Gängige Konzepte
Ein Drehbuch zu schreiben erfordert eine Unzahl von Entscheidungen. Die Frage nach der Erzählperspektive (Point of View) gehört zu den grundsätzlichen Elementen, die vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit stehen:
- Wer ist es, dessen/deren Geschichte ich erzählen möchte?
- Aus welcher Perspektive möchte ich seine/ihre Geschichte erzählen?
Oft werden Geschichten aus der Perspektive der Hauptfigur erzählt, so dass der Zuschauer genau so viel wie die Hauptfigur weiß; das muss aber nicht unbedingt so sein. Im Gegenteil, ein Unterschied zwischen der Hauptfigur und der Erzählperspektive kann die Dramaturgie manchmal reicher und interessanter machen.
Oder es gibt mehrere Erzählperspektiven, etwa die des Helden und jene seines Gegners (Antiheld). Kriminalfilme bedienen sich dieses Mittels, wenn gleichzeitig in einem Film die Seite der Ermittler (Polizei) und die des Täters gezeigt wird.
Bereits der Klassiker des Kriminalfilms, „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang zeigte sowohl die Seite des Kommissars, als auch die des Kindermörders. Der Film schaffte es, nicht nur für die Fahnder, sondern auch für den geistesgestörten Mörder Verständnis aufzubringen.
Man kann Geschichten auch aus einer neutralen, übergeordneten Perspektive erzählen, die des Beobachters. In diesem Falle kann der Zuschauer Informationen bekommen, die nicht einmal die Hauptfigur des Filmes hat. Zum Aufbau von Spannung (Suspense) ist es sehr nützlich, drohende Gefahren bereits vor dem Filmhelden zu kennen, und dann zu bangen, ob der Held es schaffen wird, der Gefahr zu entkommen. Die Filme von Alfred Hitchcock („Der Mann, der zuviel wußte“, „Psycho“, „Marnie“, „Das Fenster zum Hof“ etc.) haben beispielsweise oft mit diesem Informations-Unterschied gearbeitet.
Erzähler
Auch wenn gewisse Zusammenhänge bestehen: Ein Erzähler im Film (Stimme oder Figur, z. B. innere Stimme der Hauptfigur, aber auch ein neutraler Erzähler oder eine Kunstfigur wie ein Engel oder gar ein Toter wie in „Sunset Boulevard“) und die Erzählperspektive sind zwei verschiedene Aspekte eines Drehbuchs. Häufig stimmen sie überein, aber es muss nicht so sein.
Erzählstimmen (Voice Over) werden in schlecht konzipierten Filmen auch dringend benötigt, um fehlende Visualisierung der Handlung und schlechte Vermittlung des Innenlebens der Hauptfiguren zu kompensieren. Man trifft diesen Einsatz der Erzählstimme besonders häufig bei Literaturadaptionen an, denen es nicht gelungen ist, die Vorlage in ein filmisches Drehbuch zu übertragen.
Erzähler sollten idealerweise nur dort auftauchen, wo sie Dinge vermitteln, die nicht über Handlung, Bilder und Dialoge ausgedrückt werden können. Kommentierende Erzählstimmen verfehlen den eigentlichen Zweck dieses Gestaltungsmittels. Es ist einfach albern, den Hauptdarsteller im Bild zu beobachten, wie er maskiert eine Bank betritt und auf einen hageren Schalterbeamten zugeht, während die Erzählstimme sagt: „Als ich die Bank betrat, schaute ich mich um und suchte mir den schmächtigsten Kassierer aus.“
Zeitfrage
Die Perspektive oder Perspektiven sollten in jedem Fall so früh wie möglich eingenommen und dann während des Filmes auch durchgehalten und nicht geändert werden.
Man soll also gleich wissen: Dies ist die Geschichte von X.
Verstöße werden vom Zuschauer stets als sehr irritierend empfunden. Schließlich ist auch die Erzählperspektive ein Teil der Identifikation des Zuschauers mit der Geschichte und ihren Figuren.
Vertrauen
Erzählperspektive hat auch etwas mit „Vertrauen schaffen“ zu tun. So wie ein Märchenerzähler, wie die Großmutter das Vertrauen der zuhörenden Kinder genießt, so genießt auch die Erzählperspektive oder der Erzähler eines Filmes das Vertrauen der Zuschauer.
Missbraucht der Drehbuchautor dieses Vertrauen, indem die Perspektive nicht konsequent durchgehalten oder gar unmotiviert gewechselt wird, steigen die Zuschauer aus dem Film aus.
Exoten
Eine seltene Perspektive, die aber auch Verwendung gefunden hat, ist die Subjektive der Hauptfigur, des Protagonisten. Für den Zuschauer solcher Filme ist es allerdings etwas seltsam, die Hauptfigur nur in Spiegeln und ansonsten nur sein/ihr Gegenüber zu sehen. Hitchcocks filmischer Versuch in dieser Richtung war sein einziger Flop.
Eine weitere, ebenfalls exotische Erzählperspektive ist die voyeuristische, bei der permanent der Eindruck „geraubter“ Einblicke und Informationen erweckt wird. Auch diese Erzählperspektive ist nicht unproblematisch und gehört eher in den experimentellen Bereich.
Im Bereich der interaktiven Computerspiele hat die subjektive Perspektive durch die Interaktivität eine neue Dimension erhalten. Wenn man an Drehbüchern für interaktive Filme arbeitet, gelten die oben genannten Gesetzmäßigkeiten nicht mehr in vollem Umfang.