchmal sind dies simple Tastenkombinationen auf der Player-Fernbedienung, bei Computer-Playern wird die Player-Software modifiziert.
In dubio pro Kundenfreundlichkeit
Dass die Tauschbörsen tatsächlich gigantische Mengen an Musik- und Videodaten durch die Welt verschieben, ist unbestritten, dass es sich um illegale Kopien handelt, auch, doch über die Konsequenzen für die Film- und Musikindustrie kann man geteilter Meinung sein. Was, wenn die unerlaubten Kopien die Popularität der legalen Produkte sogar befördern? Wenn in den größten Teil der Downloads hineingeschaut und -gehört wird, und diese anschließend wegen Nichtgefallens wieder gelöscht würden? Wenn Downloader die begehrten Titel eben doch in hoher Qualität besitzen oder verschenken möchten und das Produkt im Laden kaufen oder im Kino gemeinsam mit Freunden anschauen? Was, wenn wieder andere Downloader nie CDs oder DVDs kaufen, nie ins Kino gehen würden? Wenn die simple Rechnung der Medienindustrie, ein Großteil der Downloads könnten verkaufte CDs, DVDs oder Kinokarten sein, allzu blauäugig wäre? Eine Studie von Professoren der Harvard Business School der University of North Carolina aus dem Jahre 2004 behauptet, dass etwa die CD-Verkäufe und der Austausch derselben Titel im Internet praktisch ohne messbaren Zusammenhang stünden. Vielleicht sollte die Medienbranche ähnlich anderer Industriezweige statt mit immer höheren Budgets einmal mit kleineren Etats und dafür fantasievolleren Inhalten und mutigeren Kreativen operieren, statt Anwälte mit Schriftsätzen gegen Downloader zu bemühen. Lebensmittelhersteller fallen schließlich auch nicht mit Klagewellen über Supermärkte her, in denen an Probierständen kostenlos Käsehäppchen verköstigt werden, im Gegenteil, sie finanzieren sogar derartige Aktionen. Vielleicht stellt die Diskussion und die Bewegung rund um aktuelle Filmtitel im Internet ja auch eine andere Form der Public Relation dar.
Der Aufwand, Kopien speziell auf die kleineren DVD- Formate zu kodieren ist relativ hoch und zeitintensiv. Sinnvollere Preisgestaltung der Kauf-DVDs und CDs könnte diesen illegalen Weg erfolgreich verhindern. Unklar bleibt, ob der angebliche Schaden, der durch den Nichtkauf der "Raubkopierer" entsteht, nicht längst durch die erweiterten Verwertungsketten durch Online-Verläufe und DVD-Vertrieb kompensiert wird. Schon heute verdienen die amerikanischen Majors mehr Geld durch die DVD-Verkäufe als an der Kinokasse. Ja, und vielleicht würde die Veröffentlichung der realen Zahlen, welch winziger Anteil von diesen Erlösen tatsächlich bei den von der Industrie immer in den Vordergrund geschobenen Urhebern ankommt, am Ende gar eine ganz neue Spezies von Piraten ins Rampenlicht rücken.