Billige und willige Selbst-Filmer zu finden und mit deren Vermittlung Gewinne zu machen, das versucht eine Hamburger Produktionsfirma mit einer Mailaktion, die sie einer PR Agentur in Auftrag gab. Die Idee, mal eben fast alle deutschen Produktionsfirmen ohne Aufforderung oder Anfrage mit einer Mail zu versorgen, in der "...wieder ein Super Auftrag zu vergeben" sei, stieß in der Branche auf sehr gemischte Reaktionen. Der Auftrag bezog sich auf einen Image-Film auf einer Deutschen Insel und "man suchte für diesen tollen Dreh einen VJ mit eigenem Equipment".
Auch der Drehzeitraum wurde grob angegeben, im Frühjahr 2019 solle es sein, der Imagefilm solle 3 Minuten Endlänge haben, Drohnenaufnahmen sowie Maske seien auch erwünscht, was eindeutig auf Interviews bzw. Statements hinweist. Das Konzept sowie der Drehablauf kämen eben von jener in Hamburg ansässigen Produktionsfirma. Angebote inklusive Reisekosten und Referenzen solle man bis zum Folgetag 18 Uhr an die Hamburger per Mail schicken.
The more you know...
Offensichtlich haben sehr viele der auf diese Weise Adressierten reagiert, denn eine zweite am nächsten Tag nachgeschobene Mail erwähnte viele Anrufe und stellte klar, dass es sich eben um einen eintägigen Dreh auf einer Insel handele, dass von der Hamburger Produktionsfirma Niemand beim Dreh dabei sein würde, dass man auch Interviews zu Drehen habe und dass man zusätzlich Drohnenflüge Außen und Innen durchführen solle. Natürlich alles an einem Tag und dass man auch gerne noch einen Schnitt-Tagespreis nennen solle.
Nun, einerseits freuen sich natürlich viele Freelancer über Aufträge, aber wenn man sich die ganze Konstruktion des Angebots ein wenig genauer anschaut, dann kommen doch so manche Fragen auf. Da ist erst einmal die Mailing und PR-Agentur, die ungefragt sämtliche Produktionsfirmen anschreibt. Kaltakquise nennt man das und die schrammt haarscharf an der neuen DSGVO vorbei. Sei es drum.
Weitaus seltsamer ist, dass die in der Mail genannte Produktionsfirma, welche mit der ganzen Aktion offensichtlich möglichst billig arbeitende, ihr eigenes Equipment mitbringende und eigentlich mehrere Jobs (Ton, Kamera, Licht und Journalist) erfüllende One Man oder One Woman Multijongleure sucht, dies auf ihrer stylischen Webseite gar nicht kenntlich macht. Dort gewinnen potentielle Kunden nämlich den Eindruck, dass ein junges, engagiertes Firmenteam die Imagefilme in einem "Rundum Sorglos Paket" ab 5.970 € selber dreht und herstellt. Wie die Filme tatsächlich zustande kommen, werden die potentiellen Auftraggeber vermutlich nie erfahren.
Augen zu und durch ?
Das klingt schlau, die Knochenarbeit für kleines Geld machen die mehr oder weniger verzweifelt um Jobs ringenden VJs, den Gewinn streichen die, wie eine Agentur arbeitenden "Produzenten" selber ein. Mit Konstruktionen wie dieser werden viele Kamera/Ton Allrounder, nicht nur mit dem Unwort "VJ" zur Eierlegenden Wollmilchsau erklärt und am unteren Ende der Nahrungskette angesiedelt, sondern zugleich durch den Bieterwettstreit, wer das günstigste Angebot bis 18 Uhr des nächsten Tages abgibt, dazu motiviert, sich unter Wert anzubieten. Schließlich will man ja den Job.
Das beherrschen nämlich jene Ein- Personen Teams mit eigenem Equipment besonders gut, ihre Leistungen deutlich unter Marktpreisen anzubieten, sich selbst auszubeuten und gerne auch das mühsam angeschaffte Equipment kostenlos oder zu winzigen Mieten mit in die Angebote einzupreisen. Sicherlich werden die Hamburger argumentieren, dass ja Niemand dabei mitmachen müsse und dass sie ja im Gegenteil, sogar Arbeit vermitteln würden. Auch das ist irgendwo richtig in unserer wunderbar vernetzten Welt. Allerdings funktioniert das Geschäftsmodell vermutlich nur, weil so viele VJs sich um die Begleichung der nächsten Miete sorgen. Und als wäre das nicht bereits diskussionswürdig genug, kündigt die Mail & PR Agentur auch gleich ein neues Portal an, in dem Freelancer ihre Dienste anbieten können. Beim ersten Anbieten sei dies sogar noch kostenfrei, danach würden Gebühren fällig. Das ist doch mal eine Perspektive, seine Arbeit unter Wert anbieten, um den Job zu kriegen und für das Anbieten auch noch Gebühren zahlen.
In der ursprünglichen Definition ist ein VJ übrigens ein Journalist, eine Journalistin, der, die selbst die Kamera führt, den Ton macht, das Licht einrichtet. Solche VJs gibt es auch bei öffentlichen Fernsehsendern bereits seit Jahrzehnten. Sie sollen bei einfachen Themen die sonst üblichen 3 Personen Teams ersetzen und erhalten für die geleistete Mehrarbeit beispielsweise beim ZDF pro Tag 75,- Euro mehr als die Kolleg-inn-en, die im Team drehen. Außerdem stellt der Sender selbstverständlich auch das Equipment. Da steht zwar auch der Sparwunsch im Vordergrund, aber zumindest wird auch gesehen, dass da ein einzelner Mensch mehr leisten muss, als im Team.
Lieber VJ, der Du vermutlich um Übernachtungskosten zu sparen, irgendwann im Frühjahr sehr früh morgens mit einem billigen Regionalzug auf diese Insel reist, ein Unternehmen, sein Gebäude aufnehmen wirst, der Du mehrere Mitarbeiter-innen schminken und interviewen, der Du Outdoor und Indoor Drohnenflüge steuern und aufnehmen musst und spät, um Übernachtungskosten zu sparen wieder dorthin zurückreisen wirst, von wo Du gekommen bist,- oder vielleicht wenn es doch länger dauert, am noch deutlich kalten Strand im Schlafsack übernachten wirst,- unsere Gedanken sind bei Dir. Hoffentlich bekommst Du entgegen unserer Befürchtungen doch einen ordentlichen Teil des "Rundum Sorglos Imagefilm-Paketpreises" aus Hamburg ab, dass sich all das für Dich auch tatsächlich gelohnt haben wird.
Lena Seliger