30. Internationale Filmfestival Freiburg (FIFF)
Kein Thema: Frauen sind Thema. Auch im Jahr 2016. So beschenkt das Internationale Filmfest Freiburg im Schweizer Üechtland zum runden Geburtstag sich und sein Publikum mit einer internationalen Werkschau zu Frauen und ihrer hohen Filmkompetenz.
Zeigten die Mega-Festivals von Cannes und Locarno nicht erst im vergangenen Jahr ausreichend genug an Revival zur weiblichen Vielfalt rund um den Film? Alles abgedreht, oder? Im Zeitalter der Gleichberechtigung bescheinigt das globale und konsequente Programm der FIFF eine sich stets stärker in Szene setzende Präsens von Filmemacherinnen und Protagonistinnen.
Historischer Veranstaltungsort
Fribourg / Freiburg ist eine Jahrhunderte alte, überschaubare Stadt im gleichnamigen Kanton, idyllisch an der Saane gelegen. Aktuell fällt auf, dass der Höchststand an besuchten Veranstaltungen dem der Anzahl an EinwohnerInnen mit knapp 40.000 gleich hoch liegt. Mit Rekorden geht es weiter. Aus 67(!) Ländern und mit 55 Premieren insgesamt schöpfte das Festival in diesem Jahr sein Filmangebot.
Die FIFF 2016 hat die Repräsentanz femininer Schaffenskraft neu ausgelotet und die Quoten für den Frauenfilm neu angekurbelt. Von 127 außergewöhnlichen Werken erzählen etwa 100 Geschichten über Frauenfiguren. 75 davon sind unter weiblicher Regie entstanden.
Die Hommage richtet sich an den Mut der Frauen, die trotz teils massiver Einschränkungen zu Erfolg gelangen. Stellvertretend für sie alle präsentierte das Freiburger Festival Werke von Alice Guy (1873-1968), einer der Pionierinnen des Regiefachs der Stummfilmära. Gefolgt von Ida Lupino (1928-1995), Regisseurin, Schauspielerin, Autorin und Mitbegründerin der Produktionsfirma Four Stars Production. Geraldine Chaplin als dritte Leuchtfigur des Triumfeminat war persönlich anwesend. Leger und gewitzt porträtierte die Schauspielerin und Tochter eines grandiosen Cinestars den Eröffnungsfilm The Kid und in einer exemplarischen Kinoauswahl ihr herausragendes Schauspieltalent.
Das Programm
Die FIFF bietet KinobesucherInnen wie MedienvertreterInnen eine hochkarätige Plattform für künstlerischen und kreativen Austausch. Die Angebotspalette reichte vom Internationaler Wettbewerb für Lang- und Kurzfilme in der Offiziellen Sektion über die Parallel-Sektionen bis zu Sondervorführungen. Unter dem Programmpunkt Extras ging es ganz praktisch-pragmatisch zur Sache mit sieben Debatten, einem Workshop und vier Ausstellungen. Die Priorität lag durchgängig auf der Optimierung internationaler Präsenz des Weiblichen im Filmgeschehen. Die Filmwelt als Medium anzusprechen steht hier nur exemplarisch für den Aufruf, Leistungsbereitschaft zu fördern und individuelle Fähigkeiten generell als Chance wahrzunehmen.
Von besonderem Anliegen ist für das Freiburger Filmfestival das Schulprogramm. Frei nach dem Motto Kino macht Schule gab es in diesem Jahr über 10.000 angemeldete Kinder und Jugendliche zum Schulprogramm Planète Cinéma mit 72 Vorführungen inklusive pädagogisch-didaktischer Unterstützung.
Frauen verstehen
Das Internationale Filmfestival Fribourg macht Spaß, wirkt familiär und angenehm unprätentiös ohne den Blickwinkel auf das selbstgewählte Thema zum 30. Fest zu verlieren. Hier werden seit seiner Premiere 1980 kulturelle und soziale Realitäten offeriert, die nicht immer den Sehgewohnheiten und Regietechniken des westlichen Kinos entsprechen. Entsprechend rau bis anheimelnd sind die Stoffe aus denen Fachjuries wie auch das Publikum seine Favoriten wählt. Leichte Kost findet sich kaum, wohl aber filmkulturelle Entdeckungen. In der Quintessenz steht das Bewahrende hoch im Kurs, das der filmkünstlerischen und kulturellen Vielfalt internationaler FilmemacherInnen. Gute Filme verlangen viel von ihren Gestalterinnen, ob sie ihre Vorhaben unter erschwerten Umständen in Ländern wie Usbekistan, Nigeria, Vietnam oder dem Senegal umsetzen oder besser noch in filmfördernden Staaten arbeiten, jedoch nach wie vor weniger Prestige erreichen als ihre männlichen Mitstreiter.
François Truffaut in diesem Zusammenhang zu nennen, findet seine Berechtigung auf über 1.000 Exponaten und durch vier seiner unvergesslichen Filme, - der Mann, der die Frauen liebte, verewigt in einer Ausstellung "François Truffaut - Passionnément" in der ehemaligen Ilford-Fabrik und in der Leinwand-Retrospektive "Klassik: François Truffaut, les années 70".
Magda Bossy
Unvergesslich auch bleibt Magda Bossy, die "Mutter" des Freiburger Filmfestivals. 1980, als Sekretärin für das Hilfswerk Helvetas mit großen Enthusiasmus im Einsatz, organisierte die international bewanderte Cineastin in gleich fünf Westschweizer Städten ein Tourneefestival. Filme ohne geographische Eingrenzung einem breitgefächerten Publikumsgeschmack anzubieten, war ihr Ziel. Das FIFF hat diesen Leitspruch längst verinnerlicht. Mit den Jahren hat sich die Mentalität der BesucherInnen geändert. Was vorher leicht despektierlich als eher "drittwelterisches" Programm abgetitelt wurde, wirkt heute innovativ, glaubwürdig und weltoffen. Das beweist der wachsende Zuspruch von Seiten des Publikums quer durch alle Altersstufen und Lebenseinstellungen hinweg.
"Das Kino ist die wahre Schule des Lebens". Der Beweis für den vielzitierten Ausspruch François Truffauts
kann jederzeit und überall ausgetestet werden. Dazu braucht es keine FIFF. Aber der Pfiff des FIFF liegt in eben seinem universellen Denkanstoß.
Die PreisträgerInnen vorgestellt vom Internationalen Filmfestival Fribourg
Grosser Preis «LE REGARD D'OR»
Mountain
Yaelle Kayam, Israel, 2015
Internationaler Wettbewerb: Langfilme
«Für die Einzigartigkeit des Settings und die Sorgfalt mit welcher die Filmemacherin diese intime Geschichte erzählt, und uns damit die Komplexität der Welt und der menschlichen Seele enthüllt. Für die starke Präsenz und Schönheit der Hauptdarstellerin, die uns in ihren Bann zieht ohne dass wir sie werten. Sie ist uns sehr nahe, obwohl ihre Welt für uns sehr fremd ist. »
Besondere Erwähnung (LE REGARD D'OR)
YO
Matías Meyer, Schweiz, 2015
Internationaler Wettbewerb: Langfilme
« Wir haben beschlossen eine lobende Erwähnung zu vergeben, für einen Film, der uns überrascht und berührt hat und der mit Intelligenz und Zärtlichkeit uns in die Haut eines Riesen schlüpfen lässt.»
Sonderpreis der Jury
Semana Santa
Alejandra Márquez Abella, Mexiko, 2016
Internationaler Wettbewerb: Langfilme
«Für das Einfühlungsvermögen und die Stärke der Inszenierung. Für die gelungene Arbeit mit dem Schauspielensemble und für das Talent alle unsere Sinne anzusprechen.»
Publikumspreis
Blanka
Kohki Hasei, Japan, 2015
Internationaler Wettbewerb: Langfilme
Preis der FIPRESCI-Jury
Song of Songs
Eva Neymann, Ukraine, 2015
Internationaler Wettbewerb: Langfilme
«Der Preis der FIPRESCI Jury geht an einen Film, der durch eine hinreißende und poetische Verschmelzung von Bildern, Worten und Klängen überzeugt. Die in einer traditionellen Gemeinschaft angesiedelte Geschichte behandelt auf subtile Weise den Versuch, eine Jugendliebe zu bewahren.»
Don Quijote-Preis des Internationales Filmclub-Verbandes
Mountain
Yaelle Kayam, Israel, 2015
Internationaler Wettbewerb: Langfilme
«Wir verleihen den Don Quijote-Preis des Internationalen Filmclub-Verbandes einem Film, der eine starke Frauenrolle zeigt. Das Paar in der Hauptrolle wird zu einer universellen Beschreibung. Ebenso der aus dem Kontext abgeleitete Symbolismus und die Art, wie die Hauptdarstellerin als orthodoxe Jüdin diesem entgegen tritt. Das unerwartete Ende mag für das Publikum schockierend erscheinen, doch es entschlüsselt die Geschichte des Films.»
Preis der Ökumenischen Jury
Alias Maria
José Luis Rugeles, Frankreich, 2015
Internationaler Wettbewerb: Langfilme
«Wir zeichnen daher den Film aus, der die Herausforderungen des Lebens, der Solidarität und des Mitgefühls für uns heute am besten und auf eine höchst universelle Weise zur Geltung bringt, und zwar durch das Verhalten seiner weiblichen Hauptfigur, durch ihre Weigerung, zu resignieren, durch ihre Fähigkeit zum Ungehorsam.»
COMUNDO-Preis
Hair
Mahmoud Ghaffari, Iran, 2016
Internationaler Wettbewerb: Langfilme
«Nach langen, schwierigen Beratungen haben wir entschieden, die Noblesse eines Kampfes auszuzeichnen. Bewegt haben uns sowohl die frontale Herangehensweise, als auch die erzählerische Wahl des Regisseurs. Die Filmaussage jenseits der Gewalt hat uns gerührt. Von Unbekümmertheit über Wut und Beharrlichkeit bis hin zu Entfremdung folgt man drei jungen Frauen auf ihrem Weg, der ihre Träume gegen die Taubheit der Institutionen prallen lässt. Ein Film, der hinterfragt, aufrüttelt und möglicherweise eine Gesellschaft im Umbruch ankündigt. Im Namen der Organisation Comundo haben wir die Ehre und das Privileg « Hair » mit dem Preis der Jugendjury zu belohnen. Bravo und danke an Mahmoud Ghaffari.»
Preis für den Besten Internationalen Kurzfilm
Iceberg
Juliana Gómez, Kuba, 2015
Internationaler Wettbewerb: Kurzfilme
«Iceberg» vermittelt das Gefühl einer wahren Begegnung. Eine Begegnung zwischen einer Regisseurin, die die Welt um sich herum beobachtet, und Teresa, die sich in diesem Werk selbst darstellt. Ohne Maske steht diese Frau vor uns, allein angesichts der Tiefen des Lebens, eng verbunden mit dem Tod. Die vom Leben gezeichnete Teresa lässt uns familiäre Beziehungen hinterfragen, insbesondere deren Zerfall, sowie ein System von Überzeugungen, das – auch, wenn es uns weit entfernt scheint – ein ergreifendes Zeugnis von Leben und Nächstenliebe ist, uns manchmal entmutigt, aber auf jeden Fall immer wiederkehrt. Genug Platz für Poesie, nimmt uns Juliana Gomez mit auf die Reise in ein Kuba, das uns von einer besseren Zukunft träumen lässt: mit größerer Nähe zur Natur, wo Rituale die Essenz des Lebens bilden und Erwartungen unverzichtbar sind. »
Preis des Netzwerk Cinéma CH
Mr. Alfredo
Vitor Souza Lima, Venâncio Batalhone, Marcelo Santos, Brasilien, 2015
Internationaler Wettbewerb: Kurzfilme
«Der Film hebt sich durch seine Leichtigkeit ab. Sein vordergründig nichtssagender Inhalt spiegelt die soziale und politische Realität Brasiliens wider, ohne je ins Dramatische oder Bedrückende abzugleiten. Die Hauptfigur hat uns durch ihre Offenheit und widersprüchliche Weltanschauung sehr berührt und zum Schmunzeln gebracht. Ein mürrischer Nörgler, der ständig die Gesellschaft kritisiert, erweist sich als authentischer, im Grunde seines Herzens großzügiger Mensch.»
Raoul Kevenhörster (Bericht und Farbfotos)