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Ich bin doch keine Mörderin - Der Fall Dennis

 

Ich bin doch keine Mörderin - Der Fall Dennis

Daten

Ich bin doch keine Mörderin - Der Fall Dennis

Deutschland 2006

REGIE: Caterina Woj
DREHBUCH: Caterina Woj
KAMERA: J.-L. Tinfiche, M. Lange, Kai-Uwe Schulenburg
SCHNITT: Michaela Stasch

TON: Jens Grumpelt, Stephan Marche

 

Wettbewerb

Regie: Caterina Woj

1. Rezension:

 

Der Film rekapituliert den Fall von Dennis Bittner, der im Juni 2004 in der Kühltruhe in der elterlichen Wohnung aufgefunden wurde.

Dabei wird der Fall nicht nachgestellt, sondern anhand von Interviews mit der Mutter und dem Vater nachvollzogen. Die Mutter erzählt von der Geburt, wie ihr Verhältnis zu ihrem Sohn war, welcher einer von zehn Kindern war. Sie erzählt vom langsamen Entgleiten der „Kontrolle" über ihren Sohn, von der „Entdeckung" seines Todes und der Zeit des Vertuschens danach. Niemand außer ihr wusste, das Dennis tot war. Sie versteckte ihn in der eigenen Kühltruhe und verschwieg es. Aus Angst, dass ihr Mann sie verließe, aus Angst ihre Kinder zu verlieren

Nach zwei Jahren wurde das Kind von der Polizei entdeckt. Beide Elternteile bekamen lebenslänglich, wurden später jedoch „nur" für Totschlag verurteilt. Das Strafmass steht noch nicht fest.

Der Film hat eine strenge formale Ebene. Es gibt keine zeitliche und räumliche Einordnung. Die Kamera ist die ganzen Film über sehr nah an den Gesichtern der Mutter und des Vaters.. Nur selten gibt es Halbtotalen. Die Interviewausschnitte sind unterbrochen durch medizinische Berichte oder Tatverläufe, die die Aussagen einordnen.

Die Einstellungen haben nur wenige Schnitte. Fast ununterbrochen ist man sehr nah an den Gesichtern. Von der ersten Sekunde des Films wird somit eine extreme Nähe aufgebaut und ein Gefühl der Beklemmung aufgebaut. Während der Interviews kommt es immer wieder zu langen, schweigsamen Momenten. Mit viel Gespür für die Situation lässt die Regisseurin diese Phasen geschehen und erreicht so durch dem „Draufhalten" eine Fortsetzung des Gesprächs durch das Minenspiel der Personen. Sie versteht es das Gespräch zu leiten, ohne die Personen in eine Sackgasse zu drängen. Sie wird dadurch ihrem Anspruch des Zeigens und nicht des Erklärenwollens gerecht.

Und so erreicht der Film eine ungeheure Intensität. Die Sprachlosigkeit der Personen angesichts der eigenen Tat, zeugt von der Unkenntnis der Tragweite dieser Tat. Der Vater  bezeugt durch sein unbewusstes aber konsequentes Desinteresse eindrucksvoll seine eigene Unzurechnungsfähigkeit.

Sie versucht zu verstehen und stellt sich selber Fragen, die sie aber nicht im Stande ist zu beantworten. Ihr Kampf mit sich selber endet ergebnislos. Es bleibt Schweigen. Zu ihrem Mann, zu ihren Kindern, sich selbst gegenüber.

Selbst als der Fall aufgedeckt war und der tote Junge gefunden wurde, reden sie nicht über diese Tat. In dieser Familie redet man nicht übereinander oder miteinander. Es wird verdrängt. Es wird vor der eigenen Verlustangst geflohen. Die Schuld angesichts der Überforderung wird abgewälzt, als hätte man sich korrekt verhalten und es nicht anders kommen können. Dieser Eskapismus wird durch ihre  Sprachlosigkeit eindrucksvoll dokumentiert. Und doch bricht die Mutter für einen kurzen Moment diese Sprachlosigkeit. Mit nur einem einzigen Satz hat sie ihre Motivation durchblicken lassen: „Und wieder bin ich an allem Schuld".

Dieser Dokumentarfilm zeigt Menschen am Rande der Gesellschaft und außerhalb der „normalen" Realität. Sie leben in einem eigenen Universum, in dem sie sich ihre eigenen Vorstellungen machen von Liebe und Umgang mit Kindern. Jenseits von krimineller Energie versuchen sie ihren Bedürfnissen nachzugehen, ohne zu ahnen, gegen den ethischen Kodex zu verstoßen. Die strenge Formalismus des Films unterstreicht die Geschlossenheit dieser Welt und zeigt die Auswegslosigkeit für ihre Bewohner.

Die Frage nach dem Warum steht von Anfang an ihm Raum und bleibt den Zuschauern unbeantwortet. Erschüttert und doch fasziniert verlässt man den Saal. Was bleibt ist Sprachlosigkeit: angesichts der Intensität, der Personen, der Tat und der eigenen Sprachlosigkeit.

 

Gesehen von Johannes von Alten

 

2. Rezension:

 

Im Juni 2004 wird die verweste Leiche eines bis auf die Knochen abgemagerten kleinen Jungen in einer Tiefkühltruhe der elterlichen Wohnung von Beamten der Cottbusser Polizei aufgefunden. Die Mutter des siebenjährigen Dennis hatte seinen toten Körper dort über zwei Jahre vor Familie und Öffentlichkeit versteckt.

Die Entdeckung des Kindes macht bundesweit Schlagzeilen und sorgt für moralische Entrüstung in den Medien. Die Eltern, Angelika und Falk Bittner, werden wegen Mordes zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Nach Revisionsverfahren wird das Tatmotiv des Urteils in Totschlag abgeändert, die Verlautbarung des Strafmaß im Sommer dieses Jahres erwartet.

Die Fakten sprechen für sich und geben ein klares Bild der Schuldzuweisung. Sie lassen aber nicht erahnen, welche Umstände sich ereignet haben mögen, um ein solches menschliches Unglück zuzulassen - aus elterlicher wie aus behördlicher Sicht.

So nähert sich die Regisseurin Caterina Woj in ihrem Film „Ich bin doch keine Mörderin - Der Fall Dennis" denn auch mit gebotener Distanz und feinfühliger Annäherung der dokumentarischen Rekonstruktion des Falles. In chronologischer Weise versucht die Filmemacherin das kurze Leben des Jungen nachzuzeichnen und die Hintergründe dieser Tragödie zu beleuchten. Im gesamten Verlauf lässt Sie nur die Eltern zu den Geschehnissen zu Wort kommen, im überwiegendem Maße die Mutter, und dies ohne tendenzielle Forderung und Absicht des Kreuzverhörs.

So erfährt man zu Beginn von der Unbegreiflichkeit der Mutter über ihr eigenes Verschulden und das Beteuern der Mutterliebe. So erfährt man weiter, dass Dennis Eines von 10 Kindern ist und in den Monaten vor seinem Tod kaum noch Nahrung zu sich genommen haben soll. Die Mutter lehnt jegliche Unterstützung von außen ab und geht nicht zum Arzt trotz der akuten Symptome ihre Sohnes. Wegen seinen Schlafstörungen wird der Junge nachts von der Mutter ans Bett gefesselt. Als der Junge stirbt, versteckt die Mutter ihn erst in einem Bettkasten später dann in der Kühltruhe. Ihr Mann Falk will über zwei Jahre lang nichts gemerkt haben und gibt sich mit der Erklärung zufrieden, dass Dennis im Krankenhaus sei.

Die Aussagen, die Angelika und Falk Bittner vor laufender Kamera machen, werden mit ihren eigenen polizeilichen und den Zeugenberichten aus der behördlichen Untersuchung unterlegt und kontrastiert. Diese geben Hinweis auf den tatsächlichen Hergang der Geschehnisse. Woj überlässt es somit dem Zuschauer sich ein Urteil zu bilden über die Schuldigkeit der beiden Befragten, den Wahrheitsgehalt und die Widersprüchlichkeit ihrer Aussagen.

Dabei gelingt es Woj, die gespaltene Persönlichkeit der Mutter zu offenbaren, die sich nicht bewusst ist über das Ausmaß ihrer Tat. In wenigen Momenten wechselt das Ich der Unschuld beteuernden Mutter in das Andere der bestrafenden Mutter. Ein Familiensystem wird skizziert, indem die Mutter als realitätsentfremdetes Oberhaupt herrscht und der Vater als Untergebener Komplizenschaft übernimmt.

Die Nähe der Kamera zu den Protagonisten und die Sprachlosigkeit in ihren Aussagen und Gesichtern erzeugt eine bedrückende Atmosphäre, die an Intensität zunimmt als man sich in den Gesprächen dem unglaublichen Umstand des Todes des Jungen durch Verhungern nähert.

Als Zuschauer wird man in dieser makabren Aufklärung einer Kindesvernachlässigung trotz der Gesprächsarmut unweigerlich in die Geschichte des kleinen Dennis hineingezogen.

 

Gesehen von Roderik Helms

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