Spurensuche
Ein Drehbuch ist ein ziemlich komplexes Gebilde, bestehend aus vielen Einzelelementen, die wie die Gitter eines Kristalls in ihrer Kombination etwas Zusammenhängendes bilden. Woher kommen eigentlich die Ideen, Inhalte, Inspirationen, aus denen Drehbuchautoren ihre Geschichten entwerfen? Die Antworten darauf sind vielfältig. Sie beginnen bei den eigenen Erlebnissen, entstammen Tagebüchern, sind anekdotisch, inspiriert durch Beobachtungen, Kurzmeldungen in der Presse oder Geschichten, die man gehört hat. Hinzu gesellt sich die intensive Recherche zu den jeweiligen Figuren und Themen.
Wie man an der Aufzählung nachvollziehen kann, sind die Quellen, von denen Autoren beim Schreiben zehren, sowohl durch Nähe als auch durch Distanz gekennzeichnet. Die selbsterlebten Elemente sind von ungeheurer Nähe, die Zeitungsberichte von großer Ferne gekennzeichnet. Dieser Mix findet sich auch in den meisten (nicht rein biographischen) Drehbüchern wieder. Die Kunst besteht darin, selbst erfahrene und in der Welt gefundene Bestandteile mit Hilfe der Fantasie so miteinander zu verflechten, dass daraus eine glaubwürdige, fühlbare neue Wirklichkeit der Filmgeschichte entsteht.
Welche Qualität soll nun ein Text oder eine Geschichte haben, der sich lohnt, als Baustein künftiger Projekte aufgehoben zu werden? Diese Frage kann nur jeder aus seiner ganz ureigenen Perspektive beantworten. Welches sind die Schlüsselreize, auf die wir reagieren? Faszinieren uns eher die dramatischen, die hintergründig klaustrophobischen oder die verspielt zauberhaften Geschichten? Jeder hat da seine eigenen Geschmacksnerven.
Beispiele
Hier ein paar Beispiele für Zeitungsmeldungen, die Bestandteil oder gar Basis von Drehbüchern sein könnten:
„Ein 54jähriger Mann hat über drei Jahrzehnte lang bei über 1500 Hochzeitsfeiern in und um Sremska Mitrovica (in der Nähe von Belgrad) ohne Einladung mitgefeiert. Die Brautpaare hat der Arbeitslose nie gekannt und aus der Presse und vom Rundfunk Ort und Zeitpunkt der Feierlichkeiten erfahren. Selbstverständlich hat er stets ein Geschenk für die Braut mitgebracht.“ (Quelle: „Nacional“)
„Aus den USA kommen Meldungen, wonach auf dem größten Militärstützpunkt, Fort Bragg, bereits fünf rätselhafte Morde innerhalb von zwei Monaten geschehen sind, bei denen vordergründig Eheprobleme als Ursache vermutet werden. Besonders auffällig ist, dass die meisten der Ehemänner/Täter, die ihre Frauen ermordeten, zuvor bei Spezialeinheiten in Afghanistan im Einsatz waren. Zwei der Täter haben sich nach der Tat selbst umgebracht.“
„Ein Fernfahrer aus der Ukraine blieb mit seinem LKW auf einer Autobahn in Deutschland liegen. Er informierte seinen Chef telefonisch über das Problem und bat um rasche Lieferung eines Ersatzteils. Sein Chef wies ihn an, bei dem LKW zu bleiben. Der Fahrer wartete 3 Wochen lang bei seinem Fahrzeug, bis das Ersatzteil endlich geliefert wurde.“
Das Archiv
Nicht nur Zeitungsartikel, sondern vor allem auch einzelne Sätze, Bemerkungen von Mitmenschen gehören, wenn sie eine gewisse Bedeutung für Sie haben, irgendwie aufbewahrt. Nun darf man nicht meinen, jeder Autor verfügt über ein brillantes Gedächtnis in dem sich alle relevanten Inhalte befinden, die für eine Vielzahl verschiedenster Drehbücher geeignet wären. Der Mythos des Drehbuchautors, der allein mit seiner mechanischen Schreibmaschine irgendwo im abgelegenen Ferienhaus in der Toskana in zwei Monaten aus sich heraus ein komplettes Drehbuch erfindet, wird nur von sehr wenigen Autoren bedient. In der Realität arbeiten fast alle Autoren mit Materialsammlungen. Je nach Generation und Gusto schneiden Sie Artikel aus, verfassen Notizen, sammeln, ordnen, archivieren diese oder speichern Textauszüge als Dateien in ihren Rechnern.
Dass es auch Vertreter ihrer Zunft gibt, die sich im kreativen Chaos wohler fühlen und lose Zettelsammlungen in Schuhkartons bevorzugen, wollen wir nicht verschweigen, das Verfahren aber keinesfalls empfehlen. Das Archivieren im Computer hat, insbesondere was die praktische Handhabung angeht, enorme Vorteile. Man kann unter der Vielzahl von gesammelten Fundstücken und Notizen per Suchfunktion die relevanten Dateien aufspüren. Doch bereits bei der Anlage eines solchen Archivs sollte man eine gewisse Struktur vorgeben. Denn oftmals sucht man beim Schreiben gar nicht gezielt nach einem bestimmten Stichwort, sondern man liest einfach „quer“ durch die Aufzeichnungen. So etwas kann äußerst anregend sein und wichtige Impulse für die neue Szenen oder Dialoge geben.
Die Struktur
Es gibt unterschiedliche Verfahren, sich einen sinnvollen Aufbau zu überlegen. Ein für mich sehr sinnvoller Weg arbeitet mit archetypischen Überschriften in alphabethischer Reihenfolge, unter denen dann die einzelnen Anmerkungen und Notizen abgelegt werden. Stichworte wie Alter, Angst, Abschied bis Zorn und zu Hause werden zunächst einfach untereinander in eine Datei geschrieben. Dabei bleibt es Ihrem persönlichen Geschmack überlassen, ob Sie in eine Datenbank oder ein Testdokument schreiben. Datenbanken haben komfortablere Suchmasken, sind aber auch aufwändiger in der Pflege. Der wichtigste Vorteil besteht darin, dass man jeder Notiz, jedem Dialogsatz verschiedene Attribute zuordnen kann. Alle Texte sind ambivalent, können unterschiedliche Bedeutungen und Schwerpunkte haben. Versuchen Sie einmal, zu einem längeren Satz ein Stichwort zu vergeben. Oft fallen Ihnen mehrere ein, bei einer Datenbank müssen Sie sich nicht für eines entscheiden.
Im zweiten Schritt sollten Sie unter jedes Stichwort zwei Unterabschnitte (oder in der Datenbank Kategorien) einfügen, die zwischen „Beschreibung“ und „Dialog“ unterscheiden. Das ist sehr nützlich, wenn Sie gezielt nach einem Dialogvorschlag suchen. Unter Beschreibung können etwa Verhaltensweisen oder Personenbeschreibungen festgehalten werden. Je nach Komplexität ihrer Materialsammlung könnte hier auch noch eine Unterscheidung zwischen Frauen, Männern und Kindern sinnvoll sein. Beschreibungen von „Räumlichkeiten“, „Straßen und Plätzen“ oder „Landschaften“ sollten in eigenen Punkten festgehalten werden. Sehr wichtig ist auch, dass Sie Informationen, die aus anderen Quellen stammen, bereits mit Ihren eigenen Worten und der individuellen Gewichtung ausdrücken. Mit Zeitungszitaten kann man wenig anfangen, mit kleinen, daraus formulierten Geschichten oder Beschreibungen aber umso mehr. Versuchen Sie mit kurzen, konzentrierten Texten zu arbeiten, Stichworte, Skizzen, keine zu langen Texte sind ideal.