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Juha

 

Juha

Daten

Juha

77 Min., Literaturverfilmung, Finnland/Deutschland 1998

REGIE: Aki Kaurismäki
DREHBUCH: Aki Kaurismäki
KAMERA: Timo Salminen

DARSTELLER: Sakari Kuosmanen, Kati Outinen, André Wilms

 

Regie: Aki Kaurismäki

DVD erscheint am 7. November

Am Anfang erscheinen auf schwarzem Untergrund in schlichter, weißer Schrift die Namen der Schauspieler. Die Musik lässt an ein wuchtiges Epos denken, irgendetwas Weites, Fernes und Trauriges. Doch dann, kurz nachdem der Titel des Films zu sehen ist, verändert sich die Musik, wird fröhlich und erinnert an die Melodie aus Pippi Langstrumpf. Zwei Menschen, Juha und Marja, fahren auf einem alten Moped durch eine friedliche Feld- und Waldlandschaft. Hier, so erfährt man bald, führen sie ein einfaches, aber glückliches Leben. Unter der Woche arbeiten sie und dann fahren sie auf den Markt und verkaufen Kohlköpfe. Über ihre Einnahmen freuen sie sich so sehr, dass sie sich an den Händen fassen und im Kreis tanzen. Dann drückt Juha seiner Frau schelmisch einen Finger in die Seite und sie umarmt ihn. „Sie sind glücklich wie Kinder", ist auf dem Bildschirm zu lesen.

Naivität, die Komik, die Übertriebenheit, aber auch die Schwere und die Menschlichkeit, die in diesen ersten Minuten offen zutage treten und sich durch den ganzen Film ziehen, bilden mitunter verwirrende, aber letztendlich stimmige Koordinaten, zwischen denen sich der Zuschauer zurechtfinden muß. Das der Film in Schwarz-Weiß gedreht wurde und ohne Ton (abgesehen von der Musik und verschiedenen Geräuscheffekten), ist dagegen weit weniger verstörend als der immer wieder auftauchende Kontrast zwischen Tragödie und Komödie. Die spärlichen Dialoge zwischen den verschiedenen Charakteren werden als Texte eingeblendet, vor allem aber sind es ihre Gesichter, welche hinreichend Erklärungen bieten und letzten Endes die Geschichte erzählen.

Das Leben von Juha und Marja bleibt keineswegs so unbeschwert, denn eines Tages strandet der aalglatte Shemeikka mit seinem kaputten Sportwagen auf dem Gehöft von Marja und Juha. Und während letzterer das Auto repariert, betört Shemaikka Marja mit verführerischen Worten von der Stadt und einem anderen, aufregenden und komfortablen Leben.

Auch wenn die Verführung schließlich zunächst ihrer Wege zieht, hat sie doch einen Stachel der Unzufriedenheit in Marja hinterlassen. Diese beginnt nun, sich zu schminken und zu rauchen und ihren Mann mit gelangweilten, verächtlichen Blicken zu strafen. Dabei wirken ihre Lippen viel zu rot und ihre Wimpern viel zu dunkel, Marjas Unbeholfenheit spiegelt hierbei ihre Hoffnungen ebenso wider wie deren Naivität, da Shemaikka, dies sieht man auf den ersten Blick, nichts Redliches im Schilde führt.

Als er zum zweiten Mal erscheint, bringt er Geschenke mit. Sie gehen tanzen und am Abend sitzen Juha und Shemaikka am Tisch und reden. Juha trinkt und trinkt und Shemaikka gießt den Wodka in die Blumenvase, während seine lauernden Blicke auf Marja verharren. Juha sinkt schließlich ins Bett und fällt in einen tiefen Schlaf. Als er aus jenem erwacht, ist Marja mit Shemaikka verschwunden.

Sowohl Juha, als auch Marja und Shemaikka werden durch Sakari Kuosmanen, Kati Outinen und André Wilms hervorragend verkörpert. Ihnen allen, auch Shemaikka, haftet etwas Vergebliches an, was es ihnen unmöglich macht, sich gegen das Schicksal zu behaupten. Juha ist ein gutmütiger Bär, der nicht versteht, was seiner Frau fehlt. Marja ist ein biederes Schaf, welches ein leichtes Opfer für den grauen, zerschlissenen Wolf Shemaikka wird. Letzterer besitzt zwar noch genügend dunklen Zauber, um Marja mit sich zu führen, doch seine besten Zeiten hat er schon lange hinter sich.

In der Stadt merkt Marja schließlich recht schnell, dass Shemaikka sie getäuscht hat. Eine Nacht und einen Morgen hält seine Liebe an, dann lässt er seine Maske fallen und nach und nach erkennt Marja, dass die Frauen, bei denen sie lebt, nicht zu Shemaikkas Familie gehören, sondern Prostituierte sind. Da sie sich weigert, mit Männern zu schlafen, muß sie Böden schrubben. Eines Tages aber flieht sie, doch gerade, als sie in den Zug steigen möchte, um zu Juha zurückzukehren, wird sie ohnmächtig. Marja ist schwanger.

Spätestens hier wird dem Zuschauer klar, dass „Juha", der Film, keine Versöhnung kennt, dass seine Charaktere Gefangene sind und einem unausweichlichen Schicksal entgegentreiben. Und auch Juha, der Mensch, ist unversöhnlich. So hilflos er ist, so wenig ist er gewillt, die Welt in ihrem Ungleichgewicht zu belassen, in welchem sie sich seit Marjas Abschied befindet. Glück spielt dabei keine Rolle: weder sein eigenes, noch das seiner Frau oder ihres Liebhabers. Nein, Juha weiß nur, dass etwas nicht stimmt und dass er das, egal, was dann passiert, geradebiegen muß, zumindest so gerade wie möglich.

So zieht er einen Anzug an, steckt eine Axt in seinen Rucksack und übergibt seinen Hund einer Bäuerin aus dem Dorf. Dann fährt er in einem Bus in Richtung Stadt und einige Momente lang sieht man, wie sein treuer Hund dem Staub aufwirbelnden großen Auto hinterherrennt.

Mehr noch als zuvor tritt nun die Unvermeidlichkeit der Geschehnisse in „Juha" in den Vordergrund: Das was passieren muß, passiert, und dies scheinen selbst die Nebendarsteller des Films zu wissen. Ganz leicht, als seien sie aus Stoff, sinken sie nun ab jenem Zeitpunkt, als Juha das Bordell Shemaikkas betritt, bei der sanftesten Berührung des seelisch verletzten Dorfbären in die Knie. Beinahe teilnahmslos sehen der Kellner und die gelangweilten, blonden Frauen dabei zu, wie Juha Shemaikka mit seiner Axt jagt. Auch zwei Kugeln vermögen Juha nicht aufzuhalten. Alles scheint wie ein sonderbarer, lautloser Tanz, dem sich alle fügen, und der darin schließt, das Shemaikka sein verdientes Ende findet.

Das Kind und Marja verschont Juha, doch er selbst ist tödlich verwundet. Auf einer Müllkippe schließlich legt er sich hin und überlässt es der Welt, sich weiter zu drehen, um Sonnen zu kreisen und Stürme, Regen und Schnee über die Welt zu jagen, und Furchen in jene unbewegten Gesichter zu treiben, die das Aki-Kaurismäki-Universum besiedeln. Die in irgendeiner Ecke sitzen und Akkordeon spielen, Leid und Freude scheinbar nicht mehr unterscheiden wollen oder nicht mehr können oder entschieden haben, dass dies keinen Sinn ergibt. Ihre Augen jedoch sind oftmals tief und dunkel und unergründlich und jene spärlichen Mittel reichen, um eine Geschichte zu erzählen, eine teilweise tragische, teilweise mit dieser Tragik spielende Schnitzerei, mit der unerschütterlichen Eigenheit eines Märchens, dass man ernstnimmt und doch aus der Distanz zu betrachten vermag.

 

Gesehen von Paul Mittelsdorf

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