Zigeuner
Daten |
Zigeuner REGIE: Stanislaw Mucha |
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Regie: Stanislaw Mucha
In seinem Film „Zigeuner" nimmt uns Stanislaw Mucha mit auf eine Reise in die Ostslowakei, eine Reise, deren Bilder sich in das Gedächtnis einbrennen und eine Reise, die sonderbar ratlos stimmt. Von Zigeunersiedlung zu Zigeunersiedlung reist das Filmteam, nimmt viele fröhliche Kinder und viele wütende, enttäuschte, resignierte Erwachsene auf. Ab und zu werden Fragen gestellt, doch der Film unternimmt kaum Anstrengungen, den gezeigten Problemen auf den Grund zu gehen. Man erfährt, dass die Zigeuner (oder Roma) Kartoffeln stehlen, dass sie zu etwa 80% von Sozialhilfe leben, dass sie sehr arm sind, dass sie unglaublich viele Kinder bekommen (10-20), und letztere Tatsache auch nicht in Frage stellen. Man hört ihre Forderungen nach Wohnungen, nach Strom, nach Arbeit. Ihre Enttäuschung über die herablassende Haltung der „Weißen" braucht nicht erst hervorzubrechen, sondern ist unmittelbar zu spüren. Nur wenige Stimmen versuchen die Vorwürfe zu dämpfen. So eine Szene zu Beginn des Films: Ein Sportplatz ist gebaut worden, für die Zigeuner. Diese beschweren sich: Wozu ein Sportplatz, warum keine Wohnungen? Und überhaupt, warum zu diesem Preis? Das Holz könne man viel billiger bekommen. Ein anderer Zigeuner versucht, zu beschwichtigen: Holz habe halt nicht immer denselben Preis. Aber dann winkt er ab, denn er kommt gegen die Wut so vieler Stimmen nicht an. Die Vorwürfe grenzen oft an Vermessenheit: Man habe den Zigeunern eine Pumpe versprochen, dafür, dass sie bei der Arbeit helfen. Der Arbeit an ihrem eigenen Sportplatz. Doch die Pumpe ist noch immer nicht da.
Es stimmt sehr nachdenklich, wie groß Wut und Zorn sind und wie leicht die Probleme, um die es geht, vielleicht zu lösen wären: Es geht um die erwähnte Pumpe, damit man Wasser hat, es geht um das Aufladen von Batterien, es geht um Wohnungen. Elementare Dinge, Wasser, Strom, Wärme, die alle Menschen benötigen. Man sieht: Die Zigeuner fordern, fordern, fordern. Und man sieht auch, dass sie schwer kämpfen müssen, um Grundlegendes, für die Zuschauer, die den Film sehen, Selbstverständliches, zu bekommen. Man spürt, dass man sich da am oberen Ende eines Strudels befindet, aber der Film führt nicht in diesen Strudel hinein. Er führt zur nächsten Siedlung wie in einer Wiederholungsschleife. Eine von diesen Siedlungen ist nicht einmal auf der Landkarte verzeichnet. Überall wieder die unzähligen Kinder. Dazwischen Interviews mit weißen, für die Zigeuner zuständigen Bürgermeistern. Da ist oft Distanz zu spüren, aber auch Ratlosigkeit und Müdigkeit. Die Zigeuner meinen immer wieder, dass die Gelder, die sie von der EU bekommen, irgendwo versickern. Aber wo? Bei Weißen? Bei Zigeunern? Ein Haus wird gebaut, für die Zigeuner. Aber die Toiletten sind weg. Wer hat sie gestohlen? Waren sie überhaupt schon da?
Nachdenklich stimmt auch die Art und Weise, wie die Zigeuner über andere Zigeuner und sich selbst denken. Das Selbstbewusstsein ist voller Trotz, sie unterteilen sich in „gute" und „schlechte" Zigeuner. „Gute" Zigeuner stehlen nicht und essen vor allem keine Hunde. Die Frage nach letzterem taucht immer wieder auf. Meistens wird alles abgestritten, nur einmal widerspricht ein Junge und bekommt sofort eine geschmiert. Nur ein Zigeuner besitzt das Selbstvertrauen, zu hinterfragen, was denn eigentlich so schlimm daran ist, Hunde zu essen, wenn einfach nicht genug Nahrung vorhanden ist.
Ganz am Ende begleitet das Filmteam dann ein Mädchen, welches sich um eine Arbeit als Verkäuferin bemüht. Sie besucht verschiedene Läden, die ausdrücklich nach einer Verkäuferin suchen. Sie hat eine Ausbildung absolviert, wird aber überall unter fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Fakt ist: Man möchte sie nicht einstellen, weil sie Zigeunerin ist. Aber was erzählt uns diese Episode? Welche Vorgeschichte besitzt sie? Lehnt man sie ab, weil man Zigeuner nicht mag? Oder lehnt man sie ab, weil man mit Zigeunern schlechte Erfahrungen gemacht hat? Dazu schweigt der Film. Weder werden die verschiedenen Läden noch einmal aufgesucht, um nach der Motivation der Ablehnung zu fragen, noch werden, abgesehen von den Bürgermeistern, andere (weiße) Menschen aus den jeweiligen Gegenden befragt.
Insofern bietet der Film eine zumeist kurzweilige und auch sehr interessante Reise durch eine fremde, gar nicht so ferne Welt. Aber es bleiben so viele Fragen offen, auch nach dem Ziel und dem Anspruch des Films, der berührt, aber an der Oberfläche verweilt.
Gesehen von Paul Mittelsdorf